Nach furchterregenden traumatischen Erfahrungen, die zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen, wird die Angst oft jahrzehntelang im Traumagedächtnis gespeichert. Ganz unmittelbar beteiligt ist dabei das Limbische System, insbesondere die Amygdala. Durch Vorgänge, die an die traumatische Erfahrung erinnern, kann jedoch die im impliziten Gedächtnis – vor allem in der Amygdala – latent gespeicherte Furcht jederzeit reaktiviert werden; gleichzeitig werden damit die bereits konsolidierten Furchtengramme dekonsolidiert und offenbar sogar gelöscht, falls sie nicht erneut konsolidiert werden. Behandlungen, die mit der Rekonsolidierung interferieren, dürften deshalb zur Unterstützung einer Therapie traumatisch verursachter Angststörungen nützlich sein und möglicherweise sogar erlernte Ängste »löschen«. Emotionsforscher wie LeDoux sind freilich der Ansicht, dass bei der Löschung, der so genannten Extinktion, einer erlernten Furcht die im Traumagedächtnis implizit gespeicherte emotionale Angst nur gehemmt, aber nicht ausgelöscht und quasi getilgt werde. Allerdings wird diese Meinung inzwischen aufgrund aktueller Ergebnisse der neurobiologischen Traumaforschung kontrovers diskutiert – auch hinsichtlich ihrer Relevanz für die Klinik.
Prof. Dr. med. Johann Caspar Rüegg, Ph.D., ist emeritierter Professor für Physiologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; sein neuestes Buch heißt: »Gehirn, Psyche und Körper«.
Prof. Dr. med. Johann Caspar Rüegg
Haagackerweg 10
69493 Hirschberg
After harrowing traumatic experiences leading to a posttraumatic stress disorder the fear caused by those experiences is frequently stored in the trauma memory for decades. In this process the limbic system is crucially involved, more especially the amygdala. Events recalling the traumatic experience can reactivate the latent fear stored in the implicit memory – notably in the amygdala – at any time. But this process also destabilizes and may possibly even extinguish the consolidated fear engrams unless they are reconsolidated. Accordingly, treatments interfering with reconsolidation are likely to support therapy for trauma-induced anxiety disorders and may even be able to »extinguish« acquired fears. Admittedly, emotion researchers like LeDoux suggest that the extinction of acquired fear only inhibits the emotional anxiety implicitly stored in the trauma memory instead of eradicating it altogether. Recent findings in neurobiological trauma research have however aroused controversy about this opinion, not least in terms of its clinical relevance.
Die von Stephen Porges entwickelte polyvagale Theorie geht davon aus, dass bei Säugetieren die Antwort des autonomen Nervensystems auf eine Herausforderung oder Bedrohung der Entwicklungshierarchie folgt: Versagt ein höherentwickeltes System kommt ein phylogenetisch älteres System zum Zuge, um das Überleben zu sichern. Für den Menschen heißt das, dass im Normalfall mit der Erregung des ventralen Vaguskomplexes (social vagus) eine erste Orientierung und Kommunikation möglich ist, um emotionales Bindungsverhalten zu initiieren; dass bei extremer Herausforderung das sympathische Nervensystem den Körper auf die Notlage mit Kampf oder Flucht vorbereitet und dass bei extremster Bedrohung schließlich das dorsal-vagale System (DVC) aktiviert wird, was Immobilität (Freezing), Totstellreflex zur Folge hat und den Metabolismus herunterregelt. Auf der Basis dieses Wissens untersucht der Autor das Zustandekommen sicherer und unsicherer Bindungssituationen und erörtert die Rolle der Neuropetide Oxytocin und Vasopressin für die Entstehung von Liebesbindung, aber auch traumatischer Opfer-Täter-Beziehung.
