Im folgenden Beitrag werden theoretische Implikationen reflektiert, die eine Adaptation von traumapädagogischen Konzepten und Haltungen auf kurzfristige Kriseninterventions- und Übergangssettings mit sich bringt. Die Auseinandersetzung erfolgt auf Basis der Bedeutung des sicheren Ortes, der Bindungstheorie, gruppendynamischer Überlegungen sowie der Notwendigkeit der Versorgung der Fachkräfte bei der Erfüllung ihres psychosozialen Betreuungsauftrages. Insbesondere wird auf Spannungsfelder zwischen den verschiedenen impliziten und expliziten Aufträgen eingegangen. Einerseits soll eine rasche Diagnostik und Triage erfolgen, andererseits sollen hoch belastete Menschen in akuten Krisen emotional stabilisiert werden. Teile dieser theoretischen Überlegungen bildeten die Basis für einen traumapädagogischen Organisationsentwicklungsprozess in diesem Bereich und lassen sich auf andere Übergangssettings übertragen (z. B. stationäre (kinder- und jugend-)psychiatrische Settings, Frauenhäuser etc.).
The present article discusses the theoretical implications involved in adapting trauma-informed care strategies from traditional residential care to short-term crisis intervention in youth-welfare shelters.
The theoretical remarks focus on the importance of a safe place, on attachment theory, group dynamic processes, and the role of supporting staff. The article concentrates on the conflict between the two implicit and explicit missions of a short-term setting: quick diagnostic results and triage on the one hand, and stabilization of severely affected clients on the other. Some aspects of these theoretical considerations would be suitable for initiating a process of change that might also be relevant for other transitional crisis settings (e. g. child and adolescent psychiatric inpatient units, shelters for battered women etc.).
Ein geplanter traumapädagogischer Implementierungsprozess in bereits bestehende institutionelle Konzepte orientiert sich neben den Traumapädagogischen Standards an der Ausgangslage der Einrichtung mit ihrer spezifischen Strukturqualität und ihren spezifischen Ressourcen. Die sich daraus ergebende Individualität eines jeden Implementierungsprozesses ermöglicht es, den Ansatz der Traumapädagogik stetig an neue Handlungsfelder anzupassen und weiterzuentwickeln. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Implementierungsprozess eines Konzeptes der Krisen- und Kurzzeitunterbringung, die Jugendlichen in krisenbehafteten Lebenssituationen weiterführende Perspektiven aufzeigen und somit den Auftrag der akuten Stabilisierung und Triage in weitere Angebote erfüllen. Überlegungen zum Aufbau und zur Gestaltung des Organisationsentwicklungsprozesses sowie dabei gemachte Erfahrungen werden in diesem Artikel dargestellt.
Instituting the implementation process for trauma-informed care at an institution with carefully conceived therapeutic strategies of its own calls for extremely thorough consideration and planning. In addition to the standards of trauma-informed care in German-speaking countries, this preliminary planning work will be based on the state of the institution in question, its structure and resources. Accordingly, every implementation process will be an individual matter opening up new experiences and insights facilitating the ongoing analysis and enhancement of the approach to trauma-informed care. Structural considerations, important experiences, and insights gained from the process are presented in the article.
Das Schlupfhuus Zürich hat das Projekt »Traumapädagogische Konzepte für niederschwellige stationäre Kriseninterventionen« realisiert und dabei eine Reflexion und Adaptation der eigenen Konzepte an die Bedürfnisse der häufig traumatisierten Jugendlichen vorgenommen. Ziel dieses internen Qualitätsentwicklungsprozesses war, traumapädagogische Standards in den Schlüsselprozessen der Institution zu implementieren. Der Artikel beschreibt, welche konzeptionellen Anpassungen erfolgt sind. Die emotionale Stabilisierung der Jugendlichen und eine traumapädagogisch verstehende Haltung sind dabei in den verschiedenen Phasen des Aufenthalts sowie auch im Umgang mit Regel- und Grenzverletzungen vermehrt in den Fokus gerückt. Weitere Themen sind die Auswirkungen des Implementierungsprozesses auf die Zusammenarbeit mit den Eltern und die emotionale Versorgung der Mitarbeitenden.
The »Schlupfhuus« in Zurich has implemented the project »Trauma-sensitive Strategies for Low-threshold Inpatient Crisis Interventions«, which is designed to reflect on and adapt existing strategies and procedures to the needs of young traumatized residents. The aim of this internal capacity-building process is to implement trauma-sensitive standards in the institution’s key processes. The article describes the strategic adjustments implemented. The focus has been on emotional stabilization of the young clients with the help of an approach based on a deeper understanding of trauma both during the various phases of the stay and in dealing with rule and boundary violations. Further topics are the effects of the implementation process on collaboration with parents and the emotional care and support received by the staff.
Das Schlupfhuus Zürich hält ein besonders niederschwelliges Leistungsangebot zur Krisenbewältigung junger Menschen vor. Die aufgrund der Kurzzeitunterbringung schnell zu leistende Kontakt- und Beziehungsgestaltung mit den Jugendlichen ist enorm herausfordernd für die Mitarbeitenden. Vor diesem Hintergrund wurde ein traumapädagogischer Organisationsentwicklungsprozess initiiert, um zu überprüfen, ob traumapädagogische Standards, die primär für längere, auf Beziehungskontinuität ausgerichtete Angebote entwickelt waren, auf die Bedingungen von Kurzzeitunterbringungen und stationärer, niederschwelliger Krisenintervention zu adaptieren sind und welche damit einhergehenden Veränderungen die Mitarbeitenden im Rahmen einer qualitativen Begleitforschung zwischen zwei Befragungszeitpunkten beschreiben. Die im Rahmen dieser Evaluation gewonnenen Erkenntnisse sollen für ähnliche Implementierungsprozesse und Modellprojekte in vergleichbaren Handlungsfeldern verwendet werden können und gleichzeitig der traumapädagogischen Forschung weitere Impulse ermöglichen.
