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Nachgefragt und Lesebericht: Wolfram Eilenberger, Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933–1943)

Aufgezeichnet von Heiner Wittmann
28.9.2020

2018 erschien der Band »Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919–1929«. Jetzt liegt bei Klett-Cotta das nächste Buch von Wolfram Eilenberger »Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933–1943)« vor. Es geht um vier Philosophinnen, Simone de Beauvoir (1908–1986), Ayn Rand (1905–1982), Hannah Arendt (1906–1975) und Simone Weil (1909–1943), mit deren Lebenswegen Eilenberger zeigt, wie sie sich mit ihren Werken der nahenden Katastrophe des Zweiten Weltkriegs entgegenstellten.

Nachgefragt und Lesebericht: Wolfram Eilenberger, Feuer der Freiheit.  Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933–1943)

Nachgefragt: Wolfram Eilenberger, Feuer der Freiheit

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Ihre Lebens- und Philosophieentwürfe gegen die Totalitarismen ihrer Epoche, als Flüchtlinge, Widerstandskämpferinnen mit dem Wort aufrecht in der Haltung schufen sie mit ihren Werken die Grundlage für eine freie Gesellschaft. Mit Recht ist Eilenbergers Buch auch ein Plädoyer dafür, ihre Werke heute wieder zu lesen, denn auch in unserer Epoche können wir mit den vier Autorinnen sehr viel über die Entwicklung der europäischen Moderne lernen. In schwieriger Zeit überdachten sie das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, von Mann und Frau und traten unbeirrbar gegen alle Widrigkeiten für die Sache der Freiheit ein.

Neben den Biographien der vier Philosophinnen hat Eilenberger hier auch eine Einführung in die Philosophiegeschichte dieser Epoche verfasst, die mit der Kraft ihrer Gedanken, ihres Denkens zum Sieg über die Totalitarismen, Krieg und Zerstörungen maßgeblich beigetragen  haben.  Auch als Philosophie-Lehrbuch ist Eilenbergers Buch »Feuer der Freiheit« so lesenswert, da er auf der Spur der vier Philosophinnen, den Leser so geschickt in ihre Lage versetzt, in dem er die Fragen rekonstruiert, die diese sich gestellt haben, um die Ereignisse ihrer Zeit zu verstehen und die Abhilfe in Worte zu fassen. Das macht er nicht im Einzelfall sondern systematisch und präsentiert dann ihr Raisonnement, die Umstände, in denen sie an ihren Ideen und Theorien gefeilt haben, um schließlich ihre Ergebnisse zu erklären. Wie verführerisch ist es für den Autor dieses Beitrags diese Beobachtung im Einzelnen mit Leichtigkeit mehrfach zu belegen – die geforderte Kürze des Blogbeitrags steht dagegen und auch die Gefahr, dem Lesepublikum die Spannung zu nehmen. Im Moment größter Bedrängnis laufen alle vier zu geistiger Hochform auf, keineswegs verlegen, sich gegen herkömmliche Denkstrukturen zu wenden, geradezu begierig, für das  Desaster ihrer Zeit und für den sich anbahnenden Krieg Gründe und Erklärungen zu finden und Wege zu weisen. Aber nicht nur das, Freiheit, Engagement und die Verantwortung des Einzelnen haben sie im Sinn, ein Ansatz auch heute die  Gefahren der Beugung unter das Diktat der sozialen Netzwerke in den Blick zu nehmen.

Die Weg der vier Philosophinnen kreuzen sich im Zeitraum dieses Buches nicht, alle haben auf ihre Weise mit der Besatzung, mit Flucht, Exil, Verfolgung und drohender Gefahr für Leib und Leben zu kämpfen.