Stephen Porges’ polyvagal theory postulates that in mammals the response of the autonomous nervous system to challenge and threat reflects an evolutionary hierarchy. If a more highly developed system fails, a phylogenetically older system will take over to ensure survival. For humans this means that, in the normal case, arousal of the central vagus complex (social vagus), initial orientation, and communication are possible and will initiate emotional attachment behavior. In extreme cases, the sympathetic nervous system will prepare the body for the em ergency by triggering the propensity for battle or flight. In the face of highly extreme threat it will activate the dorsal-vagal system (DVC), leading to immobility (freezing), animal hypnosis, and a winding down of the metabolism. On the basis of this knowledge, the author investigates the development of certain and uncertain attachment situations and discusses the role of the neuropeptides oxytocin and vasopressin in the emergence both of love attachments and traumatic victim-perpetrator relations.
Bürgerkriege, Genozid, Folter und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit prägen das Bild vieler Länder und Regionen in der Welt. Seit mehreren Jahren werden weltweit zunehmend mehr Tribunale und Versöhnungskommissionen etabliert um solche systematischen Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten. Diese Institutionen haben neben juristischen Belangen auch das Ziel vormals feindlich gesinnte Konfliktparteien anzunähern. Versöhnungsprozesse werden auf gesamtgesellschaftlicher Ebene angestoßen und gefördert. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine Aussöhnung mit den Tätern auch auf individueller Ebene hilfreich ist. Anhand eines aktuellen Literaturüberblicks werden die Zusammenhänge zwischen der Vergebung und Aussöhnung mit den Tätern und psychischer Gesundheit dargestellt und Implikationen für die weitere Forschung abgeleitet.
Many countries and regions of the world have been affected by civil wars, genocide, torture, and other crimes against humanity. Over the last few years an increasing number of tribunals and reconciliation commissions have been established all over the world to address these systematic violations of human rights. Alongside their legal concerns, these institutions also aim at bringing about a rapprochement between parties formerly engaged in hostile conflict with one another. They do so by stimulating and encouraging reconciliation processes at a societal level, on the assumption that reconciliation with the perpetrators will also have a beneficial effect for individuals. The article provides an overview of the literature on this subject, indicates the links between mental health and forgiveness of, and reconciliation with, the perpetrators, and spells out the implications for further research.
Das Konstrukt der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) beschreibt ein charakteristisches Störungsbild nach chronischen, interpersonellen Traumatisierungen, welches häufig bei Opfern von Kindesmisshandlungen, Kriegsveteranen und Überlebenden von Folter gesehen wird. Weil sich interpersonelle (Kindheits-)Traumata auch gehäuft bei psychisch kranken Straftätern finden, verfolgte diese Studie das Ziel, die 3-Monats- und Lebenszeitprävalenz der komplexen PTSD in dieser Gruppe zu erheben. 32 forensische Patienten wurden mit dem Structured Interview for Disorders of Extreme Stress (SIDES) untersucht; zusätzlich beurteilten die Bezugstherapeuten das Vorkommen von Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit ihrer Patienten. Die 3-Monatsprävalenz der komplexen PTSD lag bei 28,1 % und die Lebenszeitprävalenz bei 50 %. Diejenigen mit einer Lebenszeitdiagnose hatten signifikant mehr Kindheitstraumata erlebt und waren signifikant häufiger körperlichem Missbrauch ausgesetzt als die Patienten ohne komplexe PTSD. Wir diskutieren unsere Befunde hinsichtlich methodenkritischer Aspekte, aber auch mit Blick auf diagnostische und therapeutische Implikationen gerade im forensischen Setting.
he diagnostic construct of complex posttraumatic stress disorder (PTSD) describes a characteristic syndrome arising from chronic, interpersonal traumatization, which is often found in victims of childhood maltreatment, in war veterans, and in survivors of torture. Because interpersonal (childhood) traumas are frequently reported by mentally ill offenders, our study aimed to determine the 3-months and lifetime prevalence of complex PTSD in this specific population. 32 forensic inpatients were assessed with the Structured Interview for Disorders of Extreme Stress (SIDES); additionally, their therapists rated the occurrence of abuse and neglect in their clients’ childhood. The 3-months prevalence was 28,1 % and the lifetime prevalence was 50 %. Those with a lifetime diagnosis had experienced significantly more childhood traumas and had been exposed to significantly more physical abuse than those without complex PTSD. We discuss our findings with respect to their methodological limitations, but also consider diagnostic and therapeutic implications in a forensic setting.
