Manfred Berg, Professor für amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg, hat mit dem Buch »Das gespaltene Haus« ein Standardwerk zur Geschichte der USA seit 1950 verfasst. Es geht auch um die Frage, wie eine rechtspopulistische Figur wie Donald Trump Präsident werden konnte, wie er trotz seiner zahllosen Versuche, seine Abwahl anzufechten, einschließlich des Sturms auf das Kapitol, von den Republikanern abermals als Präsidentschaftskandidat aufgestellt werden konnte. Aber es geht um weit mehr als nur Trump. Er ist eigentlich nur ein Art Symbol für die so tiefgreifende Polarisierung der politischen Landschaft in den USA, die auch mit seinem Abgang keinesfalls beendet wäre. Nicht Trump steht im Mittelpunkt der Untersuchung, sondern es geht hier um die Frage, wie es passieren konnte, dass die USA, die doch nach 1945 ein „Modell einer konsensorientierten Staatsbürgerkultur“ darstellten, zum „Krisenfall der Demokratie“ (S. 14) wurden. Aufgrund der spezifischen Umstände, Rassismus, Vietnamkrieg und anderer Krisenjahre wie die Watergate-Affäre sind die demokratiekritischen gar bis -feindlichen Entwicklungen kaum auf die westeuropäischen Staaten zu übertragen; betrachtet man aber die Einflüsse des Populismus, der Globalisierung, der desaströsen sozialen Netzwerke, dann lassen sich sehr wohl aus diesem Buch viele Kriterien gewinnen, mit denen auch die rechtsextremen Bewegungen in Europa in den Blick genommen werden müssen.
Um diese Entwicklung zu erklären, beschreibt Manfred Berg zuerst das „goldene Zeitalter der Konsensdemokratie“ mit dem Zenit des amerikanischen Liberalismus und beweist seine intime Kenntnis der amerikanischen Geschichte. Der Vietnamkrieg, der ungelöste Rassenkonflikt und auch die Radical Sixties, die Kulturrevolution der sechziger Jahre, ließen den liberalen Konsens zerbrechen.
Auf S. 17-20 wird der Begriff der Polarisierung definiert und Berg zitiert die Meinung von James Campbell, Republikaner und Demokraten hätten sich gleichermaßen nach links bzw. rechts bewegt. (vgl. S. 18). Mit Trump, so Berg, habe sich diese Einschätzung erledigt, vor allem auch, da die GOP zu einer Weltanschauungspartei geworden sei. Den Kern der Polarisierung sieht Berg in einem „Grundsatzkonflikt über die nationale Identität der USA“. (S. 19)
Der Civil Rights Act von 1964, dann der Economic Opportunity Act 1964 und der Voting Rights Act 1965 waren nur einige der 207 Gesetze, die auf der silbernen Schreibtischplatte eingraviert waren, die Lyndon B. Johnson von seinen Mitarbeitern bei seinem Abschied 1969 überreicht bekam.
Detailreich und einleuchtend entwickelt Manfred Berg, wie die Antikriegsbewegung sich entwickelte und der Vietnamkrieg die Nation zunehmend spaltete. 1968 warnte ein Kommissionsbericht vor einem Auseinanderbrechen in zwei Gesellschaften, schwarz und weiß, getrennt und ungleich. (vgl. S. 93) Auch wenn die Bundesregierung bereit gewesen wäre, die geforderten Mittel in die Hand zu nehmen, so waren die Voraussetzungen dafür längst erodiert, so Berg. White Backlash (vgl. bes. S. 199), Black Power und das gescheiterte Versprechen einer Great Society waren einige der Gründe für die offenkundig werdende Spaltung der Gesellschaft. Kapitel wie diese führen deutlich vor Augen, wie tief die Gräben wurden, aus denen sich die Polarisierung entwickelte und wie schwierig ja gar unmöglich eine Depolarisierung sein könnte.
