Es handelt sich bei John Bartons »Die Geschichte der Bibel« tatsächlich um eine Gesamtdarstellung der Bibel, von ihrer Entstehung, über ihren Aufbau, ihre Rezeption und Interpretation, also ihre Auslegung bis in unsere Zeit. Es ist ein exzellentes Lehrbuch, das aber nicht wie ein universitäres Unterrichtsbuch vor Ihnen liegt, sondern Barton erzählt Ihnen im wahrsten Sinne des Wortes auf sehr lehrreiche Weise die Entstehung der Bibel: Teil I „Das alte Testament“, Teil II „Das Neue Testament“, gefolgt von einer Geschichte ihrer Auslegung: Teil III „Die Bibel und ihre Texte“, Teil IV „Der Sinn der Bibel“. Ein Buch das sich bei weitem keineswegs nur an Theologen richtet, es wendet sich genauso an Philosophen, Historiker und vor allem Literaturwissenschaftler.
John Barton beginnt mit einem Zitat des kanadischen Literaturkritikers Northop Frye (1912-1991), der von der Bibel „als wichtiges Element unserer eigenen dichterischen Tradition“ sprach. Darum geht es in diesem Buch. Die Bibel steht im Vordergrund, aber sie steht hier als ein ganz zentrales Vermächtnis der westlichen Tradition, des Kerns der westlichen Literaturgeschichte.
Unser Lesebericht müsste eigentlich „Aufgeschlagen“ genannt werden. Denn trotz Lockdown und Homeoffice werden wir hier keinen seriös fundierten Lesebericht dieses Werkes vorlegen können, dafür gibt es wirklich nur rein zeitliche Gründe. Aber unser Eingeständnis kleiden wir mit besten Gewissen in eine Aufforderung: Lesen Sie das Vorwort und beginnen dann mit einem Kapitel, das sie besonders neugierig macht. Die Art und Weise, wie John Barton seinen Vorsatz realisiert, Ihnen die »Die Geschichte der Bibel« zu vermitteln, wird sie unweigerlich in dieses Gesamtwerk hineinziehen. Eben weil es nicht nur um die Bibel geht, es geht auch um eine Geschichte der westlichen Zivilisation, die so eng mit dem, kann man das sagen, meist umstrittensten Buch so unmittelbar und so eng verbunden ist. Tatsächlich ist der Verführcharakter dieses Buches immens, es jetzt zu lesen und dann darüber hier zu schreiben. Der Lesebericht würde, trotz der hier gebotenen Kürze, möglicherweise doch ziemlich lang werden, zu vielfältig sind die Anregungen, die Barton uns hier zum Verständnis der Bibel vorträgt: Dazu gehört auch das Kapitel „Moderne Rekonstruktionen“, das sich mit der Entstehung des Alten Testaments beschäftigt: S. 42-53, wo schon trotz der so gelungenen verständlichen Darstellung, der Autor sein immenses Wissen so überzeugend vorträgt. Begriff und Sprache des Alten Testaments: S. 53-58. Das Kapitel 2 berichtet über die „Hebräischen Erzählungen“, eine besonders wichtige Fundgrube für Literaturwissenschaftler. Dann folgt Kapitel 3 „Gesetz und Weisheit“, hier evaluiert Barton den moralischen Charakter der Bibel in historischer Hinsicht: „Skeptische Weisheiten“ und „Personifizierte Weisheit“ lauten die Überschriften zu den folgenden Abschnitten. „Die zehn Gebote“ (S. 103-106) und „Motivationen für Wohlverhalten“ (S. 106-113). – Wenn wir jetzt den Reichtum aller folgenden Kapitel dieses ganzen Buches hier in ähnlicher Form beschreiben würden, wäre uns der Vorwurf, dieser Lesebericht wäre viel zu lang, gewiss. Das Buch lag zuerst, wie gesagt, auf unserem Lesestapel, 720 Seiten. Jetzt nach dem Abfassen des Leseberichts lesen wir immer mehr Kapitel in diesem Band. Machen Sie es genauso: Lesen Sie in Ihrem Buchladen ein Kapitel und Barton wird Sie mit seiner eleganten Art der Darstellung vereinnahmen.
