Die Verfasstheit der Geschlechtlichkeit ist weiterhin umstritten. In der neueren Entwicklung wird vor allem die kategoriale Trennung von Frau und Mann infrage gestellt. Im Zentrum steht dann das Konstrukt einer Geschlechtsidentität, die unabhängig ist von der körperlichen Ausstattung. Die leibseelische Erfahrungswelt (Frau-Sein, Mann-Sein) gerät dabei aus dem Blickfeld. In der vorliegenden Arbeit wird die binäre Struktur dieser Erfahrungswelt ausgeleuchtet und kontrastiert zu Konzeptionen, die die Geschlechtsidentität lediglich aus dem Blickwinkel der Geschlechtsinkongruenz konstruieren wollen.
The nature of sexuality remains controversial. At present, the categorial difference between man and woman is questioned. The focus then is on a gender identity constructed in a way independent of biological facts. The psychophysical experiential world (being a woman or being a man) thus gets neglected. In this article the binary structure of this experiential world is explored and contrasted to concepts that seek to construct gender identity solely from the perspective of gender incongruence.
Während in den vergangenen zwei Jahrzehnten nun endlich die Homosexualität auch innerhalb der psychodynamischen Schulen entpathologisiert und als Normvariante begriffen wurde, scheint der Diskurs über transsexuelle Entwicklung zu stagnieren und angesichts von geplanten und bereits vollzogenen Gesetzesänderungen wie der Einführung des dritten Geschlechts in einem zeitlosen Vakuum zu verharren. Der fachliche Diskurs ist gekennzeichnet durch Polarisierungen, die die Entstehung eines lebendigen Entwicklungsraumes lähmen, der gleichzeitig so notwendig gebraucht werden würde, um das Zeitphänomen der wachsenden Anzahl von sich als geschlechtlich inkongruent verortenden Menschen zu verstehen. Im Text wird die Struktur und sich entfaltende Dynamik dieses Diskurses genauer betrachtet und in ihren Konsequenzen für Behandler:innen, Betroffene und Institutionen aufgezeigt.
While in the past two decades homosexuality has finally been de-pathologized within the various psychodynamic schools and understood as a norm variant, the discourse on transsexual development seems to be stagnating and to have got stuck in a timeless vacuum in the face of planned and already implemented changes in the law, such as the introduction of the third gender. The discourse in the profession is characterized by polarizations that paralyze the emergence of a lively evolving space that is at the same time so necessary if we are to understand the contemporary phenomenon of the growing number of people who consider themselves gender-incongruent. The article examines the structure and emerging dynamics of this discourse in more detail and their consequences for practitioners, affected persons, and institutions.
Es kann eine gute Strategie für therapeutische Prozesse mit Patient:innen sein, die unter sexuellen Konflikten leiden, sich auf den speziellen Charakter des Lusterlebens zu konzentrieren. Vor allem ist eine Fokussierung angezeigt, wenn der oder die Patient:in ein Lusterleben in zwanghafter Art und Weise wiederholen muss, sodass es nicht nur viele Bereiche des sonstigen Lebens behindert, sondern auch zunehmend den lustvollen oder beruhigenden Aspekt der Wiederholung reduziert. Dies verbessert auch die Chance, möglichst wertfrei vielen Arten sexueller »Faszination« und manchmal auch Obsession zu begegnen und deren Therapie-Würdigkeit einzuschätzen. Neurophysiologische Befunde, wie sie Panksepp und Solms psychodynamisch reflektieren, haben den Blick auf das Lustprinzip sowie seine Verknüpfung mit anderen Affekten und Fantasien verändert. Einige Konsequenzen für die therapeutische Sicht auf Sexualkonflikte werden aufgezeigt.
It may be a reasonable strategy in cases of psychotherapeutic processes with patients suffering from sexual conflicts to concentrate on the specific nature of the pleasure experienced by the patient. Such a focus is above all in order if the patient compulsively repeats the experience of pleasure such as not only to obstruct many other areas of life but also and increasingly to reduce the pleasurable or calming aspect of the repetition. This may improve the opportunity to address many kinds of sexual fascinations or sometimes also obsessions nonjudgmentally and assess whether they require therapy. Neurophysiology as reflected in psychodynamic thinking by Panksepp and Solms, has changed our view on the pleasure principle and its links with other affects and fantasies. The article highlights some consequences this has for therapy for sexual conflicts.
Ausgehend von der 2011 veröffentlichten Romantrilogie »Fifty Shades of Grey« wird in diesem Beitrag der weltweiten Popularität des Materials nachgegangen und nach den Bedingungsfaktoren des Erfolgs gesucht, der sich als Mainstreamphänomen verstehen lässt. Im Zentrum stehen die ambivalente Liebesgeschichte und sadomasochistische Paarsexualität der Protagonist:innen Anastasia und Christian. Während sich unter Frauen vielfach Überraschung zeigt über die Verquickung von Autorinnenschaft und der Reproduktion weiblicher Unterwerfung unter männliche Dominanz, scheint genau diese Verbindung den Erfolg mitzubedingen, ebenso wie die Verwendung archetypischer Bilder und klassischer Rollenklischees. Ausgangspunkt ist eine an Morel und Illouz anknüpfende Auseinandersetzung mit dem Romanstoff und dessen Verfilmung. Desweiteren stellt der Beitrag die These auf, dass sich BDSM-Praktiken in Anlehnung an Morgenthaler und Sigusch als neosexuelle Verkehrsformen lesen lassen.
Taking the trilogy »Fifty Shades of Grey« published in 2011, the article explores the global popularity of the novels’ material and the factors behind their success which can be read as a mainstream phenomenon. The books center on the ambivalent love story and sadomasochistic sexuality of the couple formed by the protagonist Anastasia and Christian. While between women there is often surprise expressed at the combination of female authorship and the reproduction of female subjugation to male dominance, exactly this linkage seems to be a factor for the success as are the use of archetypal images and classic cliched roles. The article commences with a discussion of the substance of the novel and its film version that draws on Morel and Illouz. Furthermore, it suggests that BDSM practices, in line with Morgenthaler and Sigusch, can be read as neosexual forms of sexual interaction.
Vertrauen zu können, stellt eine soziale Kompetenz dar, die zwischenmenschliche Bindung aufbauen, soziale Komplexität reduzieren und Entwicklungsprozesse anstoßen kann. Da Vertrauen zu schenken mit Risiken verbunden ist und der Vertrauende sich verletzbar macht, setzt diese Kompetenz auch eine strukturelle Bereitschaft der Person voraus – das sogenannte Grundvertrauen. Dieses lässt sich als ein existenzielles Gefühl verstehen, das eine basale Verbundenheit mit anderen Menschen und der Welt impliziert und insofern ein spezifisch gerichtetes, intentionales Vertrauen erst ermöglicht. Sein Verlust kann wie etwa bei einer PTSD zu einer existenziellen Verunsicherung führen, sodass die Betroffenen sich in der Welt nicht mehr beheimatet fühlen. In anderen Fällen kann sich aufgrund widriger Beziehungserfahrungen primär kein stabiles Grundvertrauen entwickeln, etwa bei strukturellen Störungen. Eine phänomenologische Untersuchung von basalem und intentionalem Vertrauen kann so den Weg zu einer Psychopathologie und Psychotherapie der Vertrauensstörungen weisen.
The ability to trust can be considered a social competence which can build interpersonal bonds, reduce social complexity, and initiate processes of development. Since giving trust involves risks and makes the person trusting vulnerable, this competence also requires a structural readiness on the part of the person – so-called basic trust. This can be considered an existential feeling that implies a fundamental connection with other people and the world and thus makes specifically directed, intentional trust possible in the first place. Its loss can, as in the case of PTSD, lead to existential insecurity so that the affected person no longer feels at home in the world. In other cases, no stable basic trust can develop primarily due to adverse relational experiences, such as in structural disorders. A phenomenological investigation of base and intentional trust can thus point the way to arriving at a psychopathology of trust disorders and their therapy.
Vorgestellt wird die Fallgeschichte eines Patienten mit Transidentität, der vorgängig an depressiver Symptomatik litt und flankierend für seinen biomedizinischen Transitionsprozess (geschlechtsangleichende Massnahmen mittels Testosteron und Mastektomie) eine gender-affirmative, psychodynamisch orientierte Psychotherapie beginnt. Die initial vorliegenden dysphorisch besetzten Geschlechtsmerkmale konnten zunehmend innerlich organisiert werden. Der Transitionsprozess konnte durch Bearbeiten eines Individuations-Abhängigkeit-Konfliktes bei insgesamt gutem psychischen Funktionsniveau erleichtert werden. Die Person identifizierte sich mit einem »eigenen«, authentisch anfühlenden Geschlecht, welches durch andere im heteronormativ-binären Sinne als männlich gelesen werden sollte. Der Patient bezeichnete sich zuletzt als Mann (»Dan«) mit transfemininen Anteilen.
The article presents the case history of a patient with a transidentity who had previously suffered from depressive symptoms and began a gender-affirmative psychodynamic-based psychotherapy to accompany the biomedical transition process (gender reassignment measures using testosterone and mastectomy). The dysphorically experienced gender characteristics that were initially present were increasingly organized internally. The transition process was made easier by working through an individuation-dependency conflict with an overall good level of psychological functioning. The person identified with an »own« gender that felt authentic, which was meant to be read as male by others in the heteronormative-binary sense. The patient finally referred to himself as a man (»Dan«) with transfeminine parts.
Die wissenschaftliche Rezension ist von der auf Ästhetik abhebenden Literaturkritik zu unterscheiden. Seit Ende des 17. Jahrhunderts etablierte sich ein wissenschaftliches Rezensionswesen. Neben der Wiedergabe des Inhalts der Neuerscheinung steht die Einordnung in die Forschung und kritische Beurteilung im Vordergrund. Für das wissenschaftliche Rezensionswesen in Deutschland stellen die 1739 etablierten »Göttingischen Gelehrte Anzeigen«, gerade als sich Albrecht von Haller in der Redaktion engagierte, einen zentralen Meilenstein dar.
Scientific reviewing is to be distinguished from literary criticism, which focuses on aesthetics. A scientific review system has been established since the end of the 17th century. In addition to presenting the content of the new publication, the focus is on assigning the reviewed work its place in research and critically evaluating it. The ‘Göttingische Gelehrte Anzeigen’, established in 1739, represents a major milestone in scholarly reviewing in Germany, and Albrecht von Haller contributed significantly to this success.
Prof. Dr. med. Carsten Spitzer studierte Medizin in Aachen und Lübeck. Er promovierte bei Prof. Dr. Harald J. Freyberger (einem der Gründung...
Prof. Dr. med. Carsten Spitzer studierte Medizin in Aachen und Lübeck. Er promovierte bei Prof. Dr. Harald J. Freyberger (einem der Gründungsherausgeber dieser Zeitschrift) zu Patienten mit Konversionsstörungen und beschäftigt sich seither klinisch und wissenschaftlich mit dem Konstrukt der Dissoziation und der Psychotraumatologie.
Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie leitete er von 2012 bis 2019 als Ärztlicher Dir...
Annegret Boll-Klatt, Dr. phil. Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin; Leiterin der Ambulanz des Instituts für Psychotherapie (IfP) des Uni...
Annegret Boll-Klatt, Dr. phil. Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin; Leiterin der Ambulanz des Instituts für Psychotherapie (IfP) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf; Dozentin, Supervisorin und Lehrtherapeutin an zahlreichen psychologischen und ärztlichen Aus- und Weiterbildungsinstituten und an der Ärztekammer Schleswig-Holstein
Sebastian Euler, PD Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, speziell Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM) sowie...
Sebastian Euler, PD Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, speziell Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM) sowie Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik (SSCLPP), Psychoanalytischer Psychotherapeut (EFPP) und Gruppenanalytiker (D3G), stv. Klinikdirektor der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik am Universitätsspital Zürich (USZ). Er ist Träger des Hamburger Preises Persönlichkeitsstörungen 2017, Mitherausgeber der Psychodynamischen Psychotherapie ...
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