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PDP - Psychodynamische Psychotherapie, 2023, Jg. 22, Ausgabe 1

PDP - Psychodynamische Psychotherapie, 2023, Jg. 22, Ausgabe 1

Essstörungen

DOI: 10.21706/pdp-22-1

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Bibliographische Angaben


Herausgegeben von:Annegret Boll-Klatt, Sebastian Euler und Carsten Spitzer
1. Auflage, Erscheinungstermin: 15.03.2023
ISSN print: 1618-7830 / ISSN digital: 2625-0772
ISBN: 978-3-608-97581-9

Details


Editorial
Essstörungen
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Sebastian Euler, Daniel Sollberger
Seite 1 - 2 | doi: 10.21706/pdp-22-1-1
Schwerpunkt
Wider die Normierung des Genießens
Die Anorexia nervosa als Identitätsentwurf

In geradezu paradigmatischer Weise scheinen Essstörungen eine Zwischenposition zwischen Natur und Kultur, zwischen Körper und Seele einzunehmen. Dabei spielen hormonelle, neuroendokrine Regulationen des Hunger- und Sättigungsgefühls oder des Belohnungssystems ebenso eine Rolle in der Entwicklung von Essstörungen wie Fragen der kulturellen Genese und Sozialgeschichte moderner Essstörungen. Wir bewegen uns in Sachen Essen zwischen den »Life Sciences« und »Humanities«, zwischen Physiologie und Psychologie, somatischer Medizin und Psychiatrie, zwischen Neuro- und Kulturwissenschaften. Der vorliegende Artikel befasst sich mit einer kulturphilosophischen Perspektive auf die Anorexie und versucht diese als Widerstand gegen normative Zuschreibungen und das postmoderne Verdikt des Genießens zu verstehen, um aus einem Verständnis für die Funktionalität eines dysfunktionalen Verhaltens eine therapeutische Grundhaltung zu skizzieren.

In an almost paradigmatic way, eating disorders seem to occupy an intermediate position between nature and culture, between body and soul. In this context, hormonal, neuroendocrine regulations of hunger and satiety mechanisms or of the reward system play just as much a role in the development of eating disorders as do questions of the cultural evolution and social history of modern eating disorders. In matters of »eating,« we find ourselves in a field between the »life sciences« and the »humanities«, between physiology and psychology, somatic medicine and psychiatry, and between neuroscience and cultural studies. The present article addresses a cultural philosophical perspective on anorexia and tries to understand it as resistance to normative attributions and the postmodern verdict of pleasure, in order to outline a basic therapeutic stance based on an understanding of the functionality of dysfunctional behavior.

Schlagworte: Essstörungen, Postmoderne, Anorexia nervosa, eating disorders, Postmodernism, Kulturphilosophie, cultural philosophy
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Daniel Sollberger
Seite 3 - 14 | doi: 10.21706/pdp-22-1-3
Psychodynamisch orientierte (teil-)stationäre Behandlung von Essstörungen

Stationäre und teilstationäre Aufenthalte können in der Behandlung von Essstörungen notwendig werden, wenn eine körperliche Gefährdung besteht, die Symptomatik stark ausgeprägt ist, ein komplexes Störungsbild mit Komorbidität vorliegt oder eine ambulante Therapie nicht ausreichend wirksam ist. Ein psychodynamischer Ansatz ist nicht nur für die Behandlung der Erkrankungen selber, sondern auch für ein Verständnis von gruppendynamischen Prozessen in einer Behandlungseinheit sowie von Teamdynamiken hilfreich. Er kann in einem multimodalen Setting ferner einen Rahmen für die Integration von Therapieelementen (z. B. die Arbeit mit Behandlungsverträgen und Esstagebüchern) bieten, die ursprünglich vor dem Hintergrund eines kognitiv-behavioralen Ansatzes entwickelt wurden.

In the therapy of eating disorders, inpatient and day-clinic treatment may become necessary in the event of physical risk, severe symptoms, comorbidity, or if outpatient treatment has not been sufficiently effective. A psychodynamic approach can be helpful not only for the treatment of the disorders themselves, but also for an understanding of group processes as well as team dynamics. In a multimodal setting, it can also provide a framework for an integration of further treatment components (work relying on treatment contracts or eating diaries) that were originally developed against the background of a cognitive-behavioral approach.

