Der Beitrag stellt die Thematik »Kinder des Krieges im 20. Jahrhundert« überblicksartig dar und beleuchtet dabei vier zentrale Aspekte. Zum ersten werden anhand ausgewählter Konflikte die sehr unterschiedlichen Konflikt- und Lebenssituationen beleuchtet, die den Hintergrund der Zeugung der Kinder bieten. Zweitens wird untersucht, ob und wie sich die sich verändernde Krigesführung im 20. Jh, und hier speziell die immer stärkere Einbindung der Zivilbevölkerung in Kriegsstrategie und -taktik, auf Kinder des Krieges und ihre Integration in Nachkriegsgesellschaften auswirkt. Drittens sollen einige Schlüsselprobleme, mit denen sich Kinder des Krieges konfrontiert sehen, aufgegriffen werden und beispielartig aufgezeigt werden, wie unterschiedliche Staaten mit dem Phänomen der Kinder des Krieges nach Beendigung der Konflikte umgehen.
Viertens wird argumentiert, dass die Probleme, die sich für die Betroffenen aus ihrer biologischen Herkunft als »Kinder des Feindes« stellen, in ihrer Tragweite nicht beschränkt sind auf die Kinder selbst, sondern dass sie lokale, regionale und gesamtgesellschaftliche Konsequenzen in Nachkriegsgesellschaften haben und dass aus diesem Grund ein verbesserten Verständnis dieser Bevölkrungsgruppe wesentlich ist, um nicht nur die Situation für die Betroffenen sondern auch für die sie integrierenden Gesellschaften zu optimieren.
The article outlines the problem of children born out of war in the 20th century. It focuses on four central aspects. (1) Selected conflicts are discussed to cast light on the extremely wide-ranging conflict and life situations forming the background for the conception of children. (2) The author inquires whether and how changing warfare in the 20th century (here notably the increasing incorporation of the civilian population into war strategy and tactics) has an impact on war children and their integration into post-war societies. (3) A number of key problems affecting children of war are addressed to illustrate the ways in which different countries deal with the war-child phenomenon after the conclusion of hostilities. (4) The author argues that the problems affecting the victims as a result of their status as »children of the enemy« are not limited in scope to the children themselves but also have local, regional and major societal consequences in post-war societies. For this reason, more acute understanding of this group of the population is essential to optimise the situation not only of those immediately affected but also of the societies integrating them.
Sexuelle Gewalt variiert in Häufigkeit wie Form und dies sowohl in zwischenstaatlichen als auch in innergesellschaftlichen Kriegen. Der hier gewählte Erklärungsansatz trägt dem polymorphen Charakter sexueller Gewalt Rechnung und trennt die unterschiedlichen Formen, Funktionen und Ursachen mittels der Konzepte der direkten, strukturellen und kulturellen Gewalt. Es wird erkennbar, dass nicht nur die unmittelbaren Täter und deren Intentionen, sondern ebenfalls die Kriegsbedingungen, die Kriegsziele und die zivilisationsspezifische Konstante »Geschlecht« sexuelle Gewalttaten bedingen. Darüber hinaus haben kulturelle Mechanismen und Strategien, welche die Ausübung sexueller Gewalt zu legitimeren versuchen, Einfluss auf das dauerhafte Vorkommen dieser Form der Gewalt. Somit sind es die gewaltdurchsetzten Umstände des Krieges, individuelle Motive, die kulturelle Legitimation von Gewalt und die Verbindung von Männlichkeit, Sexualität und Aggressivität, die sich wechselseitig verstärken und die Anwendung sexueller Gewalt im Krieg befördern.
The article discusses conflict-related sexual violence. The main thrust of the argument is that this kind of violence is not motivated by one single factor (such as rape motivation). There are in fact three different categories of sexual violence in wartime: functional, structural and cultural. It quickly becomes apparent that the actual perpetrators and their individual intentions are not the sole factor conditioning acts of sexual violence. Also operative are wartime conditions, the aims of war, and the »gender« constant specific to the civilisations involved. In addition, cultural mechanisms and strategies seeking to legitimise sexual violence also have an impact on the ongoing occurrence of this form of violence. The violence of war itself, individual motives, cultural legitimisation of violence, and the connections between masculinity, sexuality and aggressiveness thus stand revealed as mutually exacerbating factors favouring the practice of sexual violence in war contexts.
