Die Zwanghafte, anankastische Persönlichkeitsstörung wurde in den modernen Klassifikationen von DSM und ICD diagnostisch eindeutig von den symptomatischen Zwangstörungen (Zwangshandlungen, Zwangsgedanken) getrennt - dies nicht zuletzt deshalb, weil sich die Behandlungsansätze bei beiden Störungsbereichen sehr deutlich unterscheiden. Auch sind die früher vermuteten Zusammenhänge zwischen anankastischer Persönlichkeit und Zwangsstörung immer nur bei einer Minderzahl von Patienten nachweisbar: Bei Patienten mit Zwängen lassen sich eine ganze Reihe unterschiedlicher Persönlichkeitsstörungen finden, und bei Patienten mit zwanghafter Persönlichkeit lässt sich ebenfalls ein erhöhtes Komorbiditätsrisiko für die unterschiedlichsten Achse- I-Störungen beobachten. Dieser Beitrag stellt die jeweils differierenden kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verstehens- und Behandlungsansätze von Zwangsstörungen beziehungsweise Anankastischer Persönlichkeitsstörung vor und diskutiert Besonderheiten in der Behandlungsplanung von Patienten mit Zwangsstörungen, wenn bei diesen zeitgleich eine Persönlichkeitsstörung (anankastisch oder eine andere) diagnostiziert werden kann.
Cognitive-behavioural approaches to obsessive-compulsive disorder and obsessive-compulsive personality disorder
Obsessive-compulsive personality disorder (OPD) has been distinguished from obsessive-compulsive disorder (OCD) in DSM (since DSM-III) and ICD-10, and treatment strategies for both appear to differ significantly. Recent studies have found individuals with OCD to present a number of different personality disorders, and individuals with OPD have a high comorbidity-risk with different axis-I-disorders. The article presents an overview of current perspectives in the development of cognitive behavioural psychotherapy approaches that are different for patients with OPD and patients with OCD, especially for those OCD-patients with a comorbid personality disorder (OPD or another one).
Neben der Behandlung der Hysterie verdankt die Psychoanalyse ihre Entstehung vor allem der Beschäftigung mit Zwangsphänomenen. Diese wurden unter dem Stichwort der Zwangsneurose zusammengefasst. Der anankastische Charakter begegnete zunächst als »Disposition zu deren Entwicklung«. Erst später wurde unter dem Begriff einer »zwanghaften Charakterneurose« eine Anankastische Persönlichkeitsstörung abgetrennt. In der Erweiterung des klassischen konfliktdynamischen Hintergrunds zur Sicht des Zwanges als fundamentales Sicherungs- und Kontrollbedürfnis wird auch aus psychoanalytischer Perspektive Komorbidität mit anderen Persönlichkeitsstörungen verständlich. Im Zentrum des Aufsatzes steht schließlich die Anankastische Persönlichkeitsstörung und ihre Behandlung, dargestellt anhand von Kasuistiken.
Psychoanalytic approach to obsessive-compulsive disorder and obsessive-compulsive personality disorder
Psychoanalysis became prominent not only because of the treatment of hysteria, but also for reasons of exploration of obsessivecompulsive phenomena. The latter were summarized under the term »obsessive compulsive neurosis«. At first, the »anancastic character« was conceived as a disposition for developing an »obsessive compulsive neurosis«. Later on, a discrete personality disorder was differentiated under the concept of »anancastic character neurosis«. By explaining obsession not only through »inner conflicts« but also in terms of a fundamental need for security and control, the comorbidity of the obsessive compulsive disorder with other personality disorders other than obsessive compulsive personality disorder becomes evident. From a psychoanalytic point of view, this article focuses particularly on the conception of anancastic personality disorder and its treatment, illustrated by case studies.