In den siebziger Jahren kam zu allen Problemen die Stagflation als Folge des Ölschocks hinzu. Deindustrialisierung und der Rückzug ins Private trugen dazu bei, die Stimmung zu verdüstern. Die Watergate-Affäre, die am 8. August 1974 zum Rücktritt von Richard Nixon führte, unterminierte das Vertrauen in die Politik nur noch mehr. Die „imperiale Präsidentschaft“ hatte Schaden erlitten, sie wurde aber, so Berg, nur kurzfristig unterbrochen. (vgl. S. 157)
Die Globalisierung mit allen ihren Folgen, u. a. mit der so stark wachsenden Ungleichheit ist ein weiteres Element mit Folgen für die Polarisierung. Berg erinnert daran, dass in keinem anderen Land das Einkommen der Eliten einen größeren Einfluss auf den materiellen Erfolg ihrer Kinder habe (vgl. S. 189). Die USA als Selbstbedienungsladen der Reichen, so lautet die Kurzfassung. (S. 195) In diesem Zusammenhang zitiert Berg die Untersuchung von Nancy MacLean, Democracy in Chains (2016) und ihrer Kritik am Neoliberalismus. Allerdings rückt Berg ihre Schlussfolgerungen zurecht und erinnert daran, dass die Freiheit des Einzelnen schon immer Vorrang vor dem Willen der Mehrheit bekommen sollte. (vgl. S. 195)
Kapitel 9 und 10 sind den ungelösten Problemen der Einwanderung und der daraus resultierenden Transformation der amerikanischen Gesellschaft gewidmet, die vor allem in kulturellen Überfremdungsängsten (vgl. S. 214) kulminiert. Daraus entwickelte sich eine Identitätsdebatte, die im 11. Kapitel „For the Soul of America: Die Schlachtfelder der Geschlechter- und Kulturkriege" ausführlich dargestellt wird. Berg zeigt diese Entwicklung anhand der Diskussionen um das Equal Rights Amendment (ERA), das schließlich am Widersand in den Südstaaten scheiterte. Die Campus-Kriege (vgl. Lesebericht: Yascha Mounk, Im Zeitalter der Identität. Der Aufstieg einer gefährlichen Idee) wie auch Amerikas Geschichtskriege zeigten, wie „der gemeinsame Kommunikationsraum zerbrach“. (S. 287) Die Folge war die Entstehung von „Echokammern: Die Erosion des politischen Vertrauens und die Fragmentierung der Öffentlichkeit“ (Kapitel 12) mit dramatischen Folgen: „Von noch grundsätzlicherer Bedeutung ist jedoch, ob der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit bereits irreversible und für die Demokratie bedrohliche Folgen gezeitigt hat, weil er die Basis demokratischer Willens- und Konsensbildung zerstört, nämlich eine grundlegende Übereinkunft über die Wirklichkeit.“ (S. 301) Die Polarisierung ist mehrschichtig, sie bezeichnet nicht nur das unbarmherzige Gegeneinander von Demokraten und Republikanern angestachelt durch die Verdrehungen eines Donald Trump, dessen Falschaussagen von seinen Anhängern so gerne gehört und befolgt werden, es gibt auch eine „Polarisierung der Werte, die dazu führt, dass der Unterschied zwischen Meinungen und Tatsachen verschwimmt und ein Konsens über Fakten unmöglich wird.“ (S. 302) Nicht Trump ist das eigentliche Problem. Er hat große Teile seiner Anhänger (vgl. Lesebericht: Kerstin Kohlenberg, Das amerikanische Versprechen) dort abgeholt, wo sie bereits angekommen waren, nämlich in medialen und kognitiven Parallelwelten. (vgl. S. 306)
Es gibt noch weitere Themen, denen Manfred Berg ausführliche Kapitel widmet, wie „Der amerikanische Waffenkult und die Radikalisierung des rechten Rands“ (13. Kapitel) und „9/11: Der Krieg gegen den Terror“ (Kapitel 15) mit dem Desaster des Irak-Kriegs. Und schließlich die Pleite der Investment-Bank Lehman Brothers: „Der Crash bedeutete die Bankrotterklärung der neoliberalen Verheißung, die Deregulierung der Märkte werde mehr Wohlstand für alle schaffen.“ (S. 375)
Barack Obama gelang nicht die dringend notwendige Einigung der Nation. Hatte er doch die besten Absichten; aber Bergs Urteil ist ernüchternd, denn „am Ende seiner Amtszeit standen sich die politischen Lager feindseliger gegenüber als zuvor.“ (S. 393)
Alle Konfliktlinien zusammen, die Berg in seiner Darstellung entwickelt, sowie Trumps MAGA führte ihn aufgrund seiner Versprechungen, an die seine Wähler glaubten, ins Weiße Haus, auch wenn Hilary Clinton drei Millionen Stimmen mehr gewann.
Manfred Berg gelingt es, seinen Lesern präzise zu erklären, was in diesem Wahlkampf 2024 auf dem Spiel steht. Er ordnet die verwirrende Gemengelage sowie die vielen Gründe, die die Polarisierung des politischen und des gesellschaftlichen Lebens in den USA veursacht haben. Das Buch endet mit der Perspektive des Wahlkamps zwischen Donald Trump und Joe Biden. Schon haben aber Kamala Harris und Tim Walz übernommen und der Beginn ihres Wahlkampfs zeigt, dass eine neue Zuversicht in ihrer eigenen Partei geschätzt wird.
»Das gespaltene Haus« ist tatsächlich ein Standardwerk, weil es zum einen die aktuelle politische Situation der USA erläutert, zum anderen aber auch weil es mit dem Zusammenspiel von Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Politischen Wissenschaften und auch der Soziologie hier so eindrucksvoll demonstriert, wie eine Gesamtdarstellung verfasst werden kann.
Heiner Wittmann
Manfred Berg, geboren 1959, ist seit 2005 Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören ...
Manfred Berg, geboren 1959, ist seit 2005 Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, die Rassenbeziehungen in den USA, Lynchjustiz und Mobgewalt sowie die Geschichte der US-Außenpolitik und die Politikgeschichte der USA. Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und schreibt regelmäßig für die ZEIT.
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