In diesem Artikel werden die Ergebnisse einer Studie mit Überlebenden von politischer Inhaftierung und Zwangsvertreibung vorgestellt, die zur Zeit des sowjetischen Regimes traumatisiert wurden. Viele Litauer waren während des sowjetischen Regimes aus politischen oder sozialen Gründen Opfer von Verfolgungen; die Mehrheit von ihnen wurde inhaftiert und von 1941 bis 1958 in weit entfernte Regionen Sibiriens und Nordrusslands deportiert. Die Opfer waren sowohl physischer als auch psychischer Gewalt ausgesetzt; viele verloren ihr Zuhause und ihre Familien. In den Sibirischen Gulag-Lagern starben viele an Hunger, extremer Kälte und Erschöpfung. Nur wenige überlebten die Grausamkeiten während der Unterdrückung und sind heute noch am Leben. Das Ziel der vorliegenden Studie liegt in der Darstellung psychischer Langzeit-Effekte der durch das sowjetische Regime erfolgten Unterdrückung in Litauen. Die Studie zeigt, dass Überlebende politischer Gewalt mehr posttraumatische Symptome aufweisen als eine gleichaltrige Vergleichsgruppe; dies gilt für Flashbacks und Alpträume sowie Verbitterung.
Die posttraumatischen Reaktionen standen in Zusammenhang mit Traumaexposition, weiblichem Geschlecht, niedrigem Bildungsgrad, beeinträchtigter Gesundheit nach Entlassung und Kohärenzsinn. 78 % der Überlebenden berichteten aber auch von positiven Veränderungen im Zuge der erlebten politischen Gewalt. Beschränkungen der Studie sowie zukünftige Forschungsthemen werden diskutiert.
The article presents the outcome of a Lithuanian study on survivors of political imprisonment and enforced displacement who suffered traumatic experiences for political and/or social reasons under the Soviet regime. Many Lithuanians were persecuted by the Soviets, most of them were deported to remote regions of Siberia and Northern Russia in the period 1941 to 1958. The victims were exposed both to mental and physical cruelty, many of them were made homeless and separated from their families. In the Siberian gulags many died of hunger, exposure to extreme cold and exhaustion. Only very few survived the treatment perpetrated on them during the oppression and are still alive today. The aim of the present study is to describe the long-term psychological effects associated with the oppression exercised by the Soviet regime in Lithuania. The study indicates that survivors of political violence display more posttraumatic symptoms than a control group of the same age. The symptoms are flashbacks, nightmares and feelings of intense bitterness. There were correlations between posttraumatic reactions and (1) trauma exposure, (2) being female, (3) poor education, (4) health impairments after release, and (5) a sense of coherence. 78 % of the survivors reported positive effects on the repercussions of political violence. In conclusion, the article discusses the limitations of the study and outlines future research topics.
Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine in ICD 10 und DSM eingegangene Diagnose, die internationale Verständigung ermöglicht und auch die Basis für politische Entscheidungen bilden kann. Die Objektivierbarkeit der Kategorisierungen vernachlässigt jedoch wesentliche Tiefendimensionen, die mit Spaltungsprozessen in der Beziehungsaufnahme und unbewussten, teils kollektiven Abwehrstrategien zusammenhängen und verhindern, dass der Traumatisierte erkannt und verstanden wird. In dieser Arbeit wird der Versuch vorgestellt, die PTBS in einen psychodynamischen Denkansatz unter Einbeziehung der Übertragung zu transformieren. Folgen für die Begutachtung von traumatisierten Flüchtlingen und Bundeswehrsoldaten werden im Anschluss an Falldarstellungen diskutiert.
Posttraumatic stress disorder (PTSD) is a diagnosis that has found its way into ICD 10 and DSM. As such, it facilitates international understanding and can also be a foundation for political decisions. However, the objectivity of these categorisations neglects essential dimensions existing at a deeper level. They are associated with splitting processes in connection with relatedness, and unconscious, partly collective defence strategies. These dimensions prevent the trauma victim from being recognised and understood. The article outlines the attempt to make PTSD susceptible to a psychodynamic approach by including transference. Subsequently the author discusses the consequences for assessments of traumatised refugees and soldiers from the Federal German Army with reference to specific cases.
