Versuchen wir zuerst, den Titel dieses Romans »So tun, als ob es regnet« zu übersetzen: (S. 77), eine Redensart, die nach Auskunft meines rumänischen Freundes soviel bedeuten würde, wie nicht den Eindruck erzeugen, man würde eine unangenehme Sache beobachten oder verfolgen. Mann bleibt also bei sich und akzeptiert die Dinge, wie sie kommen. Kurzgesagt, eine Abwesenheit, so wie Henriettes Mutter dies meinte.
Und das ist auch das Rahmenthema dieses Romans in vier Teilen, den Iris Wolff den vier Generationen einer Familie gewidmet hat. Beeindruckend sind ganz besonders die detaillierten Beschreibungen, mit denen Wolff, die Lebensgeschichten der Hauptpersonen Jacob, Henriette, Vicco und Hedda uns vorführt. Sie hadern nicht mit ihren Schicksal, manchmal versuchen sie ihm zu entkommen, können ihm aber nicht gänzlich entfliehen. Die Verbindung mit der so prägenden Heimat in Siebenbürgen bleibt auch in der Ferne bestehen, sei es durch ortsbezogenen Erinnerungen oder die Beziehungen zu den engsten Familienmitgliedern.
Im Ersten Weltkrieg kämpft Jacob fern der Heimat, schlägt sich durch und fällt dann doch so unvermutet. Die Szene erinnerte an Rimbauds Anklage in seinem Gedicht: Ein Schläfer im Tal. In einem Dorf hat sich durch die nächtlichen Beschäftigungen des nachts so wachen Elemérs die Gewohnheit ergeben, dass die Wachliegenden sich mit ihnen im dunklen Garten treffen, wo Henriette sich öfters zu ihnen gesellt. Vicco weiß um die Gefahren des Motorradfahrens und sorgt sich, die Mondlandung der Amerikaner zu verpassen. Hedda ist in der Ferne und kehrt nach einem Anruf der Mutter, der Vater sei krank zurück.
Wie in ihrem letzten Roman Die Unschärfe der Welt stellt Iris Wolff auch hier wieder ihre große Kunst, mit wenigen Sätzen ganz präzise ihre Figuren so eindrücklich beschreiben zu können, unter Beweis. Und sie überlässt es auch ganz geschickt ihren Protagonisten, ihre Mitmenschen uns vorzustellen. Jacob redet nicht nur von ihnen, sondern unterteilt seine Soldaten-Kameraden konzise in fünf Gruppen, belegt damit seine Beobachtungsgabe und sein Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Auf zwei Seiten sind Beziehungen unter den Soldaten und die Art und Weise, wie sie auf den Krieg reagieren gesagt: „Die fünfte Kategorie waren die Dichter. Seltsamerweise gab es an der Front viele von ihnen.“ (S. 15) Jacob kämpft gegen die Rumänen – tausend Kilometer zu weit östlich (S. 33) – und weiß den Gegner wegen Georg Trakl zu schonen. Erinnerungen an zu Hause, halten ihn aufrecht: „Er mochte gerade dieses monotone Lesen (von Luise, W.), in dem sich die Wörter kaum zu einem Sinn zusammenfügten, in dem die Buchstaben sich aus den Reihen lösten, einzeln rundeten, aufstiegen und sich oben an der Zimmerdecke sammelten.“ (S. 43) Erinnerung, Imagination und Poesie in einem Satz.
In der dritten Geschichte steht Henriette im Mittelpunkt, die Geschichte mit dem Ring, der an die nächste Generation weitergegeben werde wird, wobei die Geschichte von seiner Herkunft wie so oft in solchen Fällen verloren gehen wird. Vicco, Henriettes Sohn, weiß, dass er gefährlich lebt und er genießt den spontanen Ausflug mit Liane ans Meer. Später besucht Henriette unverhofft ihren Sohn: „Du bleibst bis Sonntag?“ fragt er sie. Die letzte Geschichte berichtet von Hedda, sie hat den blauen Ring von ihrer Großmutter vererbt bekommen, und wies ie von ihren Eltern aus von von den La Gomera zurückgeholt wird: Vater Vicco hat Krebs. Woher stammt der Ring? Henriette sagte ihr, sie solle in den Notizbüchern nachlesen. Diese Passagen, mit den Erinnerung scheinen beim ersten Lesen rar zu sein, tatsächlich ergeben sich in den vier Geschichten viele Anspielungen, Rück- und Ausblicke, die Identität der Protagonisten definieren.
Vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählt Iris Wolff die Erlebnisse von vier Generationen: „War es nicht genau das? Ging es nicht immer nur darum? Wer konnte sagen, ob ihr mehr zugestanden hatte. Welche Entscheidung war wichtig? Vielleicht war es zuletzt lächerlich gleichgültig?“ (S. 162)
Heiner Wittmann
Iris Wolff, geboren in Hermannstadt, Siebenbürgen. Die Autorin wurde für ihr literarisches Schaffen mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter mit de...
Iris Wolff, geboren in Hermannstadt, Siebenbürgen. Die Autorin wurde für ihr literarisches Schaffen mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter mit dem Marieluise-Fleißer-Preis und dem Marie Luise Kaschnitz-Preis für ihr Gesamtwerk. Zuletzt erschien 2020 der Roman »Die Unschärfe der Welt«, der mit dem Evangelischen Buchpreis, dem Eichendorff-Literaturpreis, dem Preis der LiteraTour Nord und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet sowie unter die fünf Lieblingsbücher des Deutschen als...
Bestell-Informationen
Service / Kontakt
Kontakt