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Lukas Hermsmeier, Uprising, Amerikas Neue Linke

Aufgezeichnet von Heiner Wittmann
11.3.2022

Dieses Buch handelt von den Schwierigkeiten, in den USA neben den beiden etablierten Parteien, den Republikanern und den Demokraten eine dritte Kraft, eine dritte Partei zu installieren, die vor allem die längst überfälligen Sozialreformen auf ihre Fahnen schreibt. Wie schwierig das ist, aber welche große Hoffnungen es gibt, hat jetzt Lukas Hermsmeier, deutscher Journalist, seit 2014 in New York, mit seinem Buch »Uprising. Amerikas neue Linke« dargelegt.

Lukas Hermsmeier, Uprising, Amerikas Neue Linke

Interview mit Lukas Hermsmeier, Uprising

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Hermsmeier verfügt über Detailkenntnisse aus seinem beeindruckenden Netzwerk, mit denen er die Basisarbeit vieler Graswurzelinititiaven beschreibt. Oft sind es äußere Anlässe, wie der Mord an George Floyd, die Demonstrationen auslösen, aus denen neue Vereinigungen hervorgehen. Hermsmeier berichtet über die unermüdlichen Organizer und vielen lokalen Organisationen, die sich gegenseitig inspirieren.

Ein Wendepunkt war zweifelsohne Occupy (S. 42-73), zuerst durch den Arabischen Frühling inspiriert, die Bewegung, die zunächst die Wall Street besetzen wollte, dann aber im Zuccotti Park unter dem Namen Liberty Square eine neue, offene, autarke Stadt einrichtete mit dem Anspruch, eine radikal andere Gesellschaft zu gründen (vgl. S. 57). David Graeber (1961-2020) – Zur Erinnerung: > Nachgefragt: David Graeber, Bürokratie. Die Utopie der Regeln, 8. April 2016 – (vg. S. 68 f.) prägte Occupy wie kaum ein anderer. Er brachte den Erfolg von Occupy auf den Punkt: eine „Wiederbelebung der revolutionären Vorstellungskraft, die nach herkömmlicher Meinung längst für tot erklärt war“ (S. 73), so zitiert Hermsmeier Graeber.

Die schwarze Bewegung mit Black Visions, die 2017 aus der Black-Lives-Matter (2014) hervorging, viele Untergruppen entstehen ließ, bestätigte das, was die Gründerin von BLM, Alicia Garza, erklärte, nämlich dass diese Bewegungen eine Basis und keine Marken bräuchten (S. 89). Das ist das Stichwort, in diesem Buch geht es um Basisarbeit, Canvassing (S. 289 f.), das geduldigen Klopfen an Türen, das Telefonieren und die Arbeit in sozialen Netzwerken, da die Bürger erst mal wieder in Kontakt mit politischen Aktivisten kommen müssen. Damit spielt Hermsmeier auf den hohen Anteil der Wähler an, die von den herkömmlichen Parteien und politischen Strukturen gar nicht mehr erreichbar sind. Sie gilt es anzusprechen und ihnen den Ernst der Lage zu vermitteln.

Betrachtet man die Summe aller Organisationen und Initiative, die Hermsmeier hier vorstellt, wird tatsächlich ein ganz anderes Amerika erkennbar, das nicht nur von Reformen träumt, sondern in den Startlöchern sitzt, um so bald wie möglich mit kreativen Reformvorschlägen die etablierte politische Klasse aufzurütteln. Er berichtet, wie sich die Stadt Minneapolis mit dem Mord an George Floyd völlig verändert hat. Unvorstellbar, aber es geschah, das Minneapolis Police Department wurde aufgelöst. Derartige Erfolge müssen Proteste und Organizer beflügeln.

Jedes der Kapitel von Hermsmeier zeugt von Kreativität und Aufbruch. dazu gehören „Sozialistischer Realismus“, dessen Organisation Democratic Socialists of America DSA (1982) in wenigen Jahren auf 100 000 Mitglieder angewachsen ist. Hermsmeier hat zig Interviews geführt und ist mit vielen Organizer und Aktivisten, die politische Lokalarbeit betreiben gut bekannt und er kann die vielen Einzelteile wie in einem großen Puzzle zu einem faszinierenden Gesamtbild zusammensetzen.