Gerontopsychiatrische Patienten haben oft traumatisierende Kriegserfahrungen. Jahrzehnte später können erstmals belastende Erinnerungen im Gedächtnis wieder auftauchen. Im Osten Deutschlands waren Gewaltanwendungen am Ende des
II. Weltkriegs häufiger als im Westen. Neben einer verzögert auftretenden posttraumatischen Belastungsstörung (Post-traumatic Stress Disorder PTSD) wird bei diesen Patienten oft eine depressive Komorbidität diagnostiziert. Stellt diese eine Zweiterkrankung dar oder ist sie Teil der PTSD im Sinne einer komplexen PTSD? Der besondere Fall: In Folge einer diagnostischen Koloskopie traten bei einer bislang psychisch gesunden 89-jährigen Patientin erstmals Albträume und Intrusionen auf. Anamnestisch waren vielfache Vergewaltigungen durch sowjetische Militärangehörige zu eruieren. Eine schwere wahnhafte Depression mit Schuld-, Versündigungs- und nihilistischem Wahn maskierte eine PTSD. Zusammenfassung: Zeitgeschichtliches Denken bei der Anamneseerhebung ist erforderlich. Bei sexuell traumatisierten gerontopsychiatrischen Patienten ist die Notwendigkeit invasiver genitaler und analer Untersuchungen kritisch abzuwägen und eine interdisziplinäre geriatrische und gerontopsychiatrische Zusammenarbeit unabdingbar. Die diagnostische Klassifikation der verzögert auftretenden PTSD nach ICD-10 ist problematisch, da sie nur eingeschränkt auf gerontopsychiatrische Patienten anwendbar ist. Depressive Komorbidität sollte extra verschlüsselt werden.
Many psychogeriatic patients are marked by traumatic war experiences. Stressful memories may surface for the first time decades after the event. In the eastern part of Germany acts of violence occurred more frequently at the end of World War II than in the west of the country. Alongside delayed-onset PTSD (posttraumatic stress disorder) these patients are frequently diagnosed with depressive comorbidity. Is this a disorder in its own right, or is it part of a complex instance of PTSD? The case: Subsequent to diagnostic colonoscopy, an 89-year-old patient apparently in the best of mental health was suddenly affected by nightmares and intrusion. Anamnesis revealed that she had been raped on various occasions by members of the Soviet armed forces. PTSD was masked by severe delusional depression with feelings of guilt, sin and nihilistic delusion. Discussion: The investigation of a patient’s medical history invariably calls for consideration of the relevant biographical and social context. In the case of sexually traumatised psychogeriatric patients, the necessity for invasive genital and anal explorations needs to be given close critical scrutiny, and interdisciplinary geriatric and psychogeriatric cooperation is indispensable. Diagnostic classification of delayed-onset PTSD in accordance with ICD is problematic because of the restrictions besetting the classification of psychogeriatric patients. Depressive comorbidity should be encoded separately.
Über die traumatisierenden Folgen für die Überlebenden von Kriegsvergewaltigungen ist inzwischen einiges bekannt. Wenig Beachtung findet dagegen noch immer ein anderes Problem: Eine nicht unbedeutende Anzahl der Frauen, die sexualisierte Kriegsgewalt erleben, wird schwanger und bringt Kinder der Vergewaltiger zur Welt. Die Folgen für Mütter und Kinder sind bis heute wenig erforscht; über ihr Schicksal wird noch immer kaum berichtet. Der Artikel beschreibt exemplarisch die Fallgeschichte einer Überlebenden des Völkermordes 1994 in Ruanda, der an der Bevölkerungsgruppe der Tutsi verübt wurde. Wie Natalie S. (Name geändert) wurden etwa 75 Prozent der weiblichen Genozidüberlebenden mehrfach vergewaltigt. Etwa 5000 bis 20 000 Kinder wurden infolge der Vergewaltigungen geboren, so auch Samuel (Name geändert), der Sohn von Natalie S. Die Begegnung und der Austausch mit anderen betroffenen Müttern bei den seit 2006 von den ruandischen Hilfsorganisationen KANYARWANDA und SEVOTA organisierten »Frauenforen« haben Natalie S. maßgeblich geholfen bei der Verarbeitung ihrer Erfahrungen und bei der Gestaltung der Beziehung zu ihrem Sohn.
We now know more than a little about the traumatic consequences of war rapes for the survivors. There is however another problem that has been given scant attention so far. A by no means insignificant number of women who have experienced sexual violence become pregnant and give birth to children fathered by rapists. Little research has yet been done on the consequences for these mothers and their children, and there are few reports about the fate they have undergone. The present article describes the case history of a woman who survived the genocide of the Tutsi population in Rwanda in 1994. Like Natalie S. (name changed), about 75 percent of the female genocide survivors were raped more than once. Between 5,000 and 20,000 children were born out of these rapes, among them Natalie S.’s son Samuel (name changed). Encounters and exchanges with other mothers in the same situation at the »women’s forums« organised by the Rwandan aid organisations KANYARWANDA and SEVOTA have significantly assisted Natalie S. in coming to terms with her experiences and working on the relationship with her son.
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