Schlagworte: psychodynamische Psychotherapie, Essstörung, Tagesklinik, psychodynamic psychotherapy, eating disorder, inpatient treatment, stationäre Behandlung, day clinics
Formate: pdf, html
Almut Zeeck
Seite 15 - 26 | doi: 10.21706/pdp-22-1-15
Mentalisieren und Mentalisierungs­basierte Therapie (MBT) bei Essstörungen

Essstörungen gehören zu den häufig vorkommenden psychischen Störungen und gehen mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen einher. Es gibt spezialisierte, evidenzbasierte Behandlungsansätze und sie sind wirksam, die Remissionsraten liegen jedoch immer noch bei nur ca. 50 %. Deshalb bedarf es der Weiterentwicklung und Verbesserung des therapeutischen Vorgehens. Ein vielversprechender Ansatz könnte die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) sein. Ursprünglich zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt und inzwischen evidenzbasiert, wurde der Anwendungsbereich zuletzt auch auf weitere psychische Störungen, darunter Essstörungen, ausgeweitet. Der vorliegende Artikel gibt eine konzeptuelle Einführung in den Themenkomplex Mentalisieren und MBT bei Essstörungen.

Eating disorders are common mental disorders and they are accompanied by severe health impairments. Specialized evidence-based treatment approaches exist and are effective. However, rates of remission are still low at approximately 50 %. There is thus a need to advance and improve current treatment approaches. One promising ave­nue may be mentalization-based treatment (MBT). Originally developed for the treatment of borderline personality disorders and meanwhile evidence-based, it has recently been extended to further mental disorders, including eating disorders. The current article will give a conceptual introduction to the topics of mentalization and MBT for eating disorders.

Schlagworte: Mentalisieren, Mentalisierungsbasierte Therapie, MBT, Essstörungen, Bulimia Nervosa, Anorexia nervosa, eating disorders, mentalizing, mentalization-based treatment
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Sebastian Euler, Almut Zeeck, Esther Stalujanis
Seite 27 - 38 | doi: 10.21706/pdp-22-1-27
Kein Löffelchen für Mama!
Entwicklungsbezogene und psychodynamische Dimensionen von Essstörungen in der frühen Kindheit

Frühkindliche Fütter- und Essstörungen erreichen zunehmend auch kinderpsychotherapeutisch Tätige, belasten Eltern und Kinder stark und persistieren unbehandelt oft bis ins Schulalter. Aus klinischer Perspektive lassen sich diese als frühe Störungen der Verhaltens- und Beziehungsregulation beschreiben, die in der Eltern-Kind-Interaktion bei den Mahlzeiten sichtbar werden und videogestützt evaluiert werden können. Bezüglich der Genese stehen dabei (neuro-)biologische und entwicklungsdynamische Faktoren beim Kind sowie elterliche emotionale Beiträge in enger Wechselwirkung miteinander. Illustriert mit einer Fallvignette wird praxisbezogen die Diagnostik von Essstörungen in der frühen Kindheit beschrieben und ein Behandlungsansatz vorgestellt, in dem sowohl verhaltensbezogene wie auch psychodynamische Interventionen zum Einsatz kommen.

Early childhood eating and feeding disorders are increasingly seen in psychotherapy settings. Without treatment, their burden on children and parents often persists into school age. From a clinical perspective, these disorders can be described as early disturbances in behavior and relationship regulation that can be observed during mealtimes and evaluated via video recording. Regarding their genesis, children’s (neuro)biological and developmental dynamics interact closely with parent’s emotional contributions. Using a case vignette from clinical practice, this article describes the diagnosis and treatment of eating disorders in early childhood and presents a treatment approach that uses both behavioral and psychodynamic interventions.

