Napoleon I. (1769-1821), General, Konsul und Kaiser der Franzosen beschäftigte seine Zeitgenossen und ihre Nachfahren mehr als jede andere Persönlichkeit im 19. Jahrhundert. Sein Aufstieg war grandios – einige Zufälle kamen gerade recht – aber es war auch sein persönlicher Machtwille wie auch die Gabe seines strategischen Denkens, seine militärischen Erfolge wie auch die mit großer Energie durchgeführte Reform der Verwaltung, sein Bemühen Frankreich nach der Revolution wieder zu einen, was alles zusammengenommen vor (!) und nach seinem Tod auf St. Helena am 5. Mai 1821 zu der Verklärung seiner Person beitrug.
Noch sein Neffe > Napoleon III. bereitete seinen Aufstieg mit der Erinnerung an seinen Illustren Onkel vor, dessen Ideen er in seiner Schrift „Des idées naoléoniennes“ aufgriff aber auch vorsichtig korrigierte.
> Nachgefragt: Johannes Willms, Der Mythos Napoleon. Verheißung . Verbannung – Verklärung
Das Buch von Johannes Willms > Der Mythos Napoleon ist gerade bei Klett-Cotta erschienen. Der Untertitel erklärt diesen Mythos mit Verheißung, Verbannung, Verklärung. Seine militärischen Erfolge, sein politischer scharfer Instinkt führten ihn zum 18. Brumaire und als Kaiser an die Spitze Frankreichs. Seiner unbeschränkten Herrschaft folgten im April 1814 der jähe Absturz und die Verbannung nach Elba.
Am 1. März war der Mythos wieder zurück und nach der Herrschaft der 100 Tage musste er erneut ein Schiff besteigen, dass ihn diesmal nach St. Helena brachte. Wieder ein Absturz , heute würde man sagen, mit Ansage, aber fernab von Europa auf St. Helena strickten gleich mehrere Autoren am Napoleon-Mythos, der von den Schriftstellern in Frankreich aufgegriffen wurde: Mythos und Verklärung bestimmten das Napoleon-Bild.
Johannes Willms erklärt in seinem Buch, die „so langanhaltende Faszination dieses Mannes … die er trotz seines eklatanten Scheiterns behauptet.“ (S. 7) Willms unternimmt den Versuch, die Gründe für die „kontroverse Faszination“ dieses „historischen Phänomens Napoleon“ (S. 8) zu nennen. Napoleon Bonaparte wurde nicht erst als Kaiser mit seinem Mythos geadelt, er selber war sich noch in der Phase seines Aufstiegs über die Kraft und die Bedeutung des Mythos bewusst und begann folglich schon so früh die Verklärung um seine Person zu fördern. Deshalb beginnt das erste Kapitel dieses Buches unter der Überschrift “ Der Mythos“ und in 1.1. stellt Willms die verfassungsrechtliche Situation 1795 mit der Verfassung des Jahres III und ihrem fünfköpfigen Direktorium vor: vgl. S. 14 , 18. Deren Verfassungsväter wollten eine erneute Diktatur wie unter Robespierre verhindern und im Nachhinein kann man erkennen, wie sie Napoleon Bonaparte den Weg ebneten. Dieser erkannte die Sehnsucht nach Frieden und einem Ende der Revolution und damit seine (persönlichen) Chancen und war sofort bereit, sein eigenes Drehbuch zu schreiben.
Die ersten Gefechte, bei denen Napoleon Bonaparte sein strategisches Geschick demonstrieren kann, finden in Paris statt: Erst eine Feuersalve auf die Aufständischen und dann nur noch Salutschüsse. Der Schrecken reicht. Der Plan des künftigen Feldherren geht auf und das Kommando über die „Armée de l’intérieur“ geht auf ihn über – für vier Monate, dann bekommt er am 2. März 1796 den Oberbefehl über die Italienarmee. Willms erläutert die Zielstrebigkeit des jungen Generals und lässt dabei die für ihn günstigen Umstände nicht aus dem Blick. Willms Darstellung ist so geschickt, genug Fakten, damit in der Klasse, im Geschichtskurs oder im Seminar auch diskutiert werden kann: Genialer Strategiekopf oder einfach nur Glück? Oder wieviel von jedem?