Die ICD-10-Diagnose der Andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung findet in Klinik und Forschung eher wenig Beachtung. Da die konzeptuellen Ursprünge der Diagnose in die Vor-PTBS-Ära zurückreichen, ist die Stellung der Störung innerhalb der ICD-10-Nosologie etwas unbefriedigend. Bisher gibt es keine empirischen Daten zu Prävalenz, Verlauf oder zur Therapie der Anhaltenden Persönlichkeitsänderung, die daher auch im Schatten anderer Traumafolgestörungen wie Complex PTSD, DESNOS oder der Borderline-Persönlichkeitsstörung steht. Während die Anhaltende Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung im wesentlichen als chronische Form der PTBS mit einigen zusätzlichen Minussymptomen konzipiert ist, grenzen sich Complex PTSD, DESNOS und BPD durch eine Reihe markanter Positivsymptome deutlicher von der einfachen PTBS ab. Die theoretischen und historischen Hintergründe sowie die klinische Bedeutung dieser verschiedenen Syndrome werden vorgestellt und untereinander in Beziehung gesetzt.
The ICD-10 diagnostic category Enduring personality change after catastrophic experience (F62.0) has been given relatively little attention in clinical practice and research. As the conceptual sources of this diagnosis date back to before the PTSD era, the status of this disorder within the ICD-10 nosology is unsatisfactory. So far no empirical data have been gathered on the prevalence, course, or therapeutic response to Enduring personality change. Accordingly, it has been overshadowed by other posttraumatic disorders, such as complex PTSD, DESNOS, or borderline personality disorder (BPD). While Enduring personality change after catastrophic experience has largely been conceived as
a chronic form of PTSD with additional minus symptoms, a number of conspicuous positive symptoms distinguish complex PTSD, DESNOS, and BPD more clearly from simple PTSD. The article discusses the theoretical/historical background and the clinical significance of these different syndromes and also relates them to one another.
Durch das Erzählen wird eine Rekonstruktion der Vergangenheit betrieben, die aus der traumabedingten Lähmung oder Erstarrung mit eingefrorenen Gefühlen führt, indem bruchstückhafte Erinnerungen ganz allmählich Raum und Zeit gewinnen, zu Gestalten und Worten werden. Um eine tiefgehende Trauer über die erlittenen Verluste und eine Anerkennung der traumatischen Realität zu erreichen, ist eine kultursensitiv-narrative Therapie notwendig, da viele Migranten aus kollektiven Kulturen und/oder Erzähl-Gesellschaften mit unterschiedlichen Gesundheitskonzepten kommen und die Narration in der Regel in diesen Kulturen wichtiges Element einer stabilen Ich-Identität darstellt. In einer kollektiven traditionellen Gesellschaft wird das Denken und Handeln des Individuums vom Kollektiv bestimmt, die auf bestimmte gemeinsame kulturelle Werte beruhen. Zugang für die psychotherapeutische Behandlung von Mitgliedern kollektiver Gesellschaften kann die Oral History sein, die mündliche Überlieferung ihrer Geschichte, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Narration is a reconstruction of the past that can release the narrator from trauma-conditioned emotional paralysis and the »freezing« of his/her feelings. In the course of narration fragmentary memories gradually inhabit space and time by taking shape in a verbal form. A culture-sensitive form of narrative therapy is required to help patients engage in profound mourning for the losses they have suffered and thus attain recognition of the respective traumatic reality. Many migrants come from collective cultures and/or narrative societies with differing concepts of what »health« actually means. In these cultures narration is usually an important factor in achieving a stable personal identity. In traditional collective societies, individual thinking and action are determined by the collective and based on shared cultural values. Oral history – the handing down of tradition from one generation to another by word of mouth – can be a helpful factor in psychotherapeutic treatment for members of collective societies.
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