Schlagworte: frühe Kindheit, Essstörung, Eltern-Kind-Interaktion, Psychotherapie, Psychotherapy, eating disorder, early childhood, Fütterstörung, parent-child-interaction, feeding
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Carola Bindt
Seite 41 - 53 | doi: 10.21706/pdp-22-1-41
Mitteilungen aus der Gesellschaft
Aktuelles von der DFT
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Seite 54 - 60 | doi: 10.21706/pdp-22-1-54
Der interessante Fall
Stationäre Behandlung einer anorektischen Patientin

Dieser Beitrag schildert den Verlauf der stationären Behandlung einer jungen, an einer Anorexie erkrankten Frau. Gezeigt wird, wie sich bereits im Erstgespräch zentrale Beziehungs- und Konfliktthemen andeuten, wie diese sich in der Beziehung mit dem Behandlungsteam reinszenieren und im Verlauf zunehmend zur Sprache gebracht, erleb- und bearbeitbar werden. Von der psychodynamischen Annahme ausgehend, dass in der Anorexie der Körper zum Austragungsort bewusster und unbewusster (auch familiärer) Konflikte wird, wird deutlich, welche Bedeutung der Konfliktaktualisierung in der therapeutischen Arbeit mit der Patientin und ihren Angehörigen zukommt.

This article describes the course of inpatient treatment of a young woman suffering from anorexia. It shows how central themes of the relationship and conflict are already evident in the initial interview, how these are reenacted in the relationship with the treatment team, and how they are increasingly verbalized in the course of the treatment and thus become experienceable as well as workable. Based on the psychodynamic assumption that in anorexia the body becomes the venue for conscious and unconscious (also family) conflicts, it becomes clear how important the actualization of conflicts is in the therapeutic work with the patient and her relatives.

Schlagworte: Psychodynamik, Stationäre Psychotherapie, Anorexie, Inpatient Psychotherapy, psychodynamics, anorexia, bewusste und unbewusste (Beziehungs-) Konflikte, conscious and unconscious (relationship) conflicts
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Josefine Röhrs, Nicole Burgermeister
Seite 61 - 71 | doi: 10.21706/pdp-22-1-61
Zweitsicht
»Ich lebe derzeit von meinem eigenen Fleisch«
Gedanken zum Film Das Summen der Insekten – Bericht einer Mumie (CH, 2009) von Peter Liechti

Der experimentelle Filmessay des Schweizer Filmemachers Peter Liechti bewegt sich auf der Grenze zwischen Dokument und Fiktion und zeichnet mit einer assoziativen Bild- und Tonmontage den langsamen Prozess eines Hungertodes nach. Der Film beruht auf der Novelle »Bis ich zur Mumie werde« (1990) des japanischen Autors Shimada Masahiko, der eine wahre Begebenheit in Japan verarbeitete. In tagebuchartiger Form berichtet ein namenloser Mann von seiner schrittweisen Selbsttötung, einem schmerzhaften Verfallsprozess. Es ist eine phänomenologische Niederschrift, die keine Hinweise auf mögliche Motive oder Fragmente aus der Lebensgeschichte des Mannes liefert. Der vorliegende Text greift entlang dieser Phänomenologie des willentlichen Verhungerns zentrale Aspekte anorektischer Dynamiken wie die Desobjektalisierung, die Spaltung zwischen Geist und Körper sowie den angestrebten Triumph über »Naturgesetze« als Form der totalen autarken Selbstkontrolle auf.

This experimental film essay by Swiss filmmaker Peter Liechti straddles the line between document and fiction, using an associative montage of images and sound to trace the slow process of a death by starvation. The film is based on the novella »Until I Become a Mummy« (1990) by the Japanese author Shimada Masahiko and draws on a true incident in Japan. In diary-like form, an unnamed man reports on his gradual suicide, a painful process of decay. It is a phenomenological transcript that provides no clues to possible motives or fragments from the man’s biography. In line with this phenomenology of willful starvation, the present text takes up central aspects of anorectic dynamics, such as disobjectification, the split between mind and body, and the aspired triumph over »natural laws« as a form of total independent self-control.

