Der Titel von Daniel-Pascal Zorns neuem Buch, das gerade bei Klett-Cotta erschienen ist, wurde gut gewählt »Die Krise des Absoluten. Was die Postmoderne hätte sein können«. Das Buch zielt auf eine Annäherung an die Definition der Postmoderne und stellt damit eine der Kernfragen der Philosophie im 20. Jahrhundert.
In dieser Hinsicht, ist das Buch von Zorn eine spannende Einführung in die Philosophie, mit der er die Entwicklungen der Denkgebäude von Gilles Deleuze, Michel Foucault und Jaques Derrida und Jean-François Lyotard, die die Postmoderne auf ihre Fahnen geschrieben haben, erläutert. Genauso wie dieses Buch auch Biographien dieser drei Philosophen enthält, so werden auch die Werke der philosophischen Stammväter ihres Denkens von Hume und Kant über Kegel bis Nietzsche erläutert. Eine ausführliche Definition der Postmoderne ist nicht beabsichtigt, die fiel schon Jean-François Lyotard schwer, als er in Le Postmoderne expliqué aux enfants (Paris 1986) schrieb: „Die Postmoderne wäre das, was in der Moderne das Unvorstellbare in der Präsentation selbst anführt, das, was sich dem Trost der guten Formen, dem Konsens verweigert, nicht um ihn zu genießen, sondern um besser zu spüren, dass es etwas Unvorstellbares gibt.“ (S. 32 f. übers. v. H.W.) Texte gehörten dem Ereignis, nicht dem Autor und insoweit sei der Essai „(Montaigne)“ (ib.) postmodern…
Der Untertitel des Buches von Daniel_Pascal Zorn »Was die Postmoderne hätte sein können« lässt ein Scheitern der Postmoderne vermuten, etwas Unvollendetes oder gar eine Sackgasse im Denken der oben genannten Autoren. Erinnern wir an Jean-François Lyotard, der 1981 in einem Vortrag zugab, dass der Ausdruck „Postmoderne“ unglücklich gewählt sei, er bezeichne eher einen Gemütszustand oder einen Geisteszustand (vgl. J.-F. Lyotard, Regeln und Paradoxa, in: ders., Philosophie und Malerei im Zeitalter des Experimentierens, Berlin 1986, S. 97, zit. b. H. Wittmann, Sartre und die Kunst. Die Porträtstudien von Tintoretto bis Flaubert, Tübingen, 1996, S. 170) Desgleichen steht Lyotards Grabmal des Intellektuellen auf tönernen Füßen, seine Behauptung, es gebe kein „universelles Subjekt“ mehr und die Schriftsteller würden ihre Adressaten nicht mehr kennen, reicht zur Verurteilung oder Verbannung des Intellektuellen nicht aus: Vgl. Wittmann, Sartre und die Kunst, S. 170-174.
Im Prolog steckt Zorn die Themen seines Buches ab: So einfach kann man es nicht machen, erklärt er und erinnert an eine Deutung der Postmoderne „Für die Postmoderne ist die reale Welt nur eine Konstruktion..:“ (S. 9) und fügt hinzu, dass vieles womit die Postmoderne definiert wird, ihr erst im Nachhinein angedichtet wurde (vgl. S. 11) oder die Postmoderne als ein „Zeitalter, das all diese Werte verabschiedet“. (vgl. S. 13) Der Dekonstruktion das Wort reden?
Die oben genannten Philosophen geraten in die Mühlen der Pariser Eliteausbildung. Sei bloß nicht originell, erklärte mir ein Freund in Sciences-Po, lese die Polycopiés und gib deren Inhalt wieder, sagte es und eilte nach Hause, um sich auf die Questions multiples vorzubereiten. Waren die späteren Werke der oben genannten Philosophen e ein Ausbruchversuch aus dem strengen Korsett der Hochschulphilosophie. Sind sie gar über ihr Ziel hinausgeschossen? Oder worauf haben sie sich eigentlich eingeschossen?