Bartons großes Programm „die Geschichte der Bibel von ihren ersten Anfängen in Volkssagen und Mythen bis zu ihrer Rezeption und Auslegung heute“ wird auf nur 700 Seiten vollständig ausgeführt. Barton will die „Entstehung, Weitergabe und Verbreitung der Bibel“ erläutern und zeigen, „wie sie von der Antike bis zur Gegenwart gelesen und genutzt wurde und wird“. Sie wollte wieder als das „Resultat eines langen und faszinierenden Prozesses“ verstanden werde, der auch heute noch dazu führt, wie es in den vergangenen Jahrhunderten der Fall war, nämlich dass ihr Stoff immer wieder danach verlangt, neu gelesen zu werden. Schon das Vorwort enthält ganz bemerkenswerte Einsichten, die den Ton dieses Buches angeben: „Weder über das Judentum noch über das Christentum lässt sich aus der Bibel etwas herauslesen, obwohl beide Religionen biblische Bücher als ihr Fundament beanspruchen.“ Sätze wie diese genügen für diesen Lesebericht, um jeden Leser auf die Lektüre des Buches von John Barton neugierig zu machen.
Der Leser findet hier Antworten auf die Fragen, wie wurden die biblischen Bücher zusammengesetzt und wie kam es zu dem Begriff oder Titel „Heilige Schrift“? In welchem Sinn ist das Alte Testament heute für Christen maßgeblich? Wie steht es um den Satz „von Gott eingegeben“ – gilt das auch für das Neue Testament?
Es scheint tatsächlich ein großes Wagnis zu sein, den heutigen Stand der Bibelwissenschaft ebenfalls in dieser Darstellung abhandeln zu wollen. Aber Barton gelingt das, in dem er Dissens, Einvernehmen und offene Forschungsfragen aufzeigt.
Bartons These lautet, die Bibel decke nicht direkt einen religiösen Glauben und seine Praxis ab, weder den jüdischen noch den christlichen, denn er hält das Christentum nicht für eine Schriftreligion, die sich auf ein heiliges Werk konzentriere. Der Islam sei eine Buchreligion, jedoch, wiederholt Barton, Judentum und Christentum behalten eine bemerkenswerte Entfernung zu dem zentralen heiligen Text, auf den sie sich beziehen. Die Bibel sei eine „bunte Sammlung von Materialien“, so Barton, von denen nur wenige die Frage beantworten, was man glauben solle. Folglich missverstehen Fundamentalisten die Bibel, wenn sie versuchen, sie wortwörtlich zu verstehen oder gar anzuwenden.
Barton bezeichnet die Bibel auch als „kulturprägendes Werk“, immer noch ein Bestseller, dessen Kenntnis eben mehr Fragen nach Traditionen und Überlieferungen beantwortet, als manche, die sie kaum aufschlagen, ahnen. Unter dem Gesichtspunkt die „Bibel in den Glaubensgemeinschaften“ untersucht Barton die vielen unterschiedlichen Lesarten der Bibel, die ihr Verständnis prägen, so wie ihre Vielfalt auch die Glaubensgemeinschaften selber wieder formen rund beeinflussen.
Besonders spannend wird Bartons Untersuchung, wenn er ausdrücklich die Bibel als ein Bindeglied zwischen der Antike und der Moderne vorstellt. Kein Zweifel besteht an ihrem Alter und die Geschichte ihrer Auslegung ist mit ihrer Bedeutung, und ihrem Sinngehalt, ja gerade auch mit ihrem Appellchrakter sie zu lesen und zu begreifen auf das engste verbunden.
John Barton, geboren 1948, war von 1991 bis 2014 Professor für die Interpretation der Heiligen Schrift am Oriel College in Oxford. Seit 2007 ist er »fello...
John Barton, geboren 1948, war von 1991 bis 2014 Professor für die Interpretation der Heiligen Schrift am Oriel College in Oxford. Seit 2007 ist er »fellow« der British Academy und seit 2008 auswärtiges Mitglied der Norwegischen Akademie der Wissenschaft. Die Universität Bonn verlieh ihm 1998 ein Ehrendoktorat für Theologie. Er ist einer der weltweit führenden Bibelforscher. 2020 erhielt er für »Die Geschichte der Bibel« den angesehenen DUFF COOPER PRIZE.
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