Der Beitrag behandelt einige wesentliche Themenfelder aus dem reichen Œuvre von Otto F. Kernberg und arbeitet Elemente ihrer Kreativität heraus.
This article deals with some of the main themes from Otto F. Kernberg’s rich œuvre and highlights elements of its creativity.
Im Alternativen DSM-5 Modell für Persönlichkeitsstörungen (American Psychiatric Association 2013) fokussiert das Kriterium A das Niveau der Persönlichkeitsfunktion. Dieses findet sich bereits im objektbeziehungstheoretischen Modell von Kernberg (1984), in dem anhand von drei Dimensionen die sog. Persönlichkeitsorganisation bestimmt wird: Integration der Identität, Abwehrmechanismen und Realitätsprüfung. Je nach Schweregrad der Beeinträchtigung dieser drei Bereiche differenziert Kernberg zwischen der
Criterion A of the Alternative DSM-5 Model for Personality Disorders (American Psychiatric Association 2013) focuses on the level of personality functioning. This concept can already be found in Kernberg’s object relations model (1984), which differentiates levels of personality organization based on three dimensions: identity integration, defense mechanisms, and reality testing. According to severity of disturbance in these three dimensions, Kernberg discriminates between
Zunächst wird in diesem Beitrag auf die historische Entwicklung der in den 60er und 70er Jahren von Kernberg auf psychoanalytischer Grundlage konzipierten Diagnostik und Behandlung von schweren Persönlichkeitsstörungen, insbesondere von Borderline- und narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, eingegangen. Anschließend wird aufgezeigt, wie darauf aufbauend die manualisierte Methode der Transference-Focused Psychotherapy (TFP) im Personality Disorders Institute (PDI) New York durch eine kontinuierliche und systematische Zusammenarbeit von Experten aus den unterschiedlichsten klinischen und wissenschaftlichen Bereichen entwickelt wurde. Für Ausbildung und Forschung wurde TFP als ambulante Einzelpsychotherapie von Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsorganisation in den Jahren von 1999 bis 2015 ständig optimiert. Mit der Entwicklung eines erweiterten psychodynamischen Ansatzes (TFP-E) liegt seit 2018 eine flexiblere und individuellere Methode vor, um Patienten mit Persönlichkeitspathologie in den verschiedensten klinischen Settings und Bereichen zu behandeln. TFP wird modifiziert in der stationären und forensischen Psychiatrie, in der Kinder-und Jugendpsychotherapie (TFP-A), in der klinischen Psychotherapie und Psychosomatik angewendet. Weiterhin wird in dem Beitrag auf die Ausbildung von Therapeuten und die nationale und internationale Vernetzung von TFP eingegangen. Die abschließende kurze Darstellung der TFP-Methode wird durch Auszüge aus den von Kernberg im Jahr 2018 veröffentlichten
This article starts with the historical development of the diagnosis and treatment of severe personality disorders, in particular borderline and narcissistic personality disorders, conceived by Kernberg on a psychoanalytic basis in the 1960s and 1970s. It will then be shown how the manualized method of Transference-Focused Psychotherapy (TFP) was developed at the Personality Disorders Institute (PDI) in New York through continuous and systematic collaboration between experts from a wide variety of clinical and scientific fields. For education and research, TFP was continuously optimized between 1999 and 2015 as an outpatient individual psychotherapy for patients with borderline personality organization. Since 2018, the development of an extended psychodynamic approach (TFP-E) has provided a more flexible and individual method for treating patients with personality pathology in a wide variety of clinical settings and areas. TFP is modified and applied in inpatient and forensic psychiatry, child and adolescent psychotherapy (TFP-A), clinical psychotherapy and psychosomatics. Furthermore, the article deals with the training of therapists and the national and international networking of TFP. The concluding brief presentation of the TFP method is supplemented by excerpts from the
Veränderungen der Borderline-Persönlichkeitsorganisation wurden bisher nur in psychodynamisch orientierten Therapien für die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) systematisch erfasst. Ebenso wurden signifikante Veränderungen von Bindungsrepräsentationen (unverarbeitete Traumata in Richtung Bindungssicherheit) bislang nur in der evidenzbasierten Übertragungsfokussierten Therapie (TFP) erfolgreich nachgewiesen. Das Ziel