Der Leib oder der erlebte Körper ist – ebenso wie die Sprache – ursprünglich auf den anderen bezogen: Leib und Sprache sind in diesem Bezug auf den anderen vergleichbar. Um den zwischenmenschlichen Bezug der Leiberfahrung zu unterstreichen, wird der Begriff der Zwischenleiblichkeit, der von dem französischen Leibphilosophen Maurice Merleau-Ponty geprägt worden ist, eingeführt und benutzt. Körperbezogene seelische Störungen und psychosomatische Körpersymptome vereinseitigen die zwischenleibliche Dynamik einerseits, andererseits aber erlauben sie auch, etwas auszudrücken, das anders nicht sagbar wäre. Was nun diese Sagbarkeit ausmacht, soll im dritten Abschnitt kurz entfaltet werden, dafür wird auf einen wichtigen Ansatz in der Semiotik, also der Zeichentheorie, zurückgegriffen. Der vierte und längste Abschnitt bietet einen Überblick über prinzipielle semiotische Qualitäten psychosomatischer Symptome. Ihm folgt eine knappe klinische Vignette, die der Veranschaulichung dient. Eine kurze Schlussbemerkung schließt den Text ab und führt zum Anfang zurück.
The body as it is subjectively perceived is, like language, originally directed to the respective other. Language and bodily experience are comparable in this respect. To emphasize the interpersonal basis of bodily experience we rely on the term intercorporeity, originally coined by French philosopher Maurice Merleau-Ponty. Body-related psychic disorders and psychosomatic physical symptoms lead to a one-sided view of the interpersonal dynamic, on the one hand; on the other, it is only through the body that important messages can be communicated that could not be conveyed verbally. In the third section, I shall address this expressibility by drawing on a key element of semiotics. In the fourth and longest section I shall offer a brief overview of the principle semiotic qualities of psychosomatic symptoms. A short clinical vignette follows by way of visualization. The paper ends with short closing remarks that lead back to its start.
Psychosomatische Grundlagenforschung untersucht die Wechselwirkungen zwischen psychosozialen und biologischen Faktoren in Krankheitsentstehung und Behandlung. In dieser Übersicht werden aktuelle Befunde referiert und ihre Relevanz für ein vertieftes psychosomatisches Krankheitsverständnis skizziert. Dabei wird u.a. der Einfluss früher Prägungen auf die Entwicklung des Organismus sowie beteiligte Mechanismen (Epigenetik, Mikrobiom) beschrieben.
Psychoneuroimmunologische, endokrine und autonom-nervöse Mechanismen vermitteln Effekte von sozialer Umwelt und inneren Gestimmtheiten auf Körperfunktionen bis hin zu veränderter Genexpression im Immunsystem. Die referierten Befunde bestätigen die Notwendigkeit einer stärkeren Beachtung biografischer Belastungen für das Verständnis psychosomatischer Erkrankungen. Sie stellen zudem mögliche Mechanismen dar, über die auch psychosomatische Behandlungen somatische Effekte erzielen können.
Basic psychosomatic research investigates the interactions between psychosocial and biological factors in the emergence of diseases and their treatment. In this overview, current findings are reported and their relevance for a deeper psychosomatic understanding of disease is outlined. The impact of early imprinting on the development of the organism and some involved mechanisms (e.g., epigenetics, microbiota) are described.
Psychoneuroimmunological, endocrine and autonomic mechanisms impart the effects of the social environment and emotional states on body functions and can even go as far as altered gene expression in the immune system. The reported findings confirm the necessity of a stronger consideration of biographical stress as factors for an understanding of psychosomatic illnesses. They also represent possible mechanisms by which psychosomatic treatments can have somatic effects.
Die Entwicklung der psychodynamischen Konzepte zum Verständnis und zur Behandlung von Patienten mit funktionellen Körperbeschwerden »von der vegetativen Neurose zur Störung des verkörperten Selbst« wird dargestellt. Wichtige Elemente dieser Entwicklung sind neben dem Verständnis von anhaltend beeinträchtigenden Körperbeschwerden als Störungen des verkörperten Selbst mit kognitiven, affektiven und interpersonellen Anteilen die plausible Integration auch der physiologischen Ebene über ein Verständnis der Körperbeschwerden als Wahrnehmungsstörungen und des Gehirns als eines kontinuierlich Vorhersagen produzierenden Organs (predictive processing). Die therapeutischen Konsequenzen des Modells wie initiale Legitimierung der Beschwerden und die Nutzung von Beschwerdeklage und beschwerdebezogenen Beziehungserfahrungen als primärem Material werden diskutiert.
