Terror, ständige Gewalt und omnipräsenter Schrecken reichen alleine nicht, um Diktator zu werden. Der Untertitel von Frank Dikötters Buch „Populismus, Personenkult und die Wege zur Macht“ zeigt, dass die Verführung ein Teil der Machttechnik ist, wie es Despoten gelingen kann, eine Ein-Personen-Herrschaft zu errichten, die zwischen Zwang gegenüber dem unterdrückten Volk und Verherrlichung des Diktators durch das Volk oszilliert.
Populismus ist deshalb so gefährlich, weil es sich potentielle Diktatoren immer wieder herausnehmen, im Namen des Volkes zu sprechen, ohne von ihm wirklich legitimiert zu sein. Populisten versprechen Wundertaten, simple Lösungen aufgrund unzureichender Beurteilungen. Nicht unbedingt Gewaltakte sind es, sondern die Verführung – selbst wenn es sich um Gewaltakte handelt, die dem Volk als notwendig für eine bessere Zukunft verkauft werden, so dass das Volk jubelt, wenn es eigentlich unterdrückt und versklavt wird – ist so gefährlich, wie erfolgreich.
Der Personenkult wird gerne von Diktatoren in Abrede gestellt. Mussolini gab vor, daran kein Interesse zu haben und dennoch war der Kult um seine Person sein eigenes Werk. Die ins Detail konzipierte Figur des Duce, dessen öffentliches Auftreten immer minutiös geplant war und sein Image, „er schläft nie“ sollten stets die Illusion aufrechterhalten, der Duce sei nur für sein Volk da. 1923 begann bereits der Führerkult um Adolf Hitler der spätestens mit der Machtergreifung am 30. Januar 1933 in einen Führermythos überging: eine Verklärung, die seine Verbrechen und die des Regimes überstrahlen sollte.
Auf den Kampf um die Macht, das Ausschalten unliebsamer Konkurrenten, auf das Bemühen, als Wohltäter des Volkes zu erscheinen und die Suche nach dem Moment, folgte für Stalin ab 1929 der Aufbau des Personenkults, der zur Festigung seiner persönlichen Herrschaft beitragen, sie stützen und sie festigen sollte.
Misstrauen gegenüber den Gefolgsleuten. Je weniger dem künftigen Diktator treu ergeben sind umso besser. Das Misstrauen ihnen gegenüber, die Angst vor Konkurrenten, vor Attentaten oder ganz einfach, dass die Clique ihn im Stich lassen könnte, war allgegenwärtig und nur durch Terror zu begegnen. Er wird aber nur ein Teil der Inszenierung der Macht.
1948 mit der Ausrufung der Volksrepublik China beginnt auch ein kompromissloser Kult um Mao, der alle Lebensbereiche für die Glorifizierung seiner Person vereinnahmt. Rückschläge nicht ausgeschlossen. So wie Mao 1958 aufgrund der Wahrheit, die in seinen Händen liege, von allen als Führer verehrt werden sollte. (vgl. S. 165) Widerspruch war nicht vorgesehen oder wurde bestraft. 1946 hatte Kim-Il-sun es geschafft, von dem Schriftsteller Han Sor-ya als „unsere Sonne“ bezeichnet zu werden.
Oft ist es Diktatoren keinesfalls in die Wiege gelegt worden, eine Gewaltherrschaft zu gründen. So auch François Duvalier, der 1957 zum Präsidenten von Haiti gewählt wurde. Er und eigentlich alle anderen Diktatoren nutzen günstige Umstände, um fast immer im Namen des Volkes mit vermeintlichen Wohltaten zu erscheinen, um sich dann seiner Zustimmung zu vergewissern. Diese Momente stellt Dikötter bei jedem der in seinem Buch genannten Diktatoren vor. Also eine Art vergleichende Geschichtsschreibung, die tatsächlich durch den Vergleich interessante Parallelen bei der Begründung des Personenkults aufdeckt. Natürlich fanden alle ihr wohlverdientes Ende und auch das war immer eine Art Interpretation ihrer Herrschaft. Mussolini wurde legal abgesetzt, Hitler beging Selbstmord und Ceausescu wurde zusammen mit seiner Frau nach einem kurzen improvisierten Prozess erschossen, Mengistu suchte das Heil in der Flucht. Die Völker lassen sich zwar unterdrücken, aber das Ende der Diktatoren kommt immer, sobald sich im Volk wieder etwas Hoffnung regt, wenn im Volk die Illusion und das Schauspiel der Macht durchschaut wird, wenn es beginnt, daran zu zweifeln, wenn die Allmacht des Herrschers wankt, dann kann dieser nur noch selten und mit großen Mühen – unter Zuhilfenahme des Personenkults gepaart mit Gewalt und Unterdrückung – eventuell nochmal etwas korrigieren und dennoch: sein Ende kommt immer.
