Der Autor nimmt zuerst die „Phase der Präsidialherrschaft“ in den Blick und zeigt, wie mit Brünings Sparpolitik Chancen für eine Stimulation der Wirtschaft vertan wurden. Immerhin gab es ein bisschen Keynes mit der Gründung der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG. Zerback erklärt Brünings Zögern mit der Angst vor der Inflation. Seine Unterstützung im Reichstag beschränkt sich auf ein Viertel der Abgeordneten. Seine Regierung stützt sich auf die Notverordnungen, die der 1925 zum Präsidenten gewählte Paul von Hindenburg unterzeichnet. Und ganz rechts sitzen im Reichstag schon 107 Mitglieder der NSDAP, folglich duldet die SPD die Regierung Brünings, um nicht Hitler zur Macht zu verhelfen.
Das Kapitel „Die NS-Bewegung“ zählt die Faktoren auf, die den Nazis in die Hände spielten: der Hass, der Trend Richtung Rechts, der Beifall der Nazis, „wenn die Politik fehlt, lachen sie Hohn, wen es brennt, gießen sie Öl, wenn man scheitert, tanzen sie vor Triumph.“ (S. 27), der Rassenhass, der Hass auf die Juden, der Hass auf die Republik, den Parlamentarismus, dem sie die Wahlerfolge verdankten, der Grundsatz Kampf statt Kompromiss, die Besetzung sozialer Netzwerke von innen heraus, das angebliche Charisma von Hitler, all das resümierte Kurt Schumacher (SPD) am 23. Februar 1932: „Die NS-Bewegung sei ein ‚dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen'“, rief er im Reichstag. Geschichte wiederholt sich nicht einfach so, aber das kompromisslose und zerstörerische Verhalten heutiger extremer Parteien in den Parlamenten wirft Fragen auf, wie es um das Eintreten für demokratische Werte bei Ihnen bestellt ist.
Als Hitler im 2. Wahlgang der Präsidentschaftswahl gegenüber dem Wahlsieger Hindenburg zwei Millionen Stimmen hinzugewinnt, musste das vielen zu denken geben. Papen folgte auf Brüning und versuchte, den Kurs der Wirtschaft umzusteuern, aber es ist wohl zu spät. Ein Misstrauenstag gegen ihn am 12. September 1832 erhielt 512 von 560 Stimmen, Papen versuchte die Auflösungsorder zu verkünden, was Göring zu verhindern versucht. Ohne Zweifel füllen die Bücher über den Nationalsozialismus wie auch über die Machtergreifung ganze Bibliotheken, dieser Band von Ralf Zerback hat jedoch den Vorteil, in seiner Klarheit, die politischen Bedingungen und die Faktoren, die zur Machtergreifung der Nazis führen, präzise zu analysieren. Bis zur Neuwahl am 6. November 1932, so erklärt er beispielsweise, zerfalle die politische Szenerie in drei Sphären, die Sachpolitik, der Wahlkampf und das Gezerre um neue Machtoptionen. Bei den Wahlen verlor die NSDAP 4,2 Prozentpunkte, hatte aber immer noch 33 Prozent, hatte aber zwei Millionen Wählerstimmen eingebüßt. Wieder hatte eine Koalition der DNVP und der DVP keine Mehrheit, auch zusammen mit dem Zentrum und der BVP fehlten immer noch sieben Stimmen zur Mehrheit. (vgl. S. 106-109). Im Dezember wurde Kurt von Schleicher Reichskanzler, er bekam nicht die gleiche freie Hand wie sein Vorgänger, ihm gelang es nicht, eine Unterstützung der Nazis zu erhalten und scheitert.
Hitler wird am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt. Gab es Hoffnungen, er und die NSDAP würden sich an der Macht anders verhalten als in ihrem brutalen Drängen an die Macht? Die Nazis haben aber nur die Vernichtung der Demokratie im Sinn und die Übernahme der totalen Mmacht auf allen Ebenen, in allen Bereichen. Der Reichstagsbrand am 27. Februar führt zur „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“, womit die Grundrechte wie freie Meinungsäußerung oder Eigentumsrechte weitgehend suspendiert werden.
Schritt für Schritt bauten die Nazis ihre Macht aus: Ermächtigungsgesetz, Entmachtung der Länder, Konzentrationslager wie der Judenboykott, das Ende der Parteien sind einige der folgenden Stationen, die Hitler die absolute Macht bescheren werden.
Die Bereitschaft der Wähler schon lange vor 1933 extremen und republikfeindlichen Parteien zu folgen sowie der latente und immer stärkere Antisemitismus, die wirtschaftlichen Misserfolge der Regierungen, die auch durch die Notverordnungen nicht zu lindern waren, relativieren den 30. Januar 1933 als den entscheidenden Einschnitt, mit dem die Nazis die Macht errangen. Zerback hat Recht, die unmittelbare Vorgeschichte in den Blick zu nehmen. Tatsächlich nahmen die extremen Parteien der Mitte die Möglichkeit, Mehrheiten zu erreichen und betrieben so den Untergang der Weimarer Republik. Es ist allerdings auch richtig, dass mit dem 30. Januar sofort die Vernichtung der parlamentarischen Demokratie ohne Umwege von den Nazis wie nach einem Drehbuch umgesetzt wurde und jedweder Widerstand sogleich zu noch größerer Repression führte.
Es ist das Verdienst des Autors die Brisanz der immer wieder gestellte Fragen, wie war das möglich, mit seiner Interpretation der Fakten, erläutert zu haben. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise war ein Faktor unter vielen. Zerback nennt auch „Zweifel an der Qualität des politischen Personals“ (S. 276), wie die Hypothek, die durch Hindenburg und seinem Beraterkreis entstand, wie dort vorherrschende Präferenz für autoritäre oder monarchische Alternativen und schließlich die vergebliche Hoffnung auf eine „Zähmung“ der NSADAP. Und schließlich standen die Bürger/innen der Demokratie skeptische gegenüber. Seitens der NSADP war ihre Propaganda technisch gesehen auf dem neuesten Stand, die sie durch Gewaltakte aller Art ergänzte.
Heiner Wittmann
Ralf Zerback, 1961 geboren in Stuttgart, hat in Heidelberg und Frankfurt Geschichte studiert und 1993 promoviert. Er schreibt regelmäßig für verschiedene ...
Ralf Zerback, 1961 geboren in Stuttgart, hat in Heidelberg und Frankfurt Geschichte studiert und 1993 promoviert. Er schreibt regelmäßig für verschiedene Medien, u.a. für ZEIT Geschichte.
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