Simon Weil studierte mit Simone de Beauvoir und war in den 1930er Jahren u. a. als Gewerkschaftsaktivistin aktiv. Simone Weils Diagnose im Winter 1943 in London ist klar und präzise: „Europa leidet an einer inneren Krankheit.“ (S. 27 = S. W., Krieg und Gewalt, Essays und Aufzeichnungen, Zürich 2011, S. 212 ff.) Man muss ihr Buch heute wiederlesen und das Gefühl erleben, dass wir Europäer heute auf einem ziemlich hohen Niveau klagen, weil manches nicht so annehmlich sei, wie wir es gewohnt sind. Und weil wir in diesem kurzen Beitrag nicht alle ihre Werke zitieren können: S. W., Unterdrückung und Freiheit – Politische Schriften, München 1975, muss auch unbedingt wieder gelesen werden. Ihr Werk kritisiert ohne Kompromisse totalitäre Strukturen. Simone Weil war für Albert Camus, der als Lektor bei Gallimard ihre Bücher veröffentlichte »der einzig wirklich große Geist unserer Zeit«. In Unterdrückung und Freiheit nennt sie alle Stichwörter, die ihrem Buch ein auch für heute so bemerkenswerte Modernität verleihen (vgl. S. 111-121) und sie wusste nach ihrer Fließbandarbeit bei Alsthom am Stadtrand von Paris, wovon sie sprach: Die Unterdrückung der Arbeiter, ihre monotone Beschäftigung am Fließband war für sie ein Ausdruck ihrer Epoche mit allen politischen Folgen: Stichwort eine „totalitäre Form gesellschaftlicher Organisation“ (S. 109). Ihr Traum: „eine wahrhaft freie Arbeitergesellschaft von selbstbestimmten Individuen“ (ib.). Ihre Fabrikerfahrung resümiert sich mit den Worten „Gefühl der Versklavung“ (S. 112). Ihre Frage lautet „Gab es überhaupt denkbefähigte Wesen, die unter solchen Bedingungen ihre Selbstachtung und Würde dauerhaft erhalten konnten? Sie stellt den ständigen Produktionsfortschritt, der mit dieser Ausbeutung verbunden ist, in Frage und stell auch ganz moderne Fragen nach der damit einhergehenden Energieverschwendung. Eilenberger fasst ihre Mahnungen so zusammen: „Unter der Perspektive dieses millionenstarken Kollektivs wird der einzelne Mensch so klein und unbedeutend, dass er jede Ahnung für die potentielle Unendlichkeit seines eigenen Denkens verliert…“ (S. 117) Beherzigt man diese Literaturhinweise und Leseempfehlungen von W. Eilenberger gewinnt man einen umfassenderen Eindruck und Verständnis dieser Epoche als mit manchem Geschichtsbuch. Und wieder darf man die Frage stellen, warum Literatur und Philosophie von Historikern so oft nur als eine Nebensache behandelt werden. In diesem Sinne ist »Feuer der Freiheit« vielen bloß ereignisgeschichtlich orientierten Darstellungen dieser Zeit überlegen.

Ayn Rand stammte aus  St. Petersburg, emigrierte 1936 in die USA.  Die Roman »The Fountainhead« (dt. »Die Quelle«) und »Atlas Shrugged« (dt. »Der Streik«) machten  sie als  Philosophin und Schriftstellerin in den 1940er Jahren zu einer Kultfigur, deren Werke in den USA eine Auflage von mehr als zwanzig Millionen erreichten. Sie gilt heute als  eine der Gründungsfiguren der libertären Bewegung. »The Fountainhead« nennt Eilenberg „in Wahrheit ein Roman gewordenes Maifest“, S. 31 f., S. 89-97,  S. 138-144, S. 203 ff., „Nietzsche war Rands Dynamit.“ (> Nachgefragt: Sue Prideaux, Ich bin Dynamit. Das Leben des Friedrich Nietzsche) S. 205, 206 ff.,  314-328. „Niemand kann für einen anderen leben,“ schreibt sie, zit. auf S. 326, „Keine Schritt dem Altruismus nachgeben“ S. 327, vgl. 335-339. Sie verstand ihr Werk als einen „Schlüsselroman über Amerikas drohende Selbstaufgabe im Zeichen des weltweit siegenden Totalitarismus.“ S. 273. In einer Notiz ihres > Journals of Ayn Rand, hrsg. v. D. Harriman, New York 1977, S. 71 (die Passage ist von W. Eilenberger übersetzt:) steht eine Passage, die die Ansätze ihres Denkens so präzise wie eindrucksvoll resümiert: „Der sogenannte „selbstische“ (selfish) Mensch von heute nutzt „Ideen“ nur als Mittel zum Zweck, seine eigenen Ziel zu erreichen. Aber worin besteht dieses Ziel? Was ist schon damit gewonnen, nur dadurch Erfolg und Prominenz zu erreichen, dass man sich nach den Bedürfnissen der Masse richtet? In diesem Fall triumphiert ja nicht er, nicht seine Ideen und Standards, sondern nur seine physische Hülle.“ In Wahrheit ist ein solcher Mensch der Sklave der Massen… Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung, das mich derzeit am meisten betrifft, ist die Tatsache, dass nur wenige Menschen die Fähigkeit oder auch nur den Wunsch besitzen, literarische Werke nach deren essentiellem Wert zu beurteilen. Für die meisten Menschen enthält ein Werk erste einen Wert, nachdem ihm dieser von jemand anderen zugesprochen wurde. Sie selbst verfügen nämlich über keinen eigenen Bewertungsstandard (und vermissen diesen auch nicht).“ Da steckt alles drin. Das ist ein Plädoyer für den Literaturunterricht in der  Schule aber auch eine Warnung vor den Gefahren jeder Art der so gepriesenen Neuen Medien von heute. Aber auch, und das macht so nachdenklich, eine Diagnose ihrer Zeit, mit allen Folgen, die das Geistesleben beschädigten und Totalitarismem begünstigten.

