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Lesebericht und Interview: Miqui Otero, Simón. Roman

Aufgezeichnet von Heiner Wittmann
22.8.2022

„Im Roman »Simón« von Miqui Otero – übersetzt von Matthias Strobel – wird die Literatur zum (Lebens-)Programm des heranwachsenden Simóns; „Alles ist in den Büchern.“ (S. 64) Genauso, wie er auf der Suche nach seinem Cousin verstand, warum Rico ihm eingeschärft hatte, „dass lesen die einzige Möglichkeit sei, viele Leben zu leben, statt nur dieses eine.“ (S. 74).

Die Figuren und Helden seiner Romane werden ihn immer begleiten, ständig präsent sein. Sie bleiben für ihn lebendig, auch wenn sein Cousin Rico plötzlich über Nacht verschwindet und Simón seinem Schicksal überlässt

Lesebericht und Interview: Miqui Otero, Simón. Roman

Interview mit Miqui Otero

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Simón

Roman

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Miqui Otero hat einen Familienroman verfasst, aber auch einen Erziehungsroman, der das Aufwachsen des kleinen Simón begleitet und seine Imagination und Phantasie (an-)leitet und interpretiert: „Genauso künstlich versuchen wir Menschen, die Farne des Abenteuers wiederherzustellen, mit Songs oder Büchern, die unserem Leben Action verheißen.“ (S. 275)

Dieser Roman ist so bemerkenswert, weil Miqui Otero seinem Leser hier eine literarisch verpackte Ästhetik der Literatur vorlegt. Natürlich hat jeder Roman seinen ästhetischen Reiz. Aber hier ist das anders, Nein ein Lehrbuch über die Literatur ist sicher nicht intendiert, aber Otero führt dennoch den Leser ganz geschickt und explizit in die Fragen der Wirkung von Literatur ein, in dem er die Bedeutung des Lesens anhand der kleinen Abenteuer von Simón erzählt.

Simón wächst alleine in einer Bar am Stadtrand von Barcelona auf. Er freut sich auf die Sonntage, wenn sein Cousin ihm einen historischen Abenteuerroman vom Bücherflohmarkt des Viertels mitbringt. 1992 verschwindet Rico und lässt Simón allein zurück. Der Autor hat dann die Gelegenheit, schon ganz früh die literarischen Lehren des Cousins am Aufwachsen von Simón zu demonstrieren. Erstaunlich was da alles hängengeblieben ist, das ist das Verdienst von Rico und vor allem der Literatur. Und auch nach dem Verschwinden von Rico behält Simón die Gewohnheit bei (vgl. S. 42) , mit den Figuren aus einen Büchern Konversationen zu pflegen.

Die Fragen, wieso ist Rico verschwunden? Was von ihm für Simón bleibt, sind die Bücher und die bohrenden Fragen, nach dem Grund des Verschwindens seines Cousins. Was ihm bleibt ist die Welt… „Mit Büchern würde er ihr trotzen….“ und er hat mehr als nur die Erinnerung von seinem Cousin gelernt: Mit „Idealen und Hoffnungen hatte sein Cousin-Bruder ihn zu jemandem gemacht, der mit erhobener Gabe durch eine Welt geht, in der nur Suppe serviert wird.“ (S. 49)

In der Bar seiner Familie lernt Simón Estela kennen, die seine literarischen Phantasien nicht so recht teilen kann. Aber Simón bleibt dabei und spielt immer wieder phantasie- und literaturgetrieben neue Rollen.

Simòn wird älter und besucht weiterhin den Bücherflohmarkt von Sant Antoni. Und seine „romanhafte Liebe“ (S. 83) zu Estela scheint auch durch seine literarischen Phantasien gestützt zu sein oder sich zu entwickeln, auch hier gestaltet sich er Übergang ins reale Leben fließend.

1998. Estela ist schon fünfzehn, liest Sachbücher und Simón bemerkt: So entgehen Dir alle Bücher, die von allem handeln. “ (S. 99) Simón gehört eigentlich auch in die Reihe der Erziehungsromane, so wie er die Art und Weise beschreibt, wie der Held die Welt um sich herum entdeckt, die Welt der Arbeit und die der Liebe.