The Schlupfhuus Zurich offers a particularly low-threshold range of services designed to help young people come to terms with crises. Contact and relations with these young people have to be quickly established due to the short-term nature of their accommodation, a task that is enormously challenging for the staff. Against this background, an organizational development process was initiated for trauma-informed care designed primarily to investigate whether trauma-informed care standards initially developed for longer-term services geared to continuing relationships can be adapted to short-term accommodation and low-threshold inpatient crisis intervention. It also covers the changes the staff describe in the context of ongoing qualitative research between two survey dates. It is to be expected that the insights gained in the course of this evaluation will be useful for similar implementation processes and model projects in comparable fields of activity and at the same time provide further impulses for research on trauma-informed care.
Zurzeit findet eine intensive Diskussion über sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Institutionen statt. Die Bedeutung von Räumen als Teil der Organisationskultur wird bislang bei der Entwicklung von Schutzkonzepten nicht aufgegriffen. Ein Trauma wie das Erleben sexualisierter Gewalt ist jedoch verknüpft mit dem physischen und sozialen Raum, in dem Gewalt stattfand. Im Rahmen des Forschungsprojekts »Auf-Wirkung« wurden 22 transkribierte Anhörungen der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs auf die Wechselwirkung hin analysiert, die zwischen der Organisationskultur der Einrichtung und den Räumen, in denen sexualisierte Gewalt verübt wurde, bestehen. Außerdem werden Aussagen zum Zusammenhang zwischen der Sichtbarkeit der Gewalt und Täter*innenstrategien gemacht. Es wurden drei Einrichtungstypen herausgearbeitet, in denen sexualisierte Gewalt unterschiedlich stark Teil der Einrichtungskultur ist. Die Ergebnisse leisten einen Beitrag zu einer kritischen Reflexion für die Gestaltung von Räumen in pädagogischen Institutionen, damit Reformen heute einen besseren Schutz garantieren. Die Bedeutung von Privatsphäre und Rückzugsräumen sollte bei der Entwicklung von Schutzkonzepten und Prävention nicht vergessen werden.
An intensive discussion about sexual abuse of children and adolescents in pedagogical institutions is currently carried out. The significance of spaces as part of organizational culture has not yet been included in the development of concepts of safety and security for young people in organizations. Trauma such as the experience of sexual abuse is, however, linked to the physical and social space in which violence took place. In the research project »Auf-Wirkung«, 22 transcribed private hearings of the Independent Inquiry into Child Sexual Abuse in Germany were analysed with regard to the interaction that exists between the organizational culture of the institution and the physical spaces in which sexual assaults were committed. Furthermore, conclusions will be drawn about the connection between the visibility of assaults and perpetrator strategies. Three types of institutions were identified in which sexualized violence is part of the culture of the institution to varying degrees. The results contribute to a critical reflection for the design of spaces in pedagogical institutions, so that reforms today ensure better protection. The importance of privacy and private spaces should not be forgotten when developing concepts of safety and security.
Coercive Control ist ein von Evan Stark 2007 eingeführtes Konzept im Rahmen der Partnergewaltforschung. Es beschreibt Gewalt in intimen Beziehungen als eine zwischenmenschliche, missbräuchliche Dynamik, in der durch Verwendung von Einschüchterung und kleinen unsichtbaren, aber wirkungsvollen, täglichen, kontrollierenden Verhaltensweisen sowie unvorhersehbaren, strafenden und erniedrigenden Verhaltenstaktiken Kontrolle von einem Beziehungspartner über den*die andere*n Beziehungspartner*in ausgeübt wird. Stark fordert, die »ursprüngliche« Definition von Partnergewalt, mit starkem Fokus auf physischer Gewalt, durch das Konzept von Coercive Control zu ersetzen. Damit wurde insbesondere in den USA und Großbritannien eine Diskussion in der Fachliteratur angeregt, die in ihren Grundzügen einem deutschsprachigen Publikum vorgestellt werden soll. Dafür wird als Hintergrund die sogenannte Gendersymmetrie-Debatte nachgezeichnet. Anschließend findet sich eine ausführliche Beschreibung des Konzepts von Coercive Control, seiner Erfassung und der daraus resultierenden Folgen. In Großbritannien fand das Konzept von Coercive Control Eingang in ein neues Gesetz, dem Serious Crime Act 2015 Section 76, welches abschließend als Praxisbeispiel präsentiert wird.
Coercive control is a concept reintroduced and detailed by Evan Stark (2007) pertaining research on intimate partner violence. It is an interpersonal abusive dynamic that uses intimidation, small invisible but powerful daily controlling behaviors, and unpredictable punitive and humiliating tactics to exert control over an intimate partner. Stark urges to redefine intimate partner violence with coercive control at its core instead of physical violence, thus stimulating a debate in the English-speaking literature. This debate is sought to be presented to a German speaking audience. First, we will present the debate on gender symmetry as background. Second, we will detail the concept of coercive control as well as measurement and consequences of the new paradigm. Coercive controlling behavior constitutes a criminal offence in Great Britain under the Serious Crime Act 2015 Section 76. We will present the new law as a practical example of the concept of coercive control.
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