In dem vorliegenden Artikel befasse ich mich mit der Bedeutung des Todes einer engen Bezugsperson für die Sicht eines Menschen auf sich selbst. Grundlage meiner Überlegungen bildet meine empirische Studie über Deuten und Handeln im Hinblick auf das Sterben eines signifikanten Anderen, in der die Perspektive der Nachbleibenden im Vordergrund steht. Zwei zentrale Aspekte aus dieser Studie stelle ich hier vor.
Menschen erleben den Tod eines nahe stehenden Anderen im Bezug zu sich selbst. Die Frage "Wer bin ich?" muss nach dem Tod eines Gegenübers in anderer Weise beantwortet werden als zuvor, wenn der Andere als Bestandteil der eigenen Persönlichkeit erlebt wird. Identität stellt sich hier als die Beziehung zwischen Menschen dar. Der Bedrohung der eigenen Identität durch den Tod des Anderen wird die Herstellung von Dauer entgegengesetzt. Mittels äußerer und innerer Zeichen wird somit Kontinuität für die Toten, aber auch für sich selber gesichert. Die Wirklichkeit der Toten wird aufrechterhalten, indem Erinnerung gemeinsame Vergangenheit hervorbringt und die Beziehung immer wieder bekräftigt. Verschiedene Vergegenwärtigungen der Toten dienen dazu, die Toten als bedeutsame Andere über ihren Tod hinaus zu bewahren, damit die Beziehung zu ihnen Bestandteil der Identität der Überlebenden bleiben kann.
Schlüsselwörter: Tod, Dauer, Identität, Kontinuität, Empirie, Soziologie, Deuten, Handeln.
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod und dem Tod anderer und die Herausforderungen eines Lebens im Angesicht oder mit dem Tod werden dargestellt. An mehreren Fallbeispielen werden der Tod und das Töten von Familienmitgliedern als familiäres Geschehen beschrieben. Abschließend wird die Frage des Verhältnisses von Erinnern und Vergessen als Überlebensstrategie im Angesicht von Tod und Schuld diskutiert.
Schlüsselwörter: Tod, Töten, Sterben, Familie, Erinnern, Vergessen, Schuld
In Gesellschaften, in denen die Kontrolle und die Beherrschung der Verhältnisse hohe Werte sind, herrscht die Tendenz vor, einen Abschluss für etwas zu finden, Antworten zu finden, das Problem einzuschätzen, zu definieren und einer schnellen Lösung zuzuführen. Die Situation uneindeutiger Verluste ist daher sowohl ein Skandal als auch eine tief greifende Herausforderung. Dies zeigten besonders der 11. September und die Situation in New York, wo die Menschen nach einem Beweis des Todes der von ihnen Vermissten suchten. Die therapeutische Herausforderung besteht in der Frage: Wie können wir Familien helfen, mit ihrem Verlust umzugehen, wenn sie nie einen Beweis für den Tod haben werden oder einen Körper, den sie beerdigen können? Das Konzept des uneindeutigen Verlustes kann in dieser Situation hilfreich sein auch über den engen therapeutischen Kontext hinaus.
Schlüsselwörter: Verlust, Tod, unklarer Verlust, Vermisste, 11. September
Es stehen zunehmend mehr DNA-Tests zur Verfügung, mit deren Hilfe das Vorhandensein einer ererbten Krankheit bei asymptomatischen Patienten diagnostiziert werden kann. Die Aussagen dieser Tests haben Auswirkungen für alle Familienmitglieder. In einer Studie untersuchten wir die enorme Belastung, die die prädiktive Gendiagnostik, hier bei der Chorea Huntington, auf die Familien hat. Im Mittelpunkt stand ein mit der Test-Situation einhergehendes Gefühl von Verlust und Schmerz. Die Beschreibung dieser Verlustgefühle erfolgt mit Hilfe des von Boss entwickelten Konzepts uneindeutigen Verlustes, des von Doka beschriebenen entrechteten Schmerzes und des vorwegnehmenden Schmerzes und der vorweggenommen Trauer von Rolland. Diese Konzepte legen klinische Interventionen nahe, mit denen betroffenen Familien geholfen werden kann, mit den psychosozialen Folgen des Testergebnisses zu leben.
Schlüsselwörter: DNA-Test, Chorea Huntington, uneindeutiger Verlust, vorweggenommene Trauer, entrechteter Schmerz
Im altägyptischen Totenritual und dem Mythos, der darin in Szene gesetzt wird, geht es um Familiendynamik. Der Mythos handelt von Familienbeziehungen, die einerseits tödlich, andererseits todüberwindend wirken, das Ritual hat sich die Heilung des Todes zum Ziel gesetzt, indem es den Mythos auf den jeweiligen Todesfall abbildet. Die Rollen im Mythos wie im Ritus entsprechen familiären Bindungen: Gattin, Sohn, Schwester und Bruder. Es geht darum, das durch den Tod zerrissene Beziehungsnetz, das allein nach ägyptischer Anschauung einem Menschen Leben zu spenden (und daher auch Tote zu beleben) vermag, wieder herzustellen.
Schlüsselwörter: Mythos, Ritus, Gattenliebe, Sohnesliebe, Vater-Sohn-Beziehung, Ödipus, Leibsphäre, Sozialsphäre, Konnektivität, Seelenbegriffe
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