Zur Frage des Zusammenhangs von Zwangsstörung und Zwanghafter Persönlichkeitsstörung wurden die Komorbiditätsraten von Zwangsstörung und Zwanghafter Persönlichkeitsstörung aus einer Klinikstichprobe aus den Jahren 1998 bis 2005 ausgewertet (n = 864). Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen (nach DSM-IV-TR) fanden sich als häufigste komorbide Diagnose bei Zwangsstörungen, die Zwanghafte Persönlichkeitsstörung wies zusammen mit der ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung eine Komorbiditätsrate von drei Prozent auf. Die Komorbiditätszahlen zeigen zwar einen Zusammenhang von Zwangsstörung und Zwanghafter Persönlichkeitsstörung, allerdings auf niedrigem quantitativem Niveau. Eventuell handelt es sich um eine kleine Subgruppe von Zwangspatienten, für die eine Komorbidität besteht. Des Weiteren wurden drei Gruppen (Gruppe eins [n = 444]: Zwangsstörung ohne Komorbidität; Gruppe zwei [n = 19]: Zwangsstörung und komorbide Zwanghafte Persönlichkeitsstörung sowie Gruppe drei [n = 32]: Zwanghafte Persönlichkeitsstörung ohne komorbide Zwangsstörung) bezüglich verschiedener therapierelevanter Variablen verglichen. Hinsichtlich der Variablen Therapiemotivation, änderung des psychischen Befindens und der Skalen der SCL90R ergaben die Vergleiche über die drei genannten Gruppen kaum Unterschiede. Auffallend war alleine der Differenzwert zwischen Aufnahme und Entlassung beim BSS. Für Patienten mit einer Zwangsstörung (Gruppe eins und zwei) lag dieser mit 2,70 beziehungsweise 2,89 deutlich höher als für die Gruppe drei. Patienten mit Zwanghafter Persönlichkeitsstörung erzielen laut Therapeutenurteil einen deutlich geringeren Therapiegewinn als Patienten mit einer Zwangsstörung.
On the question of comorbidity between obsessive compulsive disorder and obesessive compulsive personality disorder
Comorbidity of obsessive compulsive disorder (OCD) and obsessive compulsive personality disorder (OCPD) was investigated by means of the Windach Hospital Psy-BaDo-PTM data base comprising seven years (1998-2005). Concerning OCD the highest comorbidity was found with DSM-IV-TR cluster C personality disorders (PD). For OCPD and avoidant PD a maximum comorbidity rate of 3 % could be demonstrated. It seems that a comorbid relationship between OCD and OCPD does exist only for a small subgroup of OCD patients. Three groups were defined and compared with the therapeutic outcome: group 1 (n = 444) OCD without comorbidity; group 2 (n = 19) OCD with comorbid obsessive compulsive personality disorder (OCPD); group 3 (n = 32) OCPD without OCD. Patients out of group 1 and 2 have much better therapeutic outcome than OCPD without OCD (group 3).
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Unvollständigkeitserleben (Janet 1903) einen Beitrag zum Verständnis des Zusammenhangs zwischen Zwangsstörung und zwanghaften Persönlichkeitszügen leistet. Wir vermuten, dass die uneinheitliche Befundlage zur Komorbidität von Zwangsstörung und Zwanghafter Persönlichkeitsstörung auf die Heterogenität beider Störungsbilder zurückgeht und untersuchen daher den Zusammenhang spezifischer Symptomdimensionen der Zwangsstörung mit zwanghaften Persönlichkeitsmerkmalen im Sinne kontinuierlicher Phänomene auch unterhalb der diagnostischen Schwelle. Klinische Beobachtungen weisen darauf hin, dass Unvollständigkeitsgefühle im Sinne von »Nicht-genau-richtig-Erleben« nicht nur bei bestimmten Unterformen der Zwangsstörung eine bedeutsame affektive und motivationale Rolle spielen, sondern auch bei Patienten mit zwanghaften Persönlichkeitsakzentuierungen. Dies führt zu der Hypothese, dass zwanghafte Persönlichkeitszüge selektiv mit »unvollständigkeitsassoziierten« Symptomdimensionen der Zwangsstörung (Ordnungs-/Symmetrie-, Kontroll-, Grübel- und Sammelzwängen) verknüpft sind und nicht mit Waschzwängen und Zwangsgedanken/-impulsen, und dass dieser Zusammenhang durch Unvollständigkeitserleben moderiert wird. Vorläufige Ergebnisse aus einer noch laufenden Studie bestätigen diese Hypothese und deuten darauf hin, dass Unvollständigkeitsgefühle ein wichtiges Bindeglied zwischen Symptomzwängen und zwanghaften Persönlichkeitsakzentuierungen darstellen könnten.
Incompleteness as a link between obsessive-compulsive personality traits and specific symptom dimensions of obsessivecompulsive disorder
This paper examines the contribution of incompleteness feelings (Janet 1903) to an understanding of the relationship between obsessive-compulsive disorder (OCD) and obsessive-compulsive personality traits. We believe that the inconsistent results concerning comorbidity of OCD and obsessive-compulsive personality disorder are due to the heterogeneity of both disorders, and therefore investigate the association of specific OCD symptom dimensions with obsessive-compulsive personality features conceptualized as continuous phenomena which are also observable below the diagnostic threshold. Clinical observation suggests that incompleteness feelings/»not just right experiences« play a significant affective and motivational role not only for certain OCD subtypes, but also for patients with accentuated obsessive-compulsive traits. This leads to the hypothesis that obsessive-compulsive personality traits are selectively linked with »incompleteness-associated« OCD symptom dimensions (ordering/symmetry, checking, ruminations and hoarding) and not with washing and obsessions/obsessional impulses. Preliminary results from an ongoing study confirm this hypothesis and suggest that incompleteness feelings may be an important connecting link between OCD and accentuated obsessive-compulsive personality traits.
