In einer Zeit, in der uns Populisten den Hass gegenüber allem Fremden einreden wollen, in der zu Recht wieder vor aufkeimenden Rassismus gewarnt wird, in einer Zeit, wo so viele gerne immer noch oder jetzt wieder den Flieger nehmen, um sich an Sonnenstränden in fernen Ländern mehr oder weniger weit weg vom dortigen Elend zu bräunen, kommt dieses Buch »Mit offenem Blick. Begegnungen mit fremden Kulturen« von Gerhard Schweizer gerade zum richtigen Zeitpunkt. Mit ihm reisen Sie bei der Lektüre dieses Buches rund um die Welt. Schweizer, der seit 1960 ständig unterwegs ist, nimmt sie mit auf eine Entdeckungsreise.
Viele Lehren können aus diesem spannenden Buch gezogen werden: Reisen bedeutet nicht nur, mit offenen Augen die Welt zu entdecken, sondern auch mit den Einheimischen zu reden, dann erfährt man noch doppelt soviel, besonders wenn man ihnen dazu auch noch die Mahlzeiten und auch die Reisewege teilt. Besonders bemerkenswert ist Schweizers Sichtweise über die Jahrzehnte hinweg. Wo früher Felder sich erstreckten, haben sich Betonwüsten und Megamillionenstädte breitgemacht. Das Muster ist immer das gleiche: Bauboom, ungebremste und unkoordinierte Industrialisierung, Vernachlässigung der Bauernschicht, keine Alphabetisierung, keine Bildung, sprunghaft zunehmende Verarmung ohne Zukunftsperspektiven.
Schweizer erinnert daran, dass die „Begegnungen mit fremden Kulturen auch eine Selbsterfahrung, eine Begegnung mit dem eigenen Ich, bedeutet.“ (S. 23) Schon dieses Buch regt zum Vergleich an… bis man schließlich auf die Idee kommt, dass unsere Lage Europa im Vergleich zum Elend in der Welt wie eine Insel der Glückseligkeit uns erscheinen müsste und wenn wir dann noch einmal genauer hingucken und die Abhängigkeiten jeder Art im Rahmen der Globalisierung uns vor Augen halten, dann merken wir, dass unser Wohlstand keineswegs nur auf uns allein beruht. Ein bisschen Demut in dieser Angelegenheit würde uns gut tun. Diese Demut würde auch das Interesse an anderen Ländern verstärken.
Unsere Politiker sprechen so oft davon, dass man Fluchtursachen bekämpfen wolle. Das können angesichts der mit dieser Absicht verbundenen Megaaufgabe nur Lippenbekenntnisse sein. Addiert man (vgl. S. 255-296) alle Ursachen zusammen, die die Hoffnungslosigkeiten der zum Aufbruch bereiten Migranten bestimmt, muss man das Gefühl bekommen, dass wir machtlos vor eine Mammutaufgabe stehen, die durch die kommende Klimakrise nur noch größere Dimensionen annimmt. Die Folge werden Migrationsströme weltweit sein, von denen die Zahl der Ankömmlinge 2015 in Deutschland nur ein sehr, sehr kleiner Vortrupp war. Was kann man jetzt tun? Zuerst muss man die Ursachen, die historischen Grundlagen, ein wenig Ökonomie zusammen mit Stadtsoziologie aber auch der Notwendigkeit sozialer Reformen verstehen, um überhaupt Ansatzpunkte für die Reduzierung des menschlichen Elends in den Ballungsräumen dieser Welt zu finden.
Gerhard Schweizer legt mit seinem Buch zugleich auch eine Geschichte des Reisens, ja des Massentourismus von 1960 bis heute vor. Reiste er noch oft durch ganze Kontinente nacheinander mit dem Zug, kann er heute in der Rückschau erzählen, wo mit welcher Geschwindigkeit die Hotelburgen an Küsten entstanden, die wie eine Fortsetzungen der Massenindustrialiserung, den unteren Schichten eigentlich nichts nutzten. Auf der Suche nach Exotik und fremden Paradiesen merkten die Touristen kaum, dass gerade ihre Massen ihnen diese Exotik zunehmend verborgen haben.
Schweizers Grenzerfahrungen (S.45-49) enthalten Hinweise auf aufkeimende Ressentiments, die aus Verzweiflung entstehen, aus der Aussichtslosigkeit, die zum Nährboden eines völlig irrationalen religiös motivierten Terrorismus werden und Mörder um die Welt reisen lassen, weil obskure Prediger ihnen als Märtyrer den Eintritt in das Paradies versprochen haben. Diese Spirale der Gewalt kann nur durch Bildung und verbesserte wirtschaftliche Aussichten durchbrochen werden.
Die vielen Zahlen, vor allem zur Bevölkerungsentwicklung, die Schweizer präsentiert, sind keineswegs nur Illustrationen seiner Ausführungen, er legt uns mit ihnen präzise Hinweise auf Entwicklungen vor, die oft das Versagen jedes Reformansatzes erklären. Fehlende Bildung, fehlende Sozialsysteme, mangelnde Geburtenkontrolle, Fehlen jeder Hygiene, alles schaukelt sich gegenseitig auf und führt zu dem unermesslichen Elend und der Armut in den Elendsquartieren der Millionenstädte.