Schlagworte: Autarkie, Todestrieb, Desobjektalisierung, death drive, Verhungern, starvation, disobjectification, autarky
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Vania Zschokke
Seite 72 - 78 | doi: 10.21706/pdp-22-1-72
»Küsse, Bisse, das reimt sich.«
Essen, Liebe und Aggression in Peter Greenaways Film The Cook, the Thief, his Wife & her Lover

Peter Greenaways Film The Cook, the Thief, his Wife, and her Lover (1989) thematisiert die Nähe von Essen und Lieben in hochartifizieller Symbolik, zugleich aber in körpernaher Opulenz und ausschweifender Körperpräsenz, die einen vereinnahmen, um nicht zu sagen: verschlingen. Das ist durchaus eine Zumutung. »The Cook, the Thief, his Wife, and her Lover« lässt sich als Versuch lesen, im Rahmen des Essens die semiotische Frage zu stellen, wie von der Körperebene zur Sprach- und Symbolebene zu finden ist, wie der Weg von der Somatik zur Semantik erfolgt. Der Film beantwortet die Frage in der Spannbreite von kultivierter Kochkunst, Genuß zelebrierender, aber affektkontrollierter, geordneter Tischgesellschaft bis hin zu chaotisch-gewaltsamem, triebhaft-ausschweifendem Fressen und schließlich bestialischem Kannibalismus und pervertiert dabei die christliche Mythologie.

Peter Greenaway’s film »The Cook, the Thief, his Wife, and her Lover« (1989) highlights the proximity of eating and love in highly artificial symbolism, but at the same time in near-bodily opulence and dissolute physical presence, that seize you, indeed devour you. This is almost unreasonably overwhelming. »The Cook, the Thief, his Wife, and her Lover« can be read as an attempt to pose the semiotic question in the context of eating of how to find the way from the corporeal level to that of language and symbols, or what the route from somatics to semantics is. The film answers the question across the spectrum ranging from cultivated culinary art, in the enjoyment of a celebrating, but affect-controlled, orderly company at table to chaotic-violent, libidinous-excessive eating and finally bestial cannibalism and thereby perverts Christian mythology.

Schlagworte: Esskultur, Kannibalismus, Essverbot, christliche Mythologie, dining culture, food restrictions, christian mythology, cannibalism
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Daniel Sollberger
Seite 79 - 84 | doi: 10.21706/pdp-22-1-79

Autor:innen


Annegret Boll-Klatt(Hrsg.)

Annegret Boll-Klatt, Dr. phil. Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin; Leiterin der Ambulanz des Instituts für Psychotherapie (IfP) des Uni...

Annegret Boll-Klatt, Dr. phil. Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin; Leiterin der Ambulanz des Instituts für Psychotherapie (IfP) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf; Dozentin, Supervisorin und Lehrtherapeutin an zahlreichen psychologischen und ärztlichen Aus- und Weiterbildungsinstituten und an der Ärztekammer Schleswig-Holstein


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© privat

Sebastian Euler(Hrsg.)

Sebastian Euler, PD Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, speziell Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM) sowie...

Sebastian Euler, PD Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, speziell Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM) sowie Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik (SSCLPP), Psychoanalytischer Psychotherapeut (EFPP) und Gruppenanalytiker (D3G), stv. Klinikdirektor der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik am Universitätsspital Zürich (USZ). Er ist Träger des Hamburger Preises Persönlichkeitsstörungen 2017, Mitherausgeber der Psychodynamischen Psychotherapie ...

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Carsten Spitzer(Hrsg.)

Prof. Dr. med. Carsten Spitzer studierte Medizin in Aachen und Lübeck. Er promovierte bei Prof. Dr. Harald J. Freyberger (einem der Gründung...

Prof. Dr. med. Carsten Spitzer studierte Medizin in Aachen und Lübeck. Er promovierte bei Prof. Dr. Harald J. Freyberger (einem der Gründungsherausgeber dieser Zeitschrift) zu Patienten mit Konversionsstörungen und beschäftigt sich seither klinisch und wissenschaftlich mit dem Konstrukt der Dissoziation und der Psychotraumatologie. 
Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie leitete er von 2012 bis 2019 als Ärztlicher Dir...

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