Michel Foucault nimmt Gilles Deleuze mit zu Maurice de Gandillac. Dieser lädt sie in den Salon von Marie-Magdeleine Davy außerhalb von Paris ein (vgl. S. 30): Netzwerkbildung. 1943 lesen Deleuze und Foucault Sartres Das Sein und das Nichts.
Es sind die Bezüge zur und die Berichte über die Frankfurter Schule mit Theodor W. Adorno, Marx Horkheimer und ab der 50 er Jahre mit Jürgen Habermas, die Filiationen der Postmoderne hier vervollständigen. Zu diesem Kreis gehört auch Joachim Ritter (vgl. S. 39 ff.) Aber ganz sicher gibt es keine eindeutige Bestimmung des Begriffs Postmoderne, aber man kann sein Umfeld erhellen und so zu einer Deutung des Begriffs beitragen: „Der Rundweg, der hier gegangen wird, um das Leben und Denken dieser acht Philosophen (Richard Rorty und Heinz von Foerster gehören auch zu den oben bereits Genannten) zusammenzuschauen, ist eine geführte Wanderung durch die Geschichte,“ (S. 47) die Daniel-Pascal Zorn uns hier vorschlägt. Dieser Weg schließt auch das Scheitern der Postmoderne ein, schärft diese Begriff aber auch: „Die Postmoderne erbt von der Moderne die Frage nach der Alternative zu dem, was mit der Französischen Revolution und der Überwindung des Absolutismus erledigt schien: das Absolute. (S. 48) Und mit dieser Bemerkung wird der Aufbau dieses bemerkenswerten Buches angekündigt: Zuerst wird „Die Wissenschaft des Absoluten“ erklärt, dann folgt „Die Krise des Absoluten“ und schließlich im 3. Teil „Die Rückkehr des Absoluten“.
Das Kapitel „Die Wissenschaft des Absoluten“ beginnt u.a. mit dem Buch von Deleuze zu David Humes Traktat über die menschliche Natur (1953) und dessen Versuch, „den menschlichen Geist und die menschliche Gesellschaft radikal von innen her zu denken,“ (S. 80) wodurch eine „abstrakte Einheit“ (S. 80) aufgehoben werde. Foucault seinerseits liest Heideggers Sein und Zeit und Nietzsches Unzeitgemäße Betrachtungen. Einer seiner Schüler ist Derrida. Durch Vermittlung von Jacqueline Verdeaux lent Foucault die Werke Ludwig Binswanger kennen. Derweil beschäftigt sich Derrida in den USA mit dem Problem der Genese in Husserls Philosophie, während 1954 Lyotards Einführung in die Phänomenologie in der Reihe Que sais-je ? erscheint. Husserl wird Derrida lange beschäftigen: Der Ursprung der Geometrie von Husserl wird er für seine Habilitationsschrift übersetzen und entdeckt dabei den für ihn so zentralen Begriff der „Schrift“ (S. 119).
Im Herbst 1958 hält Theodor W. Adorno an der Sorbonne einen Vortrag über Hegel, aus dem dann u. a. die Negative Dialektik folgt. Zur Erläuterung folgt ein Rückblick auf die Davoser Konferenzen 1928 und 1929, wo Paul Tillich und Erich Przywara ihre Kontroverse zum „Verhältnis von Konkretem und Absolutem“ (S. 154) austragen. Dort kommt es zur Debatte zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger, die sich bis 1932 hinzieht. (vgl. S. 177-180) Die Art und Weise, wir Zorn, diese Dispute einordnet, machen sein Buch zu einer lehrreichen Abhandlung über die Philosophie am Ende der Weimarer Republik und dann während der Nazidiktatur.
