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Lesebericht: Ulinka Rublack, Die Geburt der Mode. Eine Kulturgeschichte der Renaissance

Verfasst von Heiner Wittmann
26.9.2022

Ein faszinierendes Buch, das seinen Auftaktsatz vollständig und umfassend einlöst: „Dieses Buch zeichnet ein neues Bild der Renaissance mit Blick auf die äußere Erscheinung der Menschen: was sie trugen, wie sich bewegten, welche Bilder sie von ihrem Aussehen entwarfen und wie all dies die Identität von Männern und Frauen prägte.“ (S. 12) Es sind die Kleider, die (nicht nur in der Renaissance) immer schon eine reiche Symbolsprache vermittelten: „auf die die Menschen reagierten, die sie missverstanden, über die sie sich amüsierten und über die sie stritten.“ (ib.) So wie die Jahre von etwa 1470 bis 1530 einen so spannenden Epochenwandel auf allen Gebieten, vor allem der Kunst repräsentieren, so betrifft dieser Wandel auch das Aussehen der Menschen, deren Gewänder dieses Epochenwandel dokumentieren.

Lesebericht: Ulinka Rublack, Die Geburt der Mode. Eine Kulturgeschichte der Renaissance

Betrachtet man die Bildnisse von Albrecht Dürer, so muss man unweigerlich auf die Idee zu diesem Buch kommen. Er steht am Anfang der Einleitung zu diesem Buch und dient mit seinen Selbstbildnissen der Autorin dazu, die Perspektive auf ihr Thema weit zu öffnen. Über Das Drapierte und das Genähte wird der Bogen zu Bildakten gespannt: Und die Autorin bringt ihr Vorhaben auf den Punkt: „In diesem Buch geht es also kurz gesagt um zur Schau gestellte Kleidung und ihre bildliche Darstellung als Teil kultureller Auseinandersetzungen über Darstellung und Identität, die die Dynamik der frühmodernen Gesellschaft ganz neu ausdrücken.“ (S. 43) Es ist also die Kleidung der Menschen der Renaissance, die ihr Zeitgefühl ausdrückt und an der sich das Bewusstsein über den Epochenwandel ablesen lässt.

Die Autorin konzentriert ihre Darstellung auf Deutschland und beschreibt aber auch die Einflüsse aus den großen Zentren der Nachbarstaaten: „Kleidung wurde offenbar im Dialog mit dem Körper wahrgenommen…“ (S. 61)

Das zweite Kapitel dem Blick auf sich selbst ist dem Werk des Augsburger Matthäus Schwarz (1497-1574) gewidmet, der sein Trachtenbuch – das Klaidungsbuechlin (S. 65-132) in seinem Leben mit 140 Aquarellbildern seine Kleider füllte, beginnend mit einem Akt – Vor- und Rückseite – von sich selbst, und das um 1561 vollendet war und das heute im Deutschen Museum in München liegt. Anhand zahlreicher Abbildungen legt die Autorin hier eine spannende Interpretation dieses Buches vor, das ein einzigartiges Zeugnis seiner Zeit enthält. Die Sprache der Kleidung, spiegelt das Ereignis der Ehe wie auch der Reformation wider.

Im dritten Kapitel steht Das äußere Erscheinungsbild der Religion im Vordergrund. Es geht zunächst um Martin Luther und seine Gewänder (S. 135-197). Erstaunlich, wie die Autorin die Abbildungen Luthers interpretiert und so ganz wesentliche Zusammenhänge mit seiner Biographie auf sehr einleuchtende Wiese aufdeckt.

Im vierten Kapitel Nationale Identität wird der Begriff Kleidungsideologien vorgestellt und erläutert und durch Geschlechtsspezifische Symbolik ergänzt. Wieder dient ein Buch, das Trachtenbuch von 1577 des Holzschnitzkünstlers Hans Weigel (1520-1577) in Nürnberg und seines Kollegen Jost Amman als Grundlage für eine ausführliche Interpretation: > Habitus Praecipuorum Populorum tam Virorum, quam Foeminarum, olim singulari Johannis Weigelii Proplastis Norimbergensis arte depicti & excusi, nunc vero debita diligentia denuo recusi. Das ist Trachtenbuch, Darinn fast allerley und der fürnembsten Nationen, die heutiges tages bekand seyn, Kleidungen, beyde wie es bey Manns und Weibspersonen gebräuchlich, mit allem fleiß abgerissen seyn, vor zeiten, München, Bayerische Staatsbibliothek — Res/2 H.g.hum. 6 b. oder hier > Trachtenbuch: Sehr beeindruckend: > Übersicht über das Trachtenbuch.

Trotz ihres Versprechens, dich auf Deutschland beschränken zu wollen,  öffnet die Autorin im fünften Kapitel den Blick auf Andere und zeigt damit einmal mehr, dass das heutige Gerede von der Globalisierung etwas für Spätmerker ist. Nicht nur auf Gemälden, wie Michael Baxandall (1933-2008) es einst in seinem Buch Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts“  (Syndikat, Frankfurt am Main 1987) so überzeugend zeigte, weitete sich der Blick der Maler und folglich der Betrachter über den Horizont hinaus. Der Gewährmann der Autorin heißt hier wieder Albrecht Dürer, der wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit die Umbrüche seiner Epoche beobachtete und dokumentierte. Und wieder ein > Trachtenbuch, diesmal aus der Feder von Christoph Weidlitz (15-00-1559). Hieronymus Köler (1507-1573): Hannah S. M. Amburger: > Die Familiengeschichte der Koeler. Ein Beitrag zur Autobiographie des 16. Jahrhunderts. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Band 30, Nürnberg. 1931m gilt zu Trecht ebenfalls als ein aufmerksamer Beobachter seiner Eoche

Kleidung war natürlich ganz primär auch ein Handelsobjekt: das Kapitel sechs: Kleidung und Konsumenten wird mit dem folgenden Kapitel Bürgerlicher Geschmack und Gefühlsstile ergänzt.

Im Epilog wird das Ergebnis dieser Studie zusammengefasst: „Dieses Buch ist der Frage nachgegangen, wie wandlungsfähig die visuelle Kommunikation durch das äußere Erscheinungsbild für viele Menschen der Renaissance war und wie sie sich mit der neuen Gegenwärtigkeit von Bildern in ihrem Leben auseinandersetzten.“ Sätze wie diese zeigen in diesem Buch den so sehr gerechtfertigten Ansatz der Autorin den Wandel der Mode gerade in der Epoche der Renaissance zu untersuchen. Dass sie die anfänglich versprochene Einschränkung auf Deutschland nicht ganz durchhalten kann, ist ein Glücksfall und macht dieses Buch umso mehr zu einem echten Standardwerk,

Heiner Wittmann

Die Geburt der Mode

Eine Kulturgeschichte der Renaissance

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Beteiligte Personen

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Ulinka Rublack

Ulinka Rublack, geboren 1967 in Tübingen, lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit in Cambridge. Zu ihren Forschungsschw...

Ulinka Rublack, geboren 1967 in Tübingen, lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit in Cambridge. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Genderstudien, Materialitätsgeschichte und Fragen der kulturellen Identität. 2019 wurde sie mit dem Preis des Historischen Kollegs ausgezeichnet.

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