Simone de Beauvoir entwarf mit »Das andere Geschlecht« (1949) ein neues Leitbild des Feminismus und wies den Weg für die Emanzipation der Frau. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Jean-Paul Sartre  (1905-1980) führte sie mit ihm einen ständigen grundlegenden Austausch über den Existentialismus. Beide lasen stets die Manuskript des anderen und sie lebten mit ihren Freundinnen und Freunden ein ganz neues völlig ungezwungenes Familienmodell, in dem aber trotzdem aufgrund normaler Empfindlichkeiten die Rollen verteilt waren. Sie war wohl mit dabei, als Raymond Aron seinen Freund Sartre in die Phänomenlogie Edmund Husserls einführte: Über dieses Glas kannst Du reden, es ist Philosophie, und für Sartre löste sich in dem Augenblick ein Grundproblem der Überwindung von Realismus und Idealismus, berichtet Beauvoir. (vgl. S. 71). „Zaubertrank“ nennt Eilenberger dieses Kapitel, in dem Sartre die Intentionalität , das Bewusstsein von etwas und die Transzendenz entdeckt, alles wichtige Begriffe mit denen er seine Theorie der Einbildungskraft vervollständigen kann, die ihn 1943 zu Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie  führt.

Hannah Arendt konnte einen ihrer größten Erfolge mit  »Ursprünge des Totalitarismus« in den 50er Jahren feiern. Sie kam aus Königsberg, war Schülerin von Martin Heidegger und Karl Jaspers. Erst floh sie 1933 von Berlin nach Paris, verlor ihre Staatsbürgerschaft  und 1941 emigrierte sie nach New York.  26 Jahre alt ist sie, als in Paris ankommt und sich ohne zu zögern auf ihre „jüdische Arbeit “ (S. 123) wirft. Und sie studiert die Menschenrechte von 1789 und denkt darüber nach, was mit ihnen geschieht, wenn keine Instanz mehr da sei, um sie zu garantieren? (S. 126 f.) Auf diese Weise kann man mit Hilfe von Wolfram Eilenberger in seinem Buch »Feuer der Freiheit« nacheinander weitere Bausteine finden, mit denen sie ihre Kritik am Totalitarismus ihrer Zeit geformt hat.

Nach der Lektüre von »Feuer der Freiheit« werden Sie mit Sicherheit eine Bibliothek aufsuchen und Werke dieser vier Philosophinnen ausleihen. Ihr trotz der so bedrückenden Umstände so ungebrochene Freiheitswille bestätigt uns auch heute das hohe Gut unserer Freiheit. Ihre Werk zeigen die Gefahren, die sich einschleichen und heute diese Freiheit bedrohen können. Geschichte wiederholt sich nicht einfach so, aber Tendenzen sind erkennbar und der > krude Populismus von heute hat auch Ursachen und Wirkungen, die heute ihre Theoretiker von Stand dieser vier Philosophinnen noch nicht gefunden haben. Simone Weil die Trotzki zu Hause beherbergt und in der Fabrik wissen will, wie es wirklich um die Arbeiter steht, beeindruckt mit ihrer Unerschrockenheit und verlangt Respekt, so wie sie trotz ihrer Krankheiten sich mit solcher Intensität für die Selbstbestimmung der Menschen einsetzt. Simone de Beauvoir stand immer im Schatten von Jean-Paul Sartre, nimmt man aber ihre Werke wieder zu Hand, entdeckt man eine entschlossene Vorkämpferin für die Freiheitsrechte und die Emanzipation der Frauen, von der heute noch viele sehr viel lernen können. Ehrlich? War Ihnen »The Fountainhead« (dt. »Die Quelle«) von Ayn Rand bekannt? Hannah Arendt gilt es auch mit ihrer Totalitarismuskritik wiederzuerkennen.

Heiner Wittmann

Feuer der Freiheit

Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933–1943)

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Beteiligte Personen

© Annette Hauschild / Ostkreuz

Wolfram Eilenberger

Wolfram Eilenberger, geboren 1972, war langjähriger Chefredakteur des Philosophie Magazins, moderiert die »Sternstunde Philosophie« im Schweizer ...

Wolfram Eilenberger, geboren 1972, war langjähriger Chefredakteur des Philosophie Magazins, moderiert die »Sternstunde Philosophie« im Schweizer Fernsehen und ist Mitglied der Programmleitung der ›phil.COLOGNE‹. In zahlreichen Talkshowauftritten im Deutschen Fernsehen gibt er der Philosophie eine Stimme und ein Gesicht. Sein Buch »Zeit der Zauberer« stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, wurde 2018 mit dem Bayerischen Buchpreis und 2019 mit dem in Frankreich renom...

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