Gegenwärtig ist zunehmend eine Ächtung von lediglich auf Vernichtung zielender Gewalt zu beobachten. Zur Rechtfertigung von Gewaltanwendungen werden immer nachdrücklicher ethisch legitimierende Begründungen eingefordert, wobei dazu auch das Argument der Verhinderung noch schlimmerer Gewalt gehören kann.
In der vorliegenden Arbeit wird dieser Prozess auf der Grundlage mehrerer Thesen erläutert. Dabei wird auch die Genese der Psychotraumatologie als Ausdruck dieses Prozesses diskutiert.
Insbesondere wird die Ächtung von Gewalt in den umfassenderen Rahmen eines Prozesses gestellt, in dem unter der Wirkung eines Ideals von Reinheit und Widerspruchslosigkeit alles »Andere«, Fremde und Störende eliminiert wird. Diese Elimination ist mit Gewalt verbunden. So wird aufgezeigt, dass die Moderne, in Verfolgung ihres Zieles ihrer immanenten Logik folgend, fortwährend neue Gewalt hervorbringt.
Als ein mögliches »Antidot« gegen diese »Falle« wird eine Erweiterung der Alteritätstoleranz diskutiert.
At present we can observe an increasing tendency to condemn out of hand any use of force/violence aimed solely at destruction. The call for ethical reasons justifying the use of force is becoming more urgent. One such justification may be that it prevents even greater violence.
The article discusses this process with reference to a number of theses. The author also enlarges on the genesis of psychotraumatology as an expression of this development. Centrally, the outlawing of force/violence is placed in the broader context of a process in which an ideal of purity and non-contradiction is operative in producing a frame of mind requiring the elimination of everything that is »other,« alien, or potentially disruptive. But this elimination process is itself bound up with violence. The central conclusion is that modernity obeys its own immanent logic in the pursuit of its aims and as a result constantly engenders new violence.
Increased tolerance toward alterity is discussed as a potential antidote to this »trap.«
Der Beitrag befasst sich mit der wachsenden Bedeutung der Notfallpsychologie und will dies exemplarisch anhand der erfassten kurz- und langfristigen, psychischen Folgen der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 sowie der von unserem Team geleisteten Notfallhilfe in Form von Mediatorenweiterbildungen belegen. In der vorliegenden Studie wurden Betroffene und Nicht-Betroffene der Tsunami-Katastrophe in Sri Lanka und Indonesien zu zwei Messzeitpunkten (Februar und Dezember 2005) mittels der Impact of Event Scale (IES) von Horowitz, Wilner und Alvarez (1979) zur Selbstbeurteilung und zur Fremdbeurteilung eines imaginierten Betroffenen untersucht. Beide Gruppen zeigten leichte bis schwere Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD), wobei der Ausprägungsgrad bei real Betroffenen höher als bei real Nicht-Betroffenen lag, aber die Fremdbeurteilung eines imaginierten Betroffenen durch Nicht-Betroffene den höchsten PTSD-Ausprägungsgrad aufwies. Für die Impact of Event Skala ließen sich wiederum hohe Reliabilitätswerte und die mehrfach bestätigte Zweifaktorenstruktur bestätigen. Die PTSD-Symptome zeigen auch 11 Monate nach dem Tsunami eine hohe Zeitstabilität für Betroffene und Nicht-Betroffene. Interkulturelle und Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der PTSD-Ausprägungen und der Faktorstruktur werden diskutiert. Psychologische Hilfsangebote wären nach unseren Ergebnissen für den Personenkreis Betroffener aber auch für nicht unmittelbar Betroffene erforderlich und zwar über einen ausreichend langen Zeitraum.
The article discusses the increasing significance of Disaster Psychology, substantiating this view with reference to the short- and long-term psychic consequences of the tsunami disaster of 2004 and the emergency aid provided by our team in the form of ongoing training for mediators. The present study focuses on people affected and unaffected by the tsunami disaster in Sri Lanka and Indonesia at two different points in time (February and December 2005) using the Impact of Events scale proposed by Horowitz, Winter, and Alvarez (1979) for self-assessment and the assessment of an imagined victim. Both groups displayed slight to severe symptoms of posttraumatic stress disorder (PTSD). The severity was higher among those actually affected, but the highest degree of severity was found in the assessment of an imagined victim by those unaffected by the disaster itself. Eleven months after the disaster, the PTSD symptoms displayed high temporal stability both in the actual victims and the non-victims. The article discusses intercultural and gender differences for PTSD severity and the factor structure. Our findings indicate that the provision of psychological aid is necessary both for victims and non-victims. Such aid should be available for an adequate period of time.