Im II. Teil „Die Krise des Absoluten“ ist Ausdruck des Bruchs in der Spätantike, zwischen dem Christentum, das die antike Philosophie in sich aufnahm und der Renaissance, die auf die Eigenständigkeit des Menschen pocht, wie schon Pico della Mirandola, der 1480 mit seiner Rede über die Würde des Menschen die Autonomie de Menschen beschrieb. Dieses 3. Kapitel berichtet u.a. über Søren Kierkegaard aber auch über die Nietzsche-Lektüre durch Deleuze und Foucault. (vgl. S. 310 ff.) – „Die Krise des Absoluten hat versucht, sich im Menschen zu beruhigen,“ (S. 331) schreibt Zorn, der diese Krise m Abschnitt Die anthropologische Illusion (vgl. S. 381 ff.) weiter ausführt und sie auch in eine Beziehung zu den Totalitarismen setzt. Im folgenden Abschnitt wird Sartre als Vertreter der populären Verbindung von „Existenzphilosophe, Phänomenologie und Marxismus“ (S. 336) gekennzeichnet, worüber wir sicherlich noch bei einem Gespräch „Nachgefragt…“ sprechen werden.
Im Zusammenhang mit Joachim Ritters Begriff der Entzweiung stellt sich die Frage nach der Philosophie als einer rückwärts- oder vorwärtsgewandten Disziplin? (vgl. S. 377) Und immer wieder meldet sich die Krise des Absoluten zurück: „Das Absolute ist nicht totzukriegen.“ (S. 419) Nach einer Lungenoperation kommt Gilles Deleuze in Kontakt mit dem Psychiater Félix Guattari. Aus ihrer Zusammenarbeit entsteht bis Ende Dezember 1971 Anti-Ödipus.Mit der Einordnung dieses Bandes beendet Zorn das 2. Kapitel.
Im dritten und letzten Kapitel wird „Die Rückkehr des Absoluten“ untersucht. Die vor den Toren der Stadt Paris erbaute Universität Nanterre wird zum Ausgangspunkt des Mai 68. Zorn definiert unter dem Eindruck der sich verstärkenden Globalisierung das Jahr 1979 als „das Jahr der Rückkehr des Absoluten“ (S. 519) Unter die Räder kommt auch die Postmoderne, sie wird zu einem „Buzzword für den Buchmarkt“ (S. 549) Die Rückkehr zum Absoluten sei aber auch das Jahr, in dem die Postmoderne als philosophisch bestimmte Epoche erst entstehe, erklärt Zorn und erinnert an Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen und Richard Rorty, Der Spiegel der Natur, beide auch 1979 erschienen. Der Begriff der Postmoderne wurde Anfang der 50er Jahre als Schlagwort von Charels P. Snow, Die zwei Kulturen und die wissenschaftliche Revolution (1959) geprägt: „Die ‚Postmoderne‘ ist keine Lösung für ein Problem, sie ist das Symptom eines Übergangs, der Ausdruck einer Krise.“ (S. 559) Zugleich greift der Begriff die Vielfalt der Perspektiven auf, die die immer stärkere Einbindung des Menschen in wirtschaftliche Abläufe verlangt.
Zorn hat ein sehr anregendes Buch verfasst, das keineswegs alle Fragen im Zusammenhang mit der Postmoderne und eben auch der Krise des Absoluten beantwortet. Aber Zorn ordnet sehr geschickt die Entwicklungslinien ein, die auf die Epoche der Postmoderne zulaufen, dabei ergibt sich keinesfalls eine uniforme klar abgrenzbare Bewegung, sondern es ist gerade die Vielfalt, wie auch ihre Heterogenität., die zum Markenzeichen der Epoche werden, deren Protagonisten selbst alle Mühe haben, ihren Ansatz in klare eindeutige Worte zu fassen.
Heiner Wittmann
Daniel-Pascal Zorn, geboren 1981, studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. 2015 promovierte er mit einer Komparatistik philosophischer Ansätze...
Daniel-Pascal Zorn, geboren 1981, studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. 2015 promovierte er mit einer Komparatistik philosophischer Ansätze, die den Preis der Universität Eichstätt erhielt.
Daniel-Pascal Zorn schrieb die Kolumne »Na logisch!« im Philosophie-Magazin »Hohe Luft«. Dort erläutert er anschaulich und allgemeinverständlich, wie sich Sachverhalte, Argumente und deren Geltung zueinander verhalten.
Auf seiner eigenen Facebook-Seite kommentiert er aktuelle pol...
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