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Lesebericht: Johann Friedrich Cotta, Ein Leben für die Literatur

Verfasst von Heiner Wittmann
11.5.2009

»Johann Friedrich Cotta. Der Verleger der deutschen Klassik: Die Hand über der ganzen Welt« Das Buch hat mich in den letzten zwei Wochen dauernd begleitet. Folgt man dem Einsatz des Verlegers für seine Autoren, zu denen unter vielen anderen auch Schiller und Goethe gehörten, seinem Geschick mit den Behörden umzugehen, seiner immer größeren Erfahrung die Buchproduktion seines schnell wachsenden Verlages zu steuern, seinem wunderbaren Gespür neue Autoren aufzuspüren, seinen finanziellen Rechnungen, dann wird deutlich, dass es eine Gratiskultur auch im Buchhandel kaum geben kann.

Die Autoren verlangen zur Recht ihr Honorar und kennen sehr wohl den Wert ihrer Werke, die Lieferanten wollen Geld sehen, die Buchhändler sind an ihren Rabatten interessiert und der Verleger wiederum kämpft für alle zusammen gegen die Raubdrucke und den Druckfehlerteufel: Hier die korrigierte Fassung mit neuen Druckfehlern schrieb er einmal. Kein Glied der ganzen Produktionskette, mit der das Wissen verbreitet wird, arbeitet kostenlos. Und die Arbeit des Verlegers wird grob fahrlässig unterschätzt, wenn man glaubt, man bräuchte ihn nicht. Im modernen PC-Zeitalter sind die Fallstricke auf dem Weg zur Veröffentlichung vielleicht nur noch größer, man unterschätzt sie, da man ja immer digital so schön korrigieren kann und man alles mit allem verlinken, verknüpfen und verühren kann.

Lesebericht: Johann Friedrich Cotta, Ein Leben für die Literatur

Klett-Cotta hat zum 350-jährigen Cotta-Verlagsjubiläum eine wunderbare Biographie des wohl bedeutendsten deutschen Verlegers veröffentlicht. Es geht um das Leben Cottas, um Ökonomie, um Literatur und um Geschichte und vor allem um den Wiederaufbau un dei Blüte eines Verlages in einer aufregenden Zeit, einer echten Zeitenwende. 1787 übernimmt der 23 Jahre alte Johann Friedrich Cotta (1764 -1832) die Cotta’sche Verlagsbuchhandlung in Tübingen und führt sie an die Spitze der Buchhandlungen in Deutschland. Sein erster Messebesuch zu Fuß zur Leipzig, und er ist überzeugt davon, dass er sich seine Autoren suchen muss, um sein Verlagsprogramm zusammenzustellen. Glück sicherlich, aber auch Sachverstand ist der Pate seines Erfolgs, und er ist vor Ort, so 1790, um in Paris mit eigenen Augen zu sehen, was sich dort zuträgt. Ein Aufklärer, der sich am Sturm auf die Bastille berauscht, der aber vor allem die Verkündung der Menschen- und Bürgerrechte begrüßt und sie ernst nimmt. Und er kümmert sich auch um die Rechte und die Interessen seiner Zunft, so im gleichen Jahr, als Herzog Karl Eugen um gesetzlichen Schutz und Beistand vor Raubdrucken bittet. Schließlich lernt Cotta Friedrich Schiller im März 1794 kennen. Ein neues Kapitel deutscher Verlagsgeschichte hat begonnen.

Betrachtet man sich aber alle Zeitungen und Zeitschriften, die unter immer neuen Namen im Cotta’schen Verlag erschienen, manchmal den Wünschen und Grillen der Autoren Rechnung trugen, manchmal auch nur zugunsten einer geschickten Umgehung der Zensur umgenannt werden, dann kann man über diese Vielfalt nur staunen, an der im Internet-Zeitalter selbst die zahlreichen Literatur-Blogs kaum kratzen können. Woran das liegt? Sie ahnen es, dass ich jetzt schon wieder zur Gratiskultur komme. > Digital ist eben nicht kostenlos. Da wird man gleich einwenden, das ist ja ein kommerzieller Verlagsblog, der Blog von Klett-Cotta. Weit gefehlt, die Bürozeit ist vorbei, und von Felix Salmon > Zehn Thesen, warum deutsche Blogs nicht funktionieren stimmt nur die 5., dass Blogger, wie eben Salmon, auch mal irren. Ich meinte die Vielfalt und gleich auch den schon berühmten Spruch von der Demokratisierung des Wissens, der heute gerade im Vergleich zu all dem, was Peter Kaeding der umfangreichen Korrespondenz, entnehmen kann nur in sehr begrenztem Umfang und eigentlich gar nicht dazu geeignet ist, das Zirkulieren der Ideen so recht im Schwung zu bringen.