Gewalt ist längst auch zu einem Arbeitsschutzthema geworden. Übergriffe auf Mitarbeiter privater und öffentlicher Verwaltungen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Unfallversicherungsträger haben auf diese Entwicklung reagiert und Programme zur Prävention von Gewalt durch Dritte am Arbeitsplatz entwickelt. Der Artikel beschreibt einen umfangreichen Präventionsansatz für Arbeitsagenturen (Jobcenter). Erste Ergebnisse einer umfangreichen Mitarbeiterbefragung aus 4 Betrieben werden vorgestellt, Ursachen für Übergriffe erörtert und ein Rahmenkonzept zur Prävention vorgestellt.
Erstmals legen wir Befunde zur Art und Häufigkeit von Übergriffen und Gewalt durch Kunden vor. Spektakuläre Gewaltereignisse wie Geiselnahmen scheinen in Jobcentern aber noch die Ausnahme darzustellen. Eine wichtige Funktion haben dagegen die Arbeitsbelastungen der Mitarbeiter/-innen in Jobcentern. Hier ergeben sich charakteristische Belastungsprofile, die neben einer allgemeinen Gefährdung durch die Art der Tätigkeit auch auf Ursachen für Gewalt und Übergriffe bei den Mitarbeiter/-innen hinweisen.
Violence has long since become a crucial topic in job-safety contexts. In the last few years physical attacks on the staff of private and public administrations have increased significantly. Accident insurance companies have responded to these developments by elaborating programs for the prevention of third-party violence at the workplace. The article describes a comprehensive scheme of this kind for employment agencies (called »Job Centers« in Germany). It presents initial results from a staff survey at four such offices, discusses the causes of such attacks, and outlines a framework prevention strategy. This is the first publication to present findings on the nature and frequency of threats and attacks by employment-agency clients. So far spectacular incidents like hostage-taking have apparently been the exception at Job Centers, but job-related stress affecting staff at these Centers plays an important role. Characteristic stress profiles indicate potential causes of attacks on staff members alongside the general risks they are exposed to on account of the nature of the job.
Für früh traumatisierte Menschen ist die Dissoziation ein lebensrettendes Selbsthilfemanöver. Beim Trauma eines Kindes kommt es zur Abtrennung sowohl ängstlicher als auch aggressiver Persönlichkeitsteile. Diese treten jeweils in eine charakteristische Beziehung zum Angreifer. Während der ängstliche Kindteil sich kollaborierend mit dem Täter arrangiert, identifiziert sich der aggressive Kindteil mit dem Aggressor. Bei anhaltender traumatogener Atmosphäre verdichten sich die ängstlichen und aggressiven kindlichen Erfahrungen psychodynamisch zu traumaspezifischen Ego-States, nämlich dem »Inneren Kollaborateur« (ängstlich beflissenes Verhalten/hilfloses Opferskript), dem »Inneren Zerstörer« (vernichtende Wut als Täterintrojekt und Täterskript) und dem »Inneren Saboteur« (autoaggressive Selbsthemmung/rebellisches Opferskript). Die imaginative Strategie der Systematischen Symbolisierung ermöglicht es, über die personifizierten Persönlichkeitsteile sowohl das Trauma schonend aufzudecken als auch die traumabedingten Verhaltens- und Beziehungsmuster der Alltagsperson aufzuklären und umzustrukturieren.
For individuals affected by early trauma, dissociation is a life-saving self-help maneuver. A traumatized child will split off both anxious and aggressive parts of the personality. These will then enter into different characteristic relations with the assailant. Whereas the anxious child-part seeks a collaborative relation with the perpetrator, the aggressive child-part will identify with the aggressor. In a sustained traumatogenic atmosphere the child’s anxious and aggressive experiences will gel psychodynamically into trauma-specific ego states: the »internal collaborator« (anxious cooperative behavior/helpless-victim script), the »internal destroyer« (destructive rage as perpetrator introject and perpetrator script), and the »internal saboteur« (auto-aggressive self-inhibition/rebellious-victim script). The imaginative strategy of systematic symbolization focuses on these »personified« components of the personality both to gently expose the trauma and to elucidate and restructure the individual’s trauma-related behavior and relationship patterns.
Ressourcenaktivierung gilt als ein Hauptwirkfaktor in der Psychotherapie, gerade bei traumatisierten Patienten. Wir berichten über die Entwicklung eines Gruppenangebots, das sich intensiv und explizit der Aktivierung persönlicher Ressourcen der Patienten widmet. Das Ergebnis ist ein halbstandardisiertes 8-wöchiges Gruppenprogramm mit wöchentlich zwei Sitzungen à 45 Minuten, welches neu entwickelte Interaktionsspiele, hypnotherapeutisch-imaginative Interventionen, auf unser Klientel angepasste Bausteine aus der DBT nach Linehan und ressourcenbezogene psychoedukative Sequenzen umfasst. Die Ressourcengruppe ist mittlerweile Kernstück unseres integrativen tagesklinischen Settings. Das Spektrum an Erfahrungen und Rückmeldungen reicht von Überraschung und spontaner Begeisterung bis zur vereinzelten Ablehnung der angebotenen Interventionen und der Fokussierung auf Ressourcen. Die Atmosphäre in der vergleichsweise hoch strukturierten und tendenziell von Neugier und Entlastung geprägten Gruppe ist meist heiter; besonders die spielerischen Sequenzen machen Patienten und Therapeuten oft gleichermaßen Spaß.
