Das vom Autor entwickelte Konzept des Vergebens wird vorgestellt. Schuld, die notwendige Voraussetzung des Vergebens, wird definiert und als nützliche Komplexitätsreduktion bewertet. Es wird gezeigt, dass die Schuld kein Problem ist, sondern es darauf ankommt, was man aus ihr macht. Die historische Veränderung der Bedeutung von Schuld von der Disziplinargesellschaft über die Leistungsgesellschaft zur gegenwärtigen Erfolgsgesellschaft wird dargestellt mit den entsprechenden veränderten Konsequenzen. Es wird gezeigt, was Schuld ermöglicht, insbesondere ihr Einfluss auf soziale Beziehungen und das Zeiterleben. Der begrenzte Anwendungsbereich der Gerechtigkeitsvorstellungen im Rahmen des Funktionssystems Recht wird dargestellt, ebenso wie die Ambivalenz der Gerechtigkeit, deren Schattenseiten und die Geburt der Rache aus dem Geiste der Gerechtigkeit. Die Geschichte der Rache wird als eine historische und aktuelle Geschichte der Faszination des Abstoßenden dargestellt. Die Unterscheidung der sozialen Transaktionen des Tauschens und des Schenkens wird zur Unterscheidung von Rache, Sühne, Strafe und Ausgleich auf der einen Seite und des Vergebens auf der anderen Seite genutzt. Das Vergeben wird als eine Entscheidung und ein Tun erklärt und beschrieben. Es wird auch erklärt, was Vergeben nicht ist, aber oft dafür gehalten wird. Abschließend werden Ängste und Kontextbedingungen aufgeführt, die das Vergeben behindern und erschweren.
Guilt, a necessary condition for forgiveness, will defined and rated as a helpful tool for complexity reduction. It will be shown that guilt is not a problem, it just depends on what you make of it. The historical change in the meaning of guilt, starting with the disciplinary-society to the performance-oriented to the contemporary success-orientated society will be presented with regards to the corresponding change in circumstance. The possibilities of guilt, in particular its impact on social relations and the perception of time will be shown.
The limited scope of the idea of justice will be presented, within the framework of the functional judicial system, as well as as the ambivalence of justice, the dark sides and the birth of revenge out of the spirit of justice. The history of revenge will be presented as a historical and current fascination for repulsiveness. The distinction between the social transactions of exchange und donation will be used to differentiate between revenge, atonement, punishment and compensation on the one hand and forgiveness on the other.
Forgiveness will be explained and described as a conscious decision and an intentional action.
It is also explained what forgiveness is not, but is often considered to be. Finally, the author reveals how fears and contextual conditions affect and obstruct the act of forgiveness.
Jeder Mensch wünscht sich ein gutes Gedächtnis. Das deutsche Wort »erinnern« hat jedoch zwei Konnotationen. Zum einen können damit wissende deklarative Erinnerungen (»Ich kann mich erinnern, wann ich geheiratet habe«) gemeint sein, zum anderen mahnende emphasische Erinnerungen (»Ich erinnere den Partner an den Hochzeitstag«). Wissende wie mahnende Erinnerungen sind weniger Ausdruck der Vergangenheit als Resultat aktueller Emotionslagen, Wünsche und Motive. Werden Erinnerungen geweckt, dann werden auch damit assoziierte Begleitemotionen hervorgerufen. Viele Menschen leiden unter Erinnerungen und den damit assoziierten Emotionen. Emphasische Erinnerungen haben regelhaft einen aggressiven Charakter, weil sie jemandem Vorhaltungen machen, eigene Ansprüche gegenüber anderen legitimieren sollen oder Gruppen gegeneinander abgrenzen. Damit Erinnerungen nicht befindlichkeitsbeeinträchtigend und friedensbedrohend werden und Zukunftsentwicklungen behindern, sollten sie restrukturiert, berichtigt, umbewertet und überwunden werden. Dies kann geschehen durch Entemotionalisierung, Rescripturing und v. a. Vergebung, was nicht mit Rechtfertigung, Duldung oder Versöhnung verwechselt werden darf, sondern innere Freiheit von äußeren Ereignissen verleiht.
A good memory is an invaluable asset. In this connection, English distinguishes between »remember/recall« and »remind«. The former expresses declarative memories (»I can remember when I got married«), while the other denotes a memory-jogger relating to »emphasic« memories (»I reminded my partner of our wedding anniversary«). Memories and reminders are not so much an expression of the past as the result of present emotional situations, wishes and motives. Activating memories means reawakening the emotions associated with them. Many people suffer from memories and the emotions they revive. Typically, emphasic memories are aggressive in nature, tending to express blame, substantiate our claims on others, or underline the boundaries between groups. Reminders can be disparaging or contentious and may thus impair future relations. If so, they need to be restructured, corrected, revalued and overhauled. Ways of achieving this are emotional de-escalation, rescripturing and above all forgiveness, which latter is not to be confused with justification, toleration or reconciliation but helps us achieve beneficial salutary distance from unpleasant memories.