Mengistu gelang es in Äthiopien, sich im Derg, dem „Koordinationskomitee der Streitkräfte, Polizei und Territorialarmee“, den einige militärische Führer nach den Unruhen von 1974 gründeten, durchzusetzen, obwohl er der schwächste von ihnen war (vgl. S. 266-268). Er war das Staatsoberhaupt von 1977-1991. Oft blieb er im Hintergrund, zog aber umso intensiver alle Fäden. Es kam, wie es kommen musste, 1976 entging er einem Anschlag, nahm diesen aber zum Anlass, um unliebsame Gegner auszuschalten. Immer das gleiche Muster. „Unsere Feinde hatten uns zum Mittagessen vorgesehen, aber wir verspeisten sie zum Frühstück,“ soll er danach erklärt haben. Öffentliche Auftritte wurden sorgfältig inszeniert, das kennt man von den anderen Diktatoren.
Die Ämterhäufung, Präsident, Generalsekretär, Oberbefehlshaber, Führer oder Duce, reichen den Diktatoren nie, sie wollen immer mehr, stets nach Höherem streben und merken manchmal nicht, dass der Bogen längst überspannt ist.
Personenkult reimt sich immer mit Angst. Nach vorne Bewunderung und im Stillen Furcht, Unterwürfigkeit und manchmal auch schon Opposition. Genauso wie die Untertanen Angst haben, haben ihre Diktatoren auch Angst und sie ist es, welche beide aneinanderbindet. Solange der Herrscher sich Chancen ausrechnet, solange entscheidet er gerne allein. Regt sich Widerstand übernimmt er das Geschäft der Unterdrückung. Wird der Widerstand zu groß, aber nicht groß genug, kann es zum Bürgerkrieg kommen.
Acht Diktatoren stellt Frank Dikötter in seinem Buch vor und immer ist simpler Populismus eine Karrierehilfe für neue Diktatoren. In diesem Sinne ist dieses Buch auch eine Warnung vor dem Populismus, dessen Gefahren so leicht grob fahrlässig unterschätzt werden. Das Volk freut sich über einfache Vorschläge für schwerwiegende Probleme und nimmt Politikern gerne das Versprechen ab, dass sie nur für ihr Volk da seien. Hin und wieder passt das Volk nicht auf und wacht zu spät auf.
Vor seinem Umzug nach Hong Kong war Frank Dikötter Professor of the Modern History of China an der School of Oriental and African Studies an der Universität in London. Jetzt lehrt er im Historischen Seminar der Universität in Hong Kong. Für sein Buch Mao’s Great Famine erhielt er 2011 den Samuel Johnson Prize for Non-Fiction. Er ist auch Senior Fellow der Hoover Institution.
Heiner Wittmann
Frank Dikötter, geboren 1961 in Kerensheide in den Niederlanden, lehrte chinesische Geschichte an der School of Oriental and African Studies in London (SO...
Frank Dikötter, geboren 1961 in Kerensheide in den Niederlanden, lehrte chinesische Geschichte an der School of Oriental and African Studies in London (SOAS). Seit 2006 ist er Professor of Humanities an der Universität von Hongkong. Für sein Buch »Maos Großer Hunger« erhielt er den angesehenen BBC Samuel Johnson Prize.
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