Cotta war unserer Zeit voraus. Nein, ich verdrehe nichts. Es ist unglaublich, wie er als Verleger in das Paris der französischen Revolution reist, wo Köpfe rollen und er mit Ministern verhandelt. Später mischt er an entscheidender Position im Streit um Verfassungsfragen mit, Ende der zwanziger Jahre macht er mit an vorderster Front, wenn es um die Zollunion geht, wie Herr Genscher ständig unterwegs von Hof zu Hof. Er habe nur hinter den Büchern gehockt? Weit gefehlt! In die Dampfschifffahrt hat er investiert. Er war also für alles Neue aufgeschlossen, ist mitgefahren, hat sich begeistern lassen und nebenbei seinen Verlag durch an allen Klippen der Zensur vorbei manövriert. Und dauernd gerechnet. natürlich um Gewinn zu machen. Aber auch, um sich und der Kultur das ganze Unternehmen überhaupt erlauben zu können. Napoleon I. war eine Episode in seinem Leben, das vom Ancien Régime ihn in die Neuzeit katapultierte. Selten habe ich eine Biographie gelesen, die zwei Erzählstränge hat, einmal die Zeitgeschichte, die immer wieder mal auf Cottas literarische und kulturellen Erfolge zu sprechen kommt, und dann Cotta selbst, der sich von seiner Zeit nie treiben lässt, sondern die Ereignisse zugunsten seines Verlages und seiner Autoren zu nutzen versteht. Wenn der Blick auf die schwindende Seitenzahl immer betrüblicher wird, dann ist das Buch richtig gut. Die Lektüre dieses Buches mit der Zeitgeschichte zum einen und dann dem historischen Kontext zum anderen, der so wunderbar zu der Diskussion um e-books, Open-Access, Gratiskultur und dem Abgesang auf das Buch passt, denn hier wird gezeigt, was für eine wichtige Rolle der Verleger als Mittler der Literatur einnimmt, besonders dann, wenn er sich so wie Cotta für seine Autoren und einsetzt und sich gleichzeitig in seiner Zeit so engagiert.

Heiner Wittmann

P. S.

Während ich immer noch Peter Kaedings Buch über Cotta »Die Hand über der ganzen Welt. Johann Friedrich Cotta – Der Verleger der deutschen Klassik« lese, geht es parallel zu dieser Lektüre um die Frage Digital und kostenlos? Open Access. Eigentlich ging es zunächst nur um den Heidelberger Appel, dann hat sich hier die Diskussion immer mehr um Open Access gedreht, wobei es ja in einem gewissen Sinn auch um die Publikationsfreiheit geht, die Roland Reuß im Sinn hat. Zur gleichen Zeit lese ich, wie Cotta sich beim Wiener Kongress im Namen der 81 auf der Leipziger Buchmesse vertretenen Buchhandlungen für die Rechte der Verleger und Schriftsteller einsetzt. In Wien kommt es aber nicht zu konkreten Beschlüssen. Immerhin: „Artikel 18 der Bundesakte“ legt fest: „Die Bundesversammlung wird sich, bei ihrer ersten Zusammenkunft, mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit und Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen.“ (zi. bei P. Käding, S. 310) Vielleicht dürfen wir nicht alle Geschäftsfelder miteinander vermengen, ich habe bisher eher nur die Rechte der Autoren in einem eher allgemeinen Sinn – und nicht nur im wissenschaftlichen Bereich – im Blick, und das passt vielleicht gar nicht direkt zum Anliegen von Open Access. Die Kommentare zu den letzten Beiträgen auf diesem Blog vermitteln einige Einsichten, wobei auch die individuelle Entscheidung der Autoren und die prinzipielle Wahrung ihres Urheberrechts – das aber durch die beliebige Verwendung ihrer Texte nicht so ganz gewahrt scheint, unterstrichen wird.

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Beteiligte Personen

Peter Kaeding

Peter Kaeding, geboren 1942, war nach einem Musikstudium als Buchhändler und Sychronautor tätig und lebte seit 1977 freischaffend in Berlin. Er schrieb u....

Peter Kaeding, geboren 1942, war nach einem Musikstudium als Buchhändler und Sychronautor tätig und lebte seit 1977 freischaffend in Berlin. Er schrieb u. a. die Biographien »August von Kotzebue - Auch ein deutsches Dichter leben«, »Adolph von Knigge - Begegnungen mit einem freien Herrn« sowie den Roman »Die Avantgarde ist immer vorn«.

Peter Kaeding ist im Dezember 2015 verstorben.

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