In diesem Artikel soll ein spezifischer Aspekt von Vergebung
The purpose of this article is to focus on a specific aspect of forgiveness and exoneration, which is their effect on intergenerational relationships. This will be done from the perspective of contextual therapy, an approach founded by Ivan Boszormenyi-Nagy, one of the pioneers of family therapy. Forgiveness and exoneration are closely related terms. Both pertain to the act of letting go of a claim against a wrongdoer. But what separates them is that forgiveness does not require a reassessment of the degree of culpability of the wrongdoer while exoneration by definition can only occur as a result of such a reassessment. In contextual therapy exoneration is seen as a more important than forgiveness. In this article, I will focus on the process of exoneration that pertains to adult children who try to exonerate parents and other relatives who have been exploitative or destructive with a special focus on parentification as a source of injustices. I will not discuss the issue of forgiveness or exoneration of people who are not part of the family.
Will man die Rede von einer »Schuld an sich« vermeiden, landet man unversehens in erkenntnistheoretischen Fragen und benötigt Theorie als Reflexionsinstrument. Was genau geschieht, wenn »Schuld« beobachtet wird, und was genau geschieht, wenn »Schuld« kommuniziert wird? Und wie kommt man auf der Prämisse solcher beobachtungstheoretischen Formulierungen zu einer Definition von Vergebung bzw. Entbürdung? Der Beitrag zieht Überlegungen der Systemtheorie als Differenztheorie und Elemente der Philosophie Derridas hinzu, um Schuld, Vergebung und Entbürdung auf spezifische Weise zu beobachten.
If we wish to avoid using the term »guilt as such«, we are inevitably faced by epistemological questions and need theory as an instrument of reflection. What exactly happens when »guilt« is observed, what exactly happens when »guilt« is communicated? And how, on the basis of such observation-theoretical considerations, do we arrive at a definition of forgiveness / exoneration? The article draws upon systems theory as a theory of difference and upon elements of Derrida’s philosophy to observe guilt, forgiveness and exoneration in a specific way.
In einem ersten Schritt nutze ich die Arbeiten der amerikanischen Soziologin Arlie Hochschild, um aufzuzeigen, wie eine vormals als Besonderheit von Familie definierte Emotionalität Einzug in die Arbeitswelt hält. Aufgegriffen werden in diesem Wandel zugleich gegenkulturelle Entwürfe der 1960er und 70er Jahre, jetzt allerdings unter den politisch konservativen Bedingungen der 1980er Jahre. Gegenkulturelle Entwürfe stellen auch den Entstehungshintergrund der Arbeiten von Fritjof Bergmann dar, der insbesondere in der deutschen Debatte den Begriff des »New Work« prägen wird. Warum dieser so anschlussfähig zu sein scheint, wird mit den Thesen von Luc Boltanski und Ève Chiapello über den »Neuen Geist des Kapitalismus« veranschaulicht. Nach einem Exkurs zur Verwendung der Begriffe Familie und Gemeinschaft wird beispielhaft der Beratungsdiskurs zu »New Work« aufgenommen und als Ausdruck einer sich verändernden gesellschaftlichen Funktion von Beratung interpretiert.
Initially the work of American sociologist Arlie Hochschild is drawn upon to indicate how emotionality, previously thought to be specific to family life, has been finding its way into the world of work. Counter-cultural responses from the 1960s and 1970s have been involved in this change, albeit under the politically conservative conditions prevailing in the 1980s. Counter-cultural approaches also represent the background to the work of Fritjof Bergmann, whose concept of »new work« was to be so influential notably in the German debate on these matters. The theories of Luc Boltanski and Eve Chiapello on the »new spirit of capitalism« illustrate why this concept has so much to offer. After an excursus on the use of the terms »family« and »community«, counselling discourse on »new work« is discussed as an expression of the changing societal function of counselling.
In diesem zweiten Teil wird von einer qualitativ-explorativen Online-Studie unter systemischen Berater:innen / Therapeut:innen berichtet (Rücklauf 180, davon 50 verwertbare Datensätze). Die Ergebnisse zeigen, dass dieser Thematik im systemischen Feld Bedeutung beigemessen wird. Als Nebenwirkungen wurden beispielsweise die Symptomverschlechterung sowie die Destabilisierung des Umfeldes benannt. Zu den vielfältigen genannten Ursachen zählen u. a. eine inadäquate Ressourcenorientierung mit fehlender Wertschätzung von Problemen und Leid, verwirrende Fragetechniken als auch mangelnde Kompetenz im Hinblick auf intrapsychische Phänomene. Supervision, Intervision und Weiterbildung werden als wichtige Resonanzräume beschrieben, welche genutzt werden sollten, um die Thematik regelhaft und proaktiv zu reflektieren und Kompetenzen sowie Routinen für den Umgang damit im therapeutischen / beraterischen Prozess zu entwickeln.
This second part reports on a qualitative / exploratory online study among systemic counsellors / therapists (180 responses, including 50 usable data sets). The results show that in the systemic field this topic is held to be significant. Examples of side effects cited were symptom deterioration and destabilisation of the environment. Among the various causes adduced are inadequate orientation to resources plus deficient appreciation of problems and suffering, confusing questioning techniques, and lack of competence in connection with intrapsychic phenomena. Supervision, intervision, and further training are referred to as important spaces of resonance that should be drawn upon to reflect regularly and proactively on the relevant topics and to develop competencies and routines for dealing with them in the therapeutic / counselling process.
Bestell-Informationen
Service / Kontakt
Kontakt