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Nachgefragt und Lesebericht: Michal Hvorecky, Tahiti Utopia. Roman

Aufgezeichnet von Heiner Wittmann
7.6.2021

Mit seinem neuen Roman »Tahiti Utopia« zeigt uns Michal Hvorecky, was passieren kann, wenn die Geschichte an bestimmten Wegmarken anders abgebogen wäre. Es handelt sich also hier um eine Utopie, sozusagen aus der Rückschau. Was hätte passieren können, wenn es dem slowakischen General Milan Rastislav Štefánik (1880-1919) neben Tomáš Garrigue Masaryk und Edvard Beneš misslungen wäre, die Tschechoslowakei zu gründen?

> „Mittwoch um 19 Uhr“ am 16.6.2021: Michal Hvorecky ist unser Gast

Dann hätten die Slowaken sich in einem Großungarn wiedergefunden mit allen Folgen und darüberhinaus möglicherweise mit einer mehr oder weniger brutalen Einbürgerung durch Zwang. Ganz so einfach ist es aber nicht, denn auch mit der Gründung der CSR war die slowakische Frage nicht gelöst worden.  Darum geht es also in diesem Roman: die freie nationale Selbstbestimmung, ohne von einer anderen Macht beherrscht zu werden… und kommt es trotzdem zu einer solchen Vereinnahmung, muss nach Auswegen gesucht werden.

Nachgefragt und Lesebericht: Michal Hvorecky, Tahiti Utopia. Roman

Michal Hvorecky, Tahiti – Utopia -Literarischer Abend

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Tahiti Utopia

Tahiti Utopia

Roman

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Als bei den Friedensverhandlungen, so schildert es Hvorecky in »Tahiti Utopia« die Gündung der Slowakei misslingt, machen sich die Slowaken auf eine gefahrvollen und mühsamen Weg, der sie bis zu einem Hafen führt, in dem sie sich auf Schiffe zwängen, um nach Tahiti zu reisen. Drei Generationen später fällt die Bilanz ziemlich gemischt aus. Das wahre Paradies ist Tahiti nicht für die Slowaken, weil auch hier die Kulturen mit ihren Gewohnheiten in Opposition zueinander geraten: „Weltanschauliche Konflikte wurden auf der Insel fast täglich ausgetragen.“ (S. 22)

Der Tod von Milan Rastislav Štefánik am 4. Mai 1919 beim Absturz seines dreimotorigen Doppeldeckers vom Typ Caproni Ca.33 in Vajnory nahe Bratislava wird hier im Roman nach Tahiti verlegt, als er nach einem missglückten Landeanflug noch einmal durchstarten will, wobei sein Flugzeug abstürzt. Sein Ehrenmal wurde 1928 auf einer Anhöhe eingeweiht. Der Erzähler wird in > Tahiti Utopia zum Historiker, um die Geschichte Štefánik zu erforschen, auch um herauszufinden, welchen Anteil er an der Auswanderung der Solwaken hatte.

Mit seiner Erzählkunst schildert Michal Hvorecky die Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg, wo alle nationalistischen Bestrebungen, die zur Verschärfung der Kriegshandlungen und der -dauer beigetragen hatten, sogleich wieder die Oberhand gewannen. So sehr sich Štefánik auch abmühte, die Verhandlungsführer nahmen ihn nicht ernst, die Gründung der Slowakei scheiterte und Štefánik musste mit leeren Händen nach Hause zurückkehren: „Es war um vieles einfacher, einen Krieg zu führen, als eine Frieden zu vereinbaren.“ (S. 61) Die Vorwürfe des Erzählers wiegen schwer: „Das Ideal für die meisten Delegierten war und blieb die alte, grauenvolle Welt der Maschinen und Waffen, der Geschäfte und Attacken, der Beleidigungen und der Vorurteile.“ (S. 63)

Auf diese Weise wird Hvoreckys Roman zu einer Erinnerung auch an die Fehler und versäumten Chancen der Friedenskonferenz von 1919. Die Kritiker der horrenden Reparationszahlungen sollten recht behalten. Statt die Wunden aller Völker zu heilen und einen Ausgleich zu schaffen, blieben einzelne Völker auf der Strecke. Nicht die nationalen Bestrebungen sondern ihre Unterdrückung wurde zum Problem und führte zu neuen Konflikten. Als die Deutschen unterschrieben waren die Folgen bereits erkennbar: „An ihren Gesichtern konnte man ablesen, dass sie bereits an Vergeltung dachten.“ (S. 95)

Michal Hvorecky hat eine lehrreichen und zugleich mahnenden Roman verfasst, der uns die Gefahren der Unterdrückung vor Augen führt, aber auch an das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes im Konzert und zum Wohl der Nationen erinnert. Zwar kam es 1919 nach der Gründung der Tschechoslowakei nicht zur Auswanderung der Slowaken, die Hvorecky sie sich ausgedacht hat, aber die Slowakei bleib der Grund für eine Art Kriegszustand mit Ungarn. Lange hielt sich das Gerücht, Štefánik habe sterben müssen, damit die Slowakei eine gleichberechtigte Stellung nicht erhalten konnte.

Heiner Wittmann

Beteiligte Personen

Michal Hvorecky

Michal Hvorecky, geboren 1976, lebt in Bratislava. Auf Deutsch erschienen bereits drei seiner Romane und eine Novelle. Hvorecky verfasst regelmäßig Beiträ...

Michal Hvorecky, geboren 1976, lebt in Bratislava. Auf Deutsch erschienen bereits drei seiner Romane und eine Novelle. Hvorecky verfasst regelmäßig Beiträge für die FAZ, Die Zeit und zahlreiche Zeitschriften. In seiner Heimat engagiert er sich für den Schutz der Pressefreiheit und gegen antidemokratische Entwicklungen.

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