2004 ist Simón schon zwanzig. Simón wird in einem baskischen Zwei-Sterne-Restaurant Praktikant und zitiert, was Rico ihm in eine Buch geschrieben hatte: „Häufig vergessen wir, dass wir, um zu verstehen, wer wir sind, nicht nur wissen sollten, wo wir herkommen, sondern auch, wie wir dort hingekommen sind….“ (S. 142) Er kommt in die Kochschule Lehmann, finanziert durch den Schatz seiner Bibliothek Und er lernt Candela kennen. Aber die perfekte Überwachung per Video und obligaten Knopf im Ohr, damit jeder Teller cw-genau steht, ist ihnen noch im Weg. Die Bemerkungen des Erzählers gehen in Simòns Beobachtungen über die Literatur über: „In jungen Jahren überlegt man ständig, wer man ist, um dann in den entscheidenden Moment so zu improvisieren, dass man nicht auffällt, wie wenig man weiß, was man tut.“ (S. 186) Das verrät doch ein mehr oder weniger planvolles Leben, ein Leben, bei dem man schon einige Rezepte mitbringt, sie zur Hand hat, wenn es darauf ankommt, gut dass Simón so viel gelesen hat. „Genau nach Plan, denn alles steht in den Büchern…“ (S. 199)

Simòn wird Chef de partie und später, er ist schon 22 Jahr alt, als Rico sich per Mail wieder meldet und trägt eine Reihe von Gründen für sein Verschwinden vor, die wir hier wegen der für den Leser zu erhaltenen Spannung hier nicht kommentieren werden. Die Zeit vergeht, wieder zwei Jahre später, kehrt Rico ins Braja der Eltern von Simòn zurück, die er 1992 verlassen hatte.

Die Einbettung der Geschichte des heranwachsenden Simóns in seine ganze Familiengeschichte, verstärkt auf geschickte Weise die Tragweite des Erziehungsromans und die Abhandlung über die Ästhetik der Literatur, die Miqui Otero uns hier vorlegt: „Genauso künstlich versuchen wir Menschen, die Farbe des Abenteuers wiederherzustellen mit Songs oder Büchern, die unserem Leben Action verheißen.“ (S. 275)

Wieder zwei Jahre später trifft Rico mit Simón zusammen, Rico versucht ihm zu erklären, wieso er fortgegangen ist. Er versucht es zumindest… Viel schlauer wird Simón nicht: „Alles ist in den Büchern,“ erklärt sein Cousin. Später, als beide Kurierfahrer sind, erinnert sich Simón an einen Satz, den Rico einmal unterstrichen hatte: „Romane sind merkwürdige Gebilde, die ihre Figuren in einen historischen Rahmen setzen, wo sie nicht unbedingt die Hauptrolle spielen…“ (S. 341).

Miqui Otero hält die Theorie um die Literatur bis zum Ende des Romans durch und kreist so das Phänomen Literatur immer weiter ein: „Der Rückfall ins Lesen erforderte einige Vorsichtsmaßnahmen. Wenn jemand ein Buch liest, dann ist es, als würde dieses Buch neu geschrieben, man badet nicht zweimal im gleichen Fluss…“ (S. 405) und bei der Eröffnung des Buchladens hören alle über den Lautsprecher: „Aber Bücher sind nie alt. Bücher sind neu für jeden, der sie aufschlägt.“ (S. 432)

Tatsächlich kann man diesen Roman als eine Biographie der Jugend von Simón lesen, wie er die Arbeit, die Sexualität, kurz das Leben entdeckt und nebenbei Bücher liest. Oder man liest hier eine literarische Anleitung, die die Ästhetik der Literatur dazu beiträgt, den Leser auf das Leben vorzubereiten und was er daraus macht. Unsere Redaktion hat hier die zweite Lesart gewählt und hat auch schon die Fragen im Sinn, die wir bald dem Autor stellen werden.

Heiner Wittmann

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