Der Weg in den Kongress ist sehr mühsam, aber Alexandria Ocasio-Cortez (vgl. S. 101 f.) hat es geschafft. Auch wenn Bernie Sanders (vgl. S. 105 ff.) „der Angelpunkt der Linken“ (S. 108) mit seiner zweiten Präsidentschafts-Kandidatur scheiterte, so hat sein Engagement doch tiefe Spuren hinterlassen und seinen Anhängern neue Perspektiven eröffnet. Zeugnisse wie das von Jabari Brisport, (vgl. S. 114 ff.) wie er zum Sozialisten wurde. Mit dem Bericht über seine Aktivitäten erwähnt Hermsmeier auch die Identitätspolitik , ein Begriff , der 1977 vom Combahee River Collective, eine Gruppe schwarzer, lesbischer Sozialistinnen geprägt wurde. In diesem Kapitel untersucht Hermsmeier auch die Wandlung der DSA, der nicht als Partei auftritt, sondern eher den Austausch unter der Vielzahl der Kampagnen kanalisieren will: S. 120-126.

Und wieder war es ein besonderes Ereignis: Im Standing Stock Reservat wurde die 2014 geplante Verlegung einer Erdölpipeline durch Proteste erfolgreich verhindert. Bemerkenswert, wie Standing Rock zum Kristallisationspunkt der Klima-Proteste in den USA wurde. Hermsmeier vergleicht die Entwicklung mit der in Deutschland und erinnert an sein Treffen mit Luisa Neubauer im Juli 2019. Aber im Vergleich mit den Klimaaktivisten in den USA weist Hermsmeier auf einen Schwäche von Fridays for Future FFF hin, eine Bewegung, die „von allen Seiten irgendwie akzeptiert“ (S. 139) wird.

Als ein schwarzer Teenager, diesmal der 18-jährige Michael Brown in Ferguson von einem weißen Polizisten erschossen wurde, kam es in Ferguson und landesweit zu regelrechten Aufständen, wobei hier ganz besonders die Rolle der Polizei ins Visier der Demonstranten geriet. Im folgenden Abschnitt „Perspektivwechsel“ erläutert Hermsmeier die Bewegung des Abolitionismus, die eine Neuordnung des „Überwachens und Strafen“ und eine Reform der Justiz fordert. An vorderster Front steht dabei Mariame Kaba: We Do This Til We Free Us (2014) wurde ein Bestseller.

Hermsmeier Fazit klingt trotz aller Aufbruchstimmung allerdings düster. Die vielen Proteste, die manchmal in Folge bedrückender Einzelschicksal resultieren, lassen uns nicht darüber hinwegsehen, „die repräsentative Demokratie steckt in einer Krise.“ (S. 269) Man muss wohl zu diesem Ergebnis kommen, wenn man berücksichtigt, dass alle diese vielen Initiativen im Parlament so wenig Resonanz finden. Es scheint ja so, als wenn das Volk mit vielen seiner Facetten parlamentarisch nicht repräsentiert wird und die beiden großen Parteien den Kongress abschotten wie einen closed shop. Gerade mal eine Abgeordnete der neuen Linken hat den Sprung in den Kongress geschafft: „Die meisten Menschen sind – und das trifft nicht nur auf die USA zu – von den Prozessen schlichtweg abgeschnitten.“ (S. 269)

Und dann kommt Hermsmeier auf das in den ersten Kapiteln geschilderte Problem, der politischen Teilnahmslosigkeit zurück: Es geht nicht um das fehlende politische Interesse der Bürger, nein: „Sie sind auf Teilnahmslosigkeit und Vereinzelung konditioniert.“ (S.270) (S. 270) Das Problem, das Heimsmeier schildert, ist also das der politischen Kultur, der politischen Teilhabe, die Resignation, es werde sich durch Aktivismus ja doch nichts ändern, und deswegen sind solche Bewegungen wie Occupy und die vielen anderen Initiativen, die Hermsmeier schildert, so wichtig, weil sie eine Botschaft und ein Vorbild in die Bevölkerung tragen, das Mitmachen sich lohnt. Eine weitere Bemerkung kommt mit dazu. Die Formen des Aktivismus allein genügen nicht, es sind die Inhalte (vgl. S. 275 ff.), die über den Erfolg der Bewegungen entschieden.

Heiner Wittmann

Uprising

Amerikas neue Linke

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Beteiligte Personen

Lukas Hermsmeier

Lukas Hermsmeier, geboren 1988 in Berlin, lebt seit 2014 in New York und arbeitet dort als Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für Zeit Online...

Lukas Hermsmeier, geboren 1988 in Berlin, lebt seit 2014 in New York und arbeitet dort als Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für Zeit Online, den Tagesspiegel und die taz über amerikanische Politik und Kultur. Für die New York Times und The Nation kommentiert er außerdem deutsche Politik.