Die Italienfeldzüge Napoleons, ihre Erfolge und den Eindruck, den sie auf das Direktorium in Paris machten, war ein stetes Wechselspiel. Hinter seinen Erfolgen verblassten die aller anderen französischen Generäle. Das war nicht mehr nur Glück, Napoleon hatte schnell gelernt, sein eigenes Charisma geschickt zu formen und einzusetzen. Willms verfolgt seine Berichte von den Feldzügen, die Überschätzung seiner Erfolge und zeigt, wie geschickt, der künftige Kaiser Kriegspropaganda zugunsten des persönlichen Erfolgs betreibt.
Aber auch hier gilt, dass Strategie und Fortuna voneinander abhängen Napoleon wusste, wie er Fortuna in Schach halten konnte. Machiavelli hatte das ja in seinem Buch vom Fürsten genau erklärt. Und dann kam die Medienpropaganda hinzu, die so einen starken Eindruck mit „Holzschnitten, Kupfern und Ölgemälden“ (S. 48) machte, deren Kompositionen seinen Ruhm nur noch verherrlichten: Die Macht des Bildes, so wie heute, wenn eine negative oder positive Meldung über einen Politik verbreitet wird und die Presse ein Bild dazu liefert, dass den entsprechenden Eindruck verstärken soll, auch wenn das Bild nur aus dem Archiv kommt. Bald hatte Napoleon das Direktorium da, wo er es haben wollte. Es kamen keine Anweisungen mehr aus Paris, sondern eher nur höfliche Anfragen: vgl. S. 73. Bei der Neuordnung Norditaliens riet ihm das Direktorium, die Verfassung der Republik eigenhändig zu entwerfen und vorher die Amtsinhaber zu ernennen, dann des Gesetzeskodex zu formulieren. Willms zeigt, wie Napoleon die Lektion lernt und später so die Consulats-Diktatur gründet: vgl. S. 82.
Bonaparte versuchte im Brief vom 21. September 1792 die Kritik Talleyrands an den Fehlern der Revolution zu zerstreuen und schob die Schuld, dass Frankreich „noch immer keinen eindeutigen Begriff vom Wesen der Politik habe,“ (S. 87) Montesquieu zu, der nicht klar auseinanderhalte, was man unter Exekutive, Legislative oder Judikative verstehe. Ob sich Napoleon Bonaparte da nicht irrte (Cf. Montesquieu, L’esprit des Lois, Livre XI, Chapitre VI) oder bewusst irren will, um Montesquieu zu kritisieren, damit er seine eigenen Vorstellungen entwickeln kann? Wir kennen das , es wird etwas behauptet, man kritisiert es und dann kommt die eigene „Lösung“. „Die Inszenierung der Macht“ so hätte ich dieses spannende Kapitel „Der Politiker“ genannt. Aber Napoleon war auch ein Spieler (S. 106-134) und dann Der Heiland, S. 135-164: Auf nach Ägypten. Aber gare à l’opinion publique: Bonaparte musste stets auf der Hut sein: „Die wenigen Wochen, die er sich nach seiner Rückkehr aus Italien in Paris aufhielt, hatten ihm gezeigt, dass die Lorbeeren hier rasch welkten. Dieser Prozess wurde noch dadurch beschleunigt, dass die Gemüter der Zeitgenossen infolge der revolutionären Gärung noch immer heftig moussierten und sie deshalb in raschem Wechsel ihre Idole verschlissen.“ (S. 138) Heute gefeiert, morgen gefeuert und vergessen.
Er siegte weiter und am 6. Oktober 1799 traf die Meldung vom Sieg in Abukir vom 27. Juli in Paris ein. Die zeitlichen Verzögerungen waren für Napoleon wohl kein Nachteil, wusste er doch sie geschickt einzusetzen. Die Bühne war bereitet. Der Paukenschlag erfolgte mit dem Staatsstreich des 18. Brumaire VIII am 9. November 1799.