Die Psychologie der Persönlichkeit erfordert eine dynamische Betrachtungsweise, welche Aussagen über die Stabilität und Instabilität von Kognitions-Emotions-Verhaltens-Mustern ermöglicht. Das Konstrukt der Persönlichkeit kann vor diesem Hintergrund als Konstellation von mehr oder weniger stabilen Attraktoren in einem mehrdimensionalen Raum von Messgrößen oder als sich kontinuierlich wandelnde Potenziallandschaft repräsentiert werden. In einer qualitativen Herangehensweise können diese Attraktoren oder Potenzialtäler als states of mind interpretiert werden, deren Auftretenswahrscheinlichkeit und Zustandsabfolge sich zum Beispiel im Verlauf von Psychotherapien verändert. Ich-Syntonie bei Persönlichkeitsstörungen und problematischen Persönlichkeitsstilen führt unabhängig von der Achse-I-Diagnose in der therapeutischen Beziehung häufig zu Kommunikationsschwierigkeiten und Konflikten. In der Behandlung von Zwangspatienten kommt hinzu, dass die Zwangssymptomatik zu Beginn der Therapie für die Patienten höchste Priorität hat und persönlichkeitsbedingte Defizite dadurch kaschiert werden. Durch den täglichen Einsatz eines computerbasierten Therapieprozessbogens und das Synergetic Navigation System (SNS) bekommen Therapeut und Patient die Möglichkeit, ihre subjektiven Einschätzungen des Therapieprozesses untereinander abzugleichen. Dadurch gewinnt der Therapeut einen tieferen Einblick in das (Beziehungs-)Erleben des Patienten und auch in dysfunktionale Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster.
Synergetic process-management in the therapy of patients with personality disorder
The psychological investigation of personality can not be done without a perspective on dynamic processes. This approach allows for the identification of cognitive and emotional patterns and the analysis of their stability or instability. The theoretical construct of personality can be explained by the individual constellation of more or less stable attractors (cognitive and emotional patterns) in a multidimensional space of observables representing the behaviour, the emotions, and the cognitions of a certain person. The representation of dynamic patterns by potential landscapes contains the equivalent information. Ego-syntony in personality disorder often leads to interaction-problems in therapy. The daily use of the synergetic navigation system (SNS) supports a discussion between therapist and patient about the therapy process und the different views. By this method the therapist becomes a better insight of the patient´s dysfunctional patterns.
In dieser Arbeit wird das, vorwiegend aus den populärwissenschaftlichen Medien bekannte Störungsbild der Orthorexia nervosa und der gegenwärtige Stand der (spärlichen) wissenschaftlichen Literatur vorgestellt. Hierauf aufbauend werden nosologische Fragestellungen erörtert. Aufgrund unzureichender Evidenz kann derzeit nicht von einem eigenständigen Krankheitsbild ausgegangen werden. Unter dem Aspekt der Ich-Syntonie/Ich-Dystonie lassen sich orthorektisches Erleben und Verhalten zu Beginn der Störung am ehesten als überwertige Ideen beschreiben, im späteren Verlauf einer atypischen Form von Zwangsstörungen zuordnen. Einige wenige Verhaltensmuster ähneln der Anorexie, Hinweise auf die Zugehörigkeit von Orthorexie zu Somatoformen Störungen oder Persönlichkeitsstörungen ergeben sich nicht. Um langfristig konkretere Aussagen machen zu können, sind einheitliche diagnostische Kriterien und das Vorliegen valider Messinstrumente notwendig.
Orthorexia nervosa: status quo of scientific literature and nosological considerations
In this article we introduce the phenomenon of orthorexia nervosa (which is well known from the mass media) applying scientific standards. Based on current scientific knowledge – which is very limited – nosological aspects are discussed. Concerning insufficient scientific evidence orthorexia nervosa can´t be considered as a diagnostic entity. In relation to ego-syntonic/ego-dystonic behaviour orthorexia can be described as a form of overvalued idea (at the beginning of the disorder) and in the later course orthorexia is considered as an atypical form of obsessive-compulsive disorder. Considering the actual (limited) data base, there is no sufficient evidence that orthorexia is a form of eating disorder, somatoform disorder or personality disorder. Standardized diagnostic criteria and instruments are necessary for further research.
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