Resource activation is generally regarded as a key factor in psychotherapy, notably for trauma patients. The article traces the development of a group offering devoted intensively and explicitly to the activation of patients’ personal resources. The result is a semi-standardized, 8-week group program involving two 45-minute sessions per week and encompassing newly developed interactive games, hypnotherapeutic/imaginative interventions, modules from DBT after Linehan adapted to the needs of our clientele, and resource-related psycho-educative sequences. The resource group has now become the core feature of our integrative day-clinic setting. The range of responses and feedback extends from surprise and spontaneous enthusiasm to (rare) rejection of the interventions offered and of the focus on resources. The atmosphere in the comparatively highly-structured group tends to be marked by curiosity and stress-reduction and is usually cheerful and relaxed. In many cases, the play-oriented sequences are equally entertaining both for the patients and the therapists.
Dieser Aufsatz möchte das Spannungsfeld zwischen dem theoretischen Konzept des »Traumas« mit den standardisierten diagnostischen Kriterien des PTBS einerseits und den traumatischen Erfahrungen und Auswirkungen im Kontext Boliviens andererseits aufzeichnen. Der eigene kulturelle, historische und sozioökonomische Hintergrund löst bestimmte kritische Anmerkungen aus, die eine Universalisierung der Trauma-Theoriebildung in Frage stellen. Außerdem werde ich den Bogen zu einer positiven Betrachtungsweise schlagen, indem ich auch die »Coping«-Fähigkeiten und die »posttraumatische Reifung« unter die Lupe nehme. Mir ist es wichtig zu betonen, dass dieser Artikel in der aktuellen bolivianischen Situation und mithilfe einer Forschungsequipe von jungen bolivianischen PsychologInnen entstanden ist.
This article indicates the tensions existing between the theoretical concept of »trauma« underlying standardized diagnostic criteria for PTSS and traumatic experiences and their effects in a specifically Bolivian context. The cultural, historical, and socio-economic background gives rise to a number of critical annotations that cast doubt on the universal claims of trauma theory. In a more affirmative vein, the article also takes a close look at coping skills and posttraumatic growth. A point worthy of emphasis is that the present article took shape in the current situation in Bolivia and with the assistance of a research group of young Bolivian psychologists.
Die Tötung eines Elternteils durch sein eigenes Kind ist ein seltenes Ereignis. In der Literatur wird zwischen jugendlichen bzw. heranwachsenden und erwachsenen Tätern unterschieden. Während bei den jugendlichen Tätern in der Regel ein langjähriger Missbrauch als Hauptursache für die Tat gesehen wird, bestehen bei den erwachsenen Tätern meist psychiatrische Erkrankungen, am häufigsten Schizophrenien und affektive Störungen. Wir berichten über einen 24-Jährigen, der seinen Vater mit einem Samuraischwert tötete. Bei dem Täter wurden eine Borderline-Persönlichkeitsstörung und eine Polytoxikomanie festgestellt. Außerdem bestand eine langjährige, vor allem seelisch-moralische Misshandlung des Sohnes durch seinen Vater. Nach einer umfassenden Falldarstellung werden die wesentlichen tatursächlichen Faktoren diskutiert. Dieser Fall zeigt, dass bei der Behandlung psychisch kranker Patienten ein besonderes Augenmerk auf bestehende intrafamiliäre Konflikte gelegt werden sollte, um gegebenenfalls primärpräventive Maßnahmen zu ergreifen.
Patricide and matricide are rare. The literature distinguishes between adolescent and adult offenders. The main motive for adolescents is generally considered to be year-long abuse, while adult perpetrators usually have some kind of psychiatric disorder, most frequently schizophrenia or affective disturbances. This article reports the case of a 24-year-old man who killed his father with a Samurai sword. The perpetrator was diagnosed as suffering from a borderline personality disorder and polytoxicomania. In addition, he had been exposed to mental cruelty and moral duress from his father for many years. After a detailed description of the case, the article discusses the essential factors leading to the deed. The case demonstrates that in the course of treatment for mentally disturbed individuals special attention must be paid to intrafamilial conflicts, so that primary preventive measures can be taken where indicated.
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