Die Grundlagen sind gelegt. Zweites Buch: Das Evangelium. 1o Jahre dauerte das Kaiserreich. Die Revolution beenden? Sie zu exportieren? Oder waren seine guten Absichten nur ein „Etikettenschwindel“ allein zugunsten der umumschränkten Macht am besten gleich über ganz Europa, Russland eingeschlossen: Deshalb heißt dieses Kapitel „Jedem Ende wohnt ein Anfang inne.“ Willms zitiert aus den Briefen Napoleons, sachgerecht und präzise ausgewählt, immer weitere Dokumente in das Dossier, das ein Urteil über den Kaiser, seine Beweggründe, seine Absichten und Vorstellungen erlauben.
Nach der Herrschaft der Hundert Tage und der Schlacht von Waterloo folgte die endgültige Verbannung nach St. Helena, wohin ihm ein kleiner Hofstaat von dreiundfünfzig Personen folgte. In diesem zweiten Teil des Buch legt Willms eine Interpretation vor, so wie die auch konkurrierende Memoirenschreiber auf der Insel das Erbe des Kaiser mehr oder weniger im Dialog mit dem Kaiser arbeiteten, analysierten oder mit Napoleon diskutierten. Allen voran Emmanuel Las Cases, der das „Mémorial de St. Hélène“ (Das Evangelium nach Las Cases, S. 247-272) verfasste. Leidensgenossen (S. 198-221), die der Nachwelt ein Bild des „Messias der Revolution (S. 222-246) übermitteln wollten.
Nach seinem Tod am 5. Mai 1821 beginnt das nächste Kapitel Die Apotheose (S . 273-344) mit einer Art Fernwirkung, die seinen Neffen als > Napoleon III. am 2. Dezember 1852 auf den Kaiserthron bringen wird. Mit der Julimonarchie begann auch unterstützt durch die Schriftsteller und Dichter eine neue Phase der Napoleon-Legende. Eine Verklärung seiner Person, die so mächtig wurde, dass Kritiken am Kaiser immer leiser wurden. Waterloo wurde allmählich vergessen, die Schriftsteller gewannen die Oberhand und der Mythos und die Legende, die sich um die großen Taten des Kaisers rankten, wurden immer populärer. Man hatte Mitleid mit seinem Leiden auf dem Felsen von St. Helena. Das Regime wähnte sich in völliger Sicherheit, stimmte sogar der feierlichen Rückführung der sterblichen Überreste des Kaisers zu. Napoleon kam auf die Vendôme-Säule, zunächst anscheinend unerreichbar hoch, dann aber doch als Menetekel schwebend über der Julimonarchie, die 1840 den zweiten Staatsstreich seines Neffens erlebte, der daraufhin auf Lebenszeit in das Fort Ham in der Somme eingesperrt. Als er 1846 flüchtete, wusste er noch nicht, dass sein dritter Staatsstreich als 1848 erstgewählter Staatspräsident am 2. Dezember 1851 erfolgreich sein sollte und ihm die Macht auf 10 Jahre sichern sollte. Der Neffe vorerst im Gefängnis und der Onkel im Invalidendom.
Willms ist es gelungen, uns alle Ereignisse zu präsentieren, deren Verklärung den Mythos rund um den Kaisers im 19. Jahrhundert so erfolgreich schuf. Napoleon Bonaparte versprach die Revolution zu beenden, wollte sie dann aber doch exportieren und andere Völker befreien. Vergessen schienen die ungeheuren Opfer, die das französische Volk auf den Schlachtfeldern gebracht und verursacht hatte. Aufstieg und Sturz lagen so nahe beieinander. Vielleicht konnte seine Verklärung nur so stark werden, weil sein Mythos schon vor seinem Staatsstreich sich um seine Person rankte.
Heiner Wittmann
Johannes Willms (1948–2022) war Feuilletonchef und Kulturkorrespondent der »Süddeutschen Zeitung« in Paris. Er galt als einer der besten Kenner der Geschi...
Johannes Willms (1948–2022) war Feuilletonchef und Kulturkorrespondent der »Süddeutschen Zeitung« in Paris. Er galt als einer der besten Kenner der Geschichte Frankreichs. Der Historiker ist Autor der erfolgreichsten Napoleon-Biographie.
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