Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat sich dafür interessiert, wie es Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt erlebt haben, mit der Pandemie und den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen geht. Dabei richtete sich die Sorge vor allem auf den – beträchtlichen – Anteil von Betroffenen, der angesichts der andauernden Folgen der Gewalt darum kämpft, ein »normales Leben« zu erreichen oder aufrechtzuerhalten. Was haben die aktuellen Kontaktbeschränkungen für Auswirkungen auf individuelle Bewältigungsverläufe, unterstützende Beziehungen und die Fortführung von Therapie, Beratung und Selbsthilfe? Was bedeutet es, wenn Unterstützung wegbricht? Ergebnisse einer Online-Fragebogenerhebung werden präsentiert.
The German Independent Inquiry into Child Sexual Abuse has been interested in how people who have experienced sexual violence in their childhood or adolescence are faring with the pandemic and the regulations and restrictions associated with it. Looking into this, we have focused primarily on the – substantial – proportion of victims struggling to achieve or maintain a »normal life« in the face of the ongoing impact of violence. What are the implications of current contact restrictions for individual coping strategies, supportive relationships, and the continuation of therapy, counseling, and self-help? What repercussions does it have when support breaks away? The article is based on results from an online questionnaire survey.
Häusliche Gewalt ist mit einer Vielzahl körperlicher und psychischer Gesundheitsfolgen verknüpft. Während häusliche Gewalt auch zu anderen Zeiten hoch prävalent ist, lassen erste Hinweise vermuten, dass sie im Kontext der COVID-19-Pandemie von besonderer Relevanz ist. In der Tat deuten vorläufige Studien und Berichte auf Veränderungen u. a. bezüglich der Prävalenzen und des Ausmaßes der Verletzungen hin. In Deutschland implizieren die jüngsten Zahlen einen Rückgang der Fälle häuslicher Gewalt. Dieser Rückgang steht jedoch in deutlichem Gegensatz zur Schwere der beobachteten Verletzungen. Die aktuelle Studienlage ist noch wenig belastbar. Die scheinbar sinkenden Fallzahlen sollten daher mit größter Vorsicht interpretiert werden. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen und ein zeitlich verzögerter Anstieg erwartet. Ungeachtet dessen müssen die Prävention von häuslicher Gewalt und die Versorgung Betroffener auch in Zeiten einer Pandemie gewährleistet werden. Dabei sind die Anpassung an die außergewöhnlichen Umstände sowie die Bekanntmachung der entsprechenden Hilfeangebote zentral.
Domestic violence causes a variety of adverse consequences for physical and mental health. While this kind of violence is also highly prevalent at other times, preliminary evidence suggests that it may be of particular relevance in the context of the COVID-19 pandemic. Provisional studies and reports point to possible changes in prevalence figures and the extent of injuries inflicted. In Germany, recent statistics indicate that while there is an actual decline in prevalence, this decline contrasts starkly with the severity of the injuries observed. The data currently available are still not very reliable. The apparent decline in the number of cases should therefore be regarded with extreme caution. It is safe to assume a high number of unreported cases and an attendant increase in the figures over time. Irrespectively of this, prevention of domestic violence and care for those affected must of course also be assured in a pandemic. Both adaptation to the exceptional circumstances and a stepping-up of information on the relevant help services are of crucial significance.
Wohnungslose Menschen gehören zu einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe, die im extremen Maße von sozialer Exklusion betroffen ist und sich durch multiple existenzielle und gesundheitliche Problemlagen auszeichnet. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung weisen diese Menschen wegen ihrer Lebenssituation und der damit einhergehenden Belastungen eine höhere somatische und psychische Morbidität auf. Gleichzeitig ist es für viele aufgrund von strukturellen und individuellen Barrieren nicht möglich, gesundheitliche Dienste und Behandlungsangebote in Anspruch zu nehmen. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie hat sich die Versorgungssituation wohnungsloser Menschen durch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung erheblich verschlechtert, wobei davon ausgegangen werden kann, dass ein Großteil der Betroffenen wegen Vorerkrankungen zur Risikogruppe zählt. Neben dem eingeschränkten Zugang zu präventiven Maßnahmen wie Desinfektionsmitteln, Schutzmasken oder Hygienemitteln wurden viele Betroffene durch die Kontakteinschränkungen von niedrigschwelligen psychosozialen Hilfeangeboten oder medizinischen Angeboten abgeschnitten. Der Beitrag gibt einen Überblick zur aktuellen Versorgungssituation von wohnungslosen Menschen während der Pandemie und skizziert Empfehlungen für eine Verbesserung der Versorgung.
