Sven Felix Kellerhoff hat – wie der Untertitel es ausweist – eine Geschichte der »NSDAP und ihrer Mitglieder« verfasst. Die Bücher über die Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 füllen Bibliotheken und es doch kommen immer berechtigterweise neue Untersuchungen dazu, die die Mosaiksteine etwas verschieben, neue Interpretationen vorlegen, und diese dunkle Epoche immer besser verständlich werden lassen. Im Zentrum steht die Person Adolf Hitlers.
Kellerhoff hat keine Biographie Hitlers im Sinn, sondern folgt exakt dem Titel seines Buches. Es geht um die Geschichte des Aufstiegs der NSDAP, wobei er mit der Gründung des „Freien Arbeiterausschusses“ und der Gründung der „Deutschen Arbeiterpartei“ DAP 1919 beginnt, die Hitler im September 1919 als Mitarbeiter der Propagandaabteilung des Gruppenkommandos der Reichswehr in Bayern im Sterneckerbräu in der City von München auskundschaften sollte.
In den folgenden 12 Jahren wird immer deutlicher, wie stark der Einfluss der Person Hitlers die Ereignisse beeinflusste. Schon am 2. Mai 1920 benutzte Hitler das Kürzel NSDAP bei einer Rede in Rosenheim.
Kellerhoff legt mit seinem Buch eine wichtige Ergänzung jeder Hitler-Biographie vor, indem er eine Art sozialer Geschichte der Mitgliederschaft der NSDAP verfasst. Wo kamen ihre Unterstützer her und wie wandelte sich die Partei, um die sie immer wieder bedrohenden und auch tatsächlichen Verboten zu umgehen? Kellerhoff geht auch auf die Machtkämpfe innerhalb der Führungszirkel der Partei ein. Vor allem zeigt er, wie diese Partei und ihre Unterstützer von Anfang an auf einen radikalen Antisemitismus, einen nicht widerspruchduldenden Rassismus, auf Gewalt gegenüber Andersdenkenden eingeschworen wird. Der Führerkult entstand keineswegs nach 1933 sondern wurde von seinen Anhängern schon ab den ersten großen Versammlungen 1921 von seinen Anhängern als Bestandteil der Ideologie der Partei verstanden und gepflegt.
Verbote, Gegenwehr der demokratischen Parteien im Reichstag, öffentliche Kritik, neudeutsch der öffentliche Diskurs der Intellektuellen werden von Kellerhoff insoweit behandelt, wie Entscheidungen und Reaktionen der NSDAP darauf erfolgen und die zum Verständnis der Entwicklung dieser Partei notwendig sind. Es ist bei einer vergleichbaren Studie immer leicht auf Lücken hinzuweisen, denn angesichts der stetig zunehmenden Anhängerschaft der NSDAP muss auch die Frage nach den politischen Reaktionen auf diese Extremisten gestellt werden, die aus ihren demokratie- und republikfeindlichen Absichten keine Hehl, sondern ein Programm machten. Der Kampf gegen die etablierten Parteien, gegen das System stand von Beginn an auf ihren Fahnen, Hetze gegen alles, was nicht deutsch war und die latente und später so offene Androhung von Gewalt und der unbändige Hass auf die Juden.
Das Buch erscheint zu einem Moment, wo gerade eine große Fraktion der AfD in den jüngst Bundestag eingezogen ist. Eine Partei, die mit Europa und seinen Erfolgen, den Krieg unter seinen Mitgliedsstaaten zu verbannen, wobei diese Erfolge auf die 47 Mitglieder des Europarates eigentlich auszudehnen sind, nicht viel anfangen kann, die offenkundigen Rassismus gegenüber Migranten zu verstehen gibt, der die Menschenrechte nicht so geläufig sind und deren Erscheinen die Frage aufwirft, ob man > Mit Rechten reden soll, muss oder kann? „Wehret den Anfängen,“ so hätte auch der Untertitel der Studie Kellerhoffs lauten können, eine Anregung zum Nachdenken, wohin das Auftauchen einer rechtspopulistischen oder -extremen Partei führen kann – wenn ihr nicht entschiedenerweise und kompromisslos geantwortet werde. Gewiss, man wiegelt ab, man weist auf die heutige Stärke der deutschen Demokratie hin – man weiß aber auch, dass man nach acht Jahren großer Koalition das Erstarken der Ränder und besonders des rechten Randes in Kauf genommen hat.
1932 erschien von Ernst-Robert Curtius Deutscher Geist in Gefahr, (1) und wurde viele Male noch bis in den Herbst 1933 oft zustimmend rezensiert: „Die Jahreswende von 1931 und 1932 ist die wichtigste seit Ende des Weltkriegs. Alle Menschen in Deutschland spüren, dass das Jahr 1932, in das wir soeben eingetreten sind, ein Jahr der großen Entscheidungen,“ steht auf der ersten Seite. Vielleicht war Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 nicht die eigentliche Zensur, so wie sie in den Geschichtsbüchern als das Ende der Weimarer Republik gesehen wird. Das Gift, das die Republik von Anfang an zersetzte, war die Suche nach Schuldigen, den Juden, die Gewalt und der Hass, der Aufstieg des Rechtsextremismus, der Kampf gegen die Demokratie. Karl Mannheim wurde 1927 in Heidelberg die Habilitation versagt. Er war Jude. Das Geistesleben konnte sich dem braunen Schund offenkundig nicht erwehren.
Totalitär, unbedingte Gefolgschaft dem Führer gegenüber, die gewaltsame Durchsetzung der einfach gestrickten Parolen mit vielen Berichten einfacher Parteimitglieder vom Autor ausführlich belegt, zeigt Kellerhoff auch die Verführung der NSAP gegenüber ihren eigenen Mitgliedern, die alle in irgendeiner Form kleine Pöstchen und immer irgendwie Macht über andere, sei es als Individuen oder im Rahmen eines Zusammengehörigkeitsgefühls dominiert vom Führer schnell als Auszeichnung begriffen und ausnutzten. Verführung, das ist das Wort, Suggestion von Größe, Ruhm und Überlegenheit, das sind die Ingredienzien der NSDAP, die nach der Machtergreifung erst einmal einen Aufnahmestopp verkünden ließ, da sie die massenhafte Eintritte nicht bewältigen konnte. Verführung, Täuschung? Die NSDAP hatte ihre Ziele von Anfang an laut vertreten und damit die Macht errungen. Also doch. Wehret den Anfängen.
Heiner Wittmann
1. Vgl. D. Hoeges, > Kontroverse am Abgrund: Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim. intellektuelle und > freischwebende Intelligenz < in der Weimarer Republik, Frankfurt/M. 1994, S. 141-161.
Sven Felix Kellerhoff, geboren 1971 in Stuttgart, studierte Zeitgeschichte, Alte Geschichte und Medienrecht. Seit mehr als 20 Jahren ist er Leitender Reda...
Sven Felix Kellerhoff, geboren 1971 in Stuttgart, studierte Zeitgeschichte, Alte Geschichte und Medienrecht. Seit mehr als 20 Jahren ist er Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der Welt. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Sachbücher, unter anderem über Hitlers "Mein Kampf" und über die NSDAP (beide erschienen bei Klett-Cotta).
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