Dieses Buch ist kein bloßer Reisebericht, es ist ein kluger Führer, der uns lehrt – der Titel passt hier vorzüglich – die Welt mit mit offenem Blick zu erkunden. Er lehrt auch den Touristen von heute Die Begegnung mit anderen Kulturen: was, so sollten sich die Fernreiserückkehrer fragen lassen, haben Sie von der Kultur, den sozialen Problemen, den Hoffnungen vieler Gesellschaftsschichten, den Reformhoffnungen, der Not oder dem Elend Ihres Gastlandes gesehen? Denn, öffnet man die Hochglanzkataloge vieler Reiseanbieter, sieht man dort noch immer nur das Versprechen auf wunderschöne Strände…
Schweizers Epilog „Ich bin ein Europäer“ (S. 283-296) erinnert wieder an den eingangs angeführten Hinweis, das eigene Land auch mit anderen Augen zu sehen. Ja, nach der Lektüre dieses Buches, haben Sie vielleicht doch einen anderen Blick auf die Europäische Friedensunion…, die soviel vom Rest der Welt profitiert, so dass sie ihr auch viel zurückgeben kann… könnte… wenn wir die Globalisierung so verstehen, wird etwas daraus, sowie der Hass und der Rassismus aus Unkenntnis fremder Kulturen sich da einmischt, wird nichts daraus, so fassen wir die Botschaft dieses Buches zusammen.
Heiner Wittmann
Wir zitieren hier aus unserer Korrespondenz mit dem Autor:
Stuttgart de, 27. August 2020
Lieber Herr Schweizer,
heute waren wir beide fast den ganzen Tag quer durch die Welt miteinander unterwegs. Zum ersten Mal konnte ich ein wenig mithalten und hätte Ihnen auf unserer Reise gerne von meinen Erlebnissen 2008 in der Medina in Fes erzählt > www.romanistik.info/un-voyage-au-maroc-ii-fes – der junge Mann, der auf mich zu kam und unbedingt etwas über die Medina erzählen wollte… danach wollte er auch unbedingt Geld haben… wollte auch mehr Geld bekommen… da wurde es mir etwas schummerig… war erleichtert, als er mich dann endlich – zufriedengestellt – stehen ließ, das war in einer Seitengasse… niemand drumherum und ich war froh als ich wieder unter Menschen war – hätte ich bloß vorher Ihr Buch gelesen.
Habe Ihr Buch von gestern Abend bis heute Mittag ganz gelesen – wir sind also zusammen gereist – und morgen früh setze ich mich an den Lesebericht. Meine Erwartungen haben Sie voll und ganz erfüllt. Sie haben eine Pflichtlektüre für alle verfasst, die mit fremden Kulturen bei uns nichts anfangen können, nebenbei zeigen Sie auch sehr geschickt, wie wenig nützlich es ist, z. B. von den Indern oder den Moslems zu sprechen, ohne auch den einzelnen Menschen in ihnen zu sehen, das wird deutlich, wenn Sie über Ihre vielen sehr spannenden Einzelbegegnungen berichten. Damit kann man auch gut erklären, dass jeder Flüchtling, der zu uns kommt, ein individuelles Schicksal mitbringt.
Das Gewicht Ihrer Reiseerfahrung, eingängig und klug erklärt, haben dieses Buch für mich zu einer sehr lehrreichen Lektüre gemacht. Es stecken ja auch politische und wirtschaftliche Lehrgrundsätze darin, gepaart mit das, was Stadtsoziologie genannt werden kann. Hinzu kommt die Klimawende, wie eine kommende Katastrophe, deren Ausmaße gar nicht im Blick sind. Übrigens, Sie weisen auch ausführlich auf die Ursachen hinsichtlich der Migrationsbewegungen hin. Unsere Politiker sprechen oft davon, man müsse die Ursachen bekämpfen… das sind löbliche Absichten, aber alle scheinen ziemlich machtlos zu sein angesichts der sozialen und ökonomischen Bedingungen, die eine Migrationswelle für die Welt bereit hält, von der wir erst die Vorboten erahnen konnten. Bevor man sich an die Ursachen heranmacht, muss man erst einmal die Ausgangsbedingungen verstehen und dafür Ihr Buch zur Hand nehmen,
Ich wiederhole meinen Dank für diese anregende Lektüre, freue mich auf unser Gespräch,
mit besten Grüßen, auch an Ihre Frau,
Heiner Wittmann
Gerhard Schweizer, 1940 in Stuttgart geboren, promovierte an der Universität Tübingen in Empirischer Kulturwissenschaft.
Heute lebt er als freier Sch...
Gerhard Schweizer, 1940 in Stuttgart geboren, promovierte an der Universität Tübingen in Empirischer Kulturwissenschaft.
Heute lebt er als freier Schriftsteller in Wien, wenn er nicht gerade auf Reisen recherchiert und Material für neue Reportagen und Bücher sammelt.
Er ist einer der führenden Experten für die Analyse der Kulturkonflikte zwischen Abendland und Orient und gilt als ausgewiesener Kenner der islamischen Welt. Gerhard Schweizer hat dazu mehrere Bücher veröffentlich...
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