Homeless people are a socially disadvantaged group acutely affected by social exclusion and beset by various existential and health problems. Due to their life situation and the various kinds of stress associated with it, people in this group have higher somatic and psychological morbidity levels than the general population. At the same time, structural and individual barriers make it impossible for many to avail themselves of health services and treatment offers. Although it can be assumed that previous illnesses put the majority of those affected in the COVID risk group, the state of support for homeless people has deteriorated considerably in the course of the pandemic. In addition, restricted access to preventive measures such as disinfectants, protective masks and hygiene products plus the restrictions imposed in order to reduce social contacts have cut off many homeless people from low-threshold psychosocial support or medical services. The article provides an overview of the current state of support for homeless people in the context of the pandemic and outlines recommendations for improving it.
Der Beitrag schildert exemplarisch das kommunale psychosoziale Krisenmanagement in Mülheim an der Ruhr. Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie wurde bei der Berufsfeuerwehr dieser Stadt eine Stabsstelle eingerichtet, von der aus die psychosoziale Notfallversorgung sowie die Krisenkommunikation für die rund 170 000 Einwohner koordiniert worden sind. Gemeinsam mit mehreren Netzwerkpartnern – u. a. Beratungsstellen, niedergelassenen Psychotherapeutinnen und -therapeuten, der Notfallseelsorge, Wohlfahrtsverbänden, Hilfsorganisationen und Spontanhelferinitiativen – wurden zahlreiche Unterstützungsangebote und -maßnahmen etabliert. Das Spektrum reicht vom Bilderbuch für Kindergarten- und Grundschulkinder über psychoedukative Merkblätter und eine »Corona-Bürgerbroschüre« bis hin zu notfallpädagogischen Bildungsveranstaltungen an der Volkshochschule. Die einzelnen Aktivitäten werden in einem orientierenden, rein deskriptiven Überblick dargestellt.
The article casts light on psychological crisis management at a communal level in Mülheim an der Ruhr (Germany). At the beginning of the coronavirus pandemic, the fire-fighting services created a body responsible for coordinating psychosocial emergency care and crisis communication for the roughly 170,000 residents. Supportive measures were established in conjunction with various partners, including counseling centers, practicing psychotherapists, emergency counselors, charities, and spontaneous aid initiatives. The measures include a picture-book for young children at kindergarten and primary-school age, psycho-educational leaflets, a »Residents’ Corona Brochure«, and emergency-related pedagogical events at the adult-education center. The activities are outlined here in an informative, purely descriptive overview.
Beschäftigte in medizinischen Akutbereichen sind erhöhten psychischen Belastungen ausgesetzt, die durch die COVID-Pandemie weiter verstärkt wurden. Es wurden unterschiedliche Konzepte zur Prävention von Belastungsfolgen im Arbeitskontext vorgelegt, die häufig kollegiale Ersthelfer*innen (Peer-Beratende) beinhalten. Allerdings sind diese bislang kaum empirisch überprüft und ihre Übertragbarkeit auf den Gesundheitsbereich ist nicht empirisch gesichert. Das Hamburger Konzept zur Stress- und Traumaprävention berücksichtigt die inzwischen vorgelegten Standards der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und ergänzt diese um die Aspekte chronischer Stress im Arbeitskontext und betriebliche Implementierung. Eine Evaluation der darin enthaltenen Ausbildung von Peer-Beratenden (N = 26) zeigte eine hohe Akzeptanz des Konzeptes und positive Effekte in Bezug auf die subjektive Sicherheit bei der Durchführung von entlastenden Interventionen bei betroffenen Kolleg*innen. Die COVID-Pandemie stellte im vergangenen Jahr eine Bewährungsprobe des Konzeptes dar und führte zur Entwicklung weiterer Elemente. Bei entsprechenden settingbezogenen Anpassungen scheint das Konzept grundsätzlich auch für andere Kontexte als den einer Klinik der Maximalversorgung geeignet.
Employees working in acute medical-care settings are exposed to high levels of psychological stress. These have been further exacerbated by the COVID pandemic. Different strategies for the prevention of stress in general occupational contexts have been proposed, many of them involving peer support. However, only very few of them have been empirically validated, and it remains to be seen whether they are appropriate for the health-care sector. The Hamburg Strategy for Stress and Trauma Prevention builds on the standards established by German Social Accident Insurance (DGUV), adding to them the components »chronic stress in the work context« and »operational implementation«. An evaluation of training for peer supporters (N = 26), a key aspect of the strategy, indicates a high level of acceptance. It has also yielded positive effects with regard to the anticipated assurance of participants in supporting relevant colleagues. The COVID pandemic has put the strategy to the test and has stimulated the development of further elements. With appropriate setting-related adjustments, the strategy would also appear to be suitable for contexts other than a maximum-care hospital.
Hintergrund: Die COVID-19-Pandemie führt bei Menschen mit psychischen Störungen zu Akutbelastungen und Risiken von Langzeitfolgen. Wir benötigen ein geeignetes Modell zur bio-psycho-sozialen Erfassung der pandemischen Stressbelastung, um psychotherapeutische und rehabilitative Leistungen einzuleiten. Methode: Zeitgleich mit dem ersten Lockdown haben wir das FACT-19-Modell entwickelt und parallel zur klinischen und psychometrischen Symptomerfassung in der psychotraumatologischen und psychosomatischen Versorgung angewendet. Ergebnisse: Der FACT-19 erfasst die individuellen pandemiebedingten Folgen inklusive bestehender Risikofaktoren (z. B. allgemeinmedizinisch), akuter pandemischer Stressbelastung (letale Bedrohung, Existenzangst, Isolation, Befürchtungsdynamik) sowie umweltbezogener Förder- und Barrierefaktoren. Ein Fallbeispiel zeigt die Ableitung einer Fallkonzeption. Schlussfolgerung: Das FACT-19-Modell ist ein Lösungsvorschlag zur Erfassung bio-psycho-sozialer pandemischer Auswirkungen, Vorbereitung therapeutischer Interventionen und Bündelung der Bedarfsfeststellung rehabilitativer Leistungen über gängige psychometrische Symptomskalen hinaus.
Background: In individuals with mental disorders, the COVID-19 pandemic involves acute distress and the risk of long-term effects. A model is required that is able to capture bio-psychosocial pandemic stress loads and can be drawn upon to institute psychotherapeutic rehabilitative treatment.
Method: During the first lockdown in Germany, we developed and applied the FACT-19 model parallel to established psychometric tests in psychosomatic and psychotraumatologic care.
Outcomes: FACT-19 captures the consequences of the pandemic for individual patients / rehabilitands. These include existing (e. g. general medical) risk factors, acute pandemic stress loads (deadly danger, existential fear, isolation, alarm dynamics) and environmental facilitators and barriers. An example case illustrates the institution of a case strategy.
Conclusion: The FACT-19 model is a suggested approach for measuring the bio-psychosocial effects of pandemics, preparing therapeutic interventions, and pooling assessments of the need for rehabilitative treatment over and above the routine psychometric tests.
Im Zusammenhang mit dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz und der dadurch notwendigen Versorgung von Betroffenen und ihren Angehörigen entstand die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der gemeinschaftlichen gesundheitsbezogenen Selbsthilfe von Terroropfern und anderen Opfern physischer Gewalt sowie deren Unterstützung durch Selbsthilfeunterstützungseinrichtungen (SHU). Hierzu führten wir eine bundesweite Befragung zu den bisherigen Erfahrungen der SHU durch. An vielen Stellen der Befragung zeigte sich, dass die meisten SHU mit dem Thema »Neuland« betreten. Entweder gibt es keinerlei Erfahrungen und Kenntnisse zur Problematik, oder die Erfahrungen beschränken sich auf einzelne Problembereiche, die im Rahmen der üblichen Unterstützungsaktivitäten bearbeitet werden. Dennoch, oder gerade deshalb, gibt es einen hohen Fort- und Ausbildungsbedarf aufseiten der SHU.
As a consequence of victimisation of people by terror attacks in Germany, the question arose whether self-help groups supported by self-help clearing houses (SHCH) are able to provide help for victims and bereaved. We conducted a survey about experiences of SHCH in supporting victims of terrorism, and in this context also for victims of other forms of physical and/or collective violence. Most SHCH are entering ›new ground‹ in this issue. Either there is no experience and knowledge at all about the topic, or the experiences are limited to specific areas of concern, which are processed as part of the common self-help support measures. Not only despite, but just because of these limits, there is a significant need for training and education of SHCH in this area.
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