The paper presents the development of psychodynamic concepts for understanding and treating patients with functional somatic disorders »from vegetative neurosis to disorder of the embodied self«. Important elements of this development include not only construing functional somatic disorders as disorders of the embodied self with cognitive, affective and interpersonal aspects but also the plausible integration of the physiological level of description by viewing physical complaints as perceptual disorders and the brain as a constant predictive processing organ. The therapeutic consequences of this model are discussed – such as the initial legitimation of the disorder and the use of complaints of physical disorders and complaint-related relationship episodes as primary material in therapy.
Thema des Aufsatzes ist die Spannung zwischen dem perfektionierten und malträtierten Körper im Kontext von Optimierungspraktiken. Aus kulturanalytischer und psychodynamischer Sicht werden gegenwärtige Formen des Umgangs mit dem Körper anhand von zwei Fallbeispielen aus einer soziologisch-sozialpsychologischen und psychoanalytisch orientierten Studie diskutiert. Im Zentrum stehen die Fragen, auf welche Weisen dabei innere und äußere Realitäten ineinandergreifen können.
This article examines the tension between the perfected and the maltreated body in the context of practices of optimization. From a cultural-analytical and psychodynamic point of view, contemporary forms of dealing with the body are discussed on the basis of two case studies from a sociological/social-psychological and a psychoanalytically oriented study. The focus is on the question of how inner and outer realities can interlock.
Ich/Selbst und Körper bilden nicht nur in der frühen Lebensphase, sondern lebenslang ein Gesamtsystem, dessen Binnenstruktur sich im Verlauf der Entwicklung verändert. Im höheren und hohen Lebensalter tritt die basale Funktion des Körpers für das Selbst zunehmend in den Vordergrund. Durch krankheits- oder altersbedingte Veränderungen wird auch das Körper-Selbst erschüttert und zur Reorganisation gezwungen, ein Vorgang, der angesichts der Ängste oder Depressionen nicht übersehen werden sollte, deretwegen Patient*innen uns aufsuchen. Deshalb wird hier die intrapsychische, intersubjektive und zwischenleibliche Psychodynamik des Körpererlebens im Alter ins Zentrum gestellt und anhand eines Fallbeispiels diskutiert.
Not only in the early phase of life do ego/self and body form a system whose internal structure changes in the course of development; this persists throughout life. In higher and advanced age, the basic function of the body for the self becomes increasingly important. Due to changes caused by illness or age, the foundations of the body-self are also shaken and it is forced to reorganize, a process that should not be overlooked in view of the fears or depressions for which patients consult us. As a result, I examine the intrapsychic, intersubjective and inter-corporeal psychodynamics of bodily experience in old age and discuss this on the basis of a case study.
Es wird die tiefenpsychologisch fundierte Behandlung einer Patientin mit einer schweren hypochondrischen sowie undifferenzierten Somatisierungsstörung vorgestellt. Der initial sehr stark ausgeprägte, nahezu ausschließlich körperlich attribuierte Leidensdruck führte zu ständigen Konsultationen ihres Hausarztes und weiteren Behandlungen. Beschrieben wird die therapeutische Entwicklung der Patientin, die sich als Prozess einer Psychisierung somatosensorischen und -affektiven Erlebens verstehen lässt. Insbesondere auf die Reflexion der Übertragungs-Gegenübertragungsdynamiken sowie der angewandten Interventionen wird eingegangen. Durch die therapeutische Nutzung eines Übergangsobjektes wurde eine Brücke zwischen innerer und äußerer Welt durch eine symbolische Verbindung zwischen haltender therapeutischer Beziehung und unerträglichem somatoaffektivem Zustandserleben geschaffen.
We present the psychodynamic psychotherapy of a severe hypochondriacal and undifferentiated somatoform disorder. The patient initially experienced very pronounced pain that was almost exclusively attributed to a somatic disorder, which led to constant consultation of the patient’s general practitioner and likewise to somatic treatment. A description is given of the patient’s development in therapy, which can be grasped as the psychologization of somatosensory and somato-affective experiences. Attention is paid specifically to the therapeutic countertransference, the utilized psychodynamic interventions. By using the intervention of a transitional object, a concrete and symbolic link was forged between the patient’s internal and external worlds connecting the safe and containing therapeutic relation and the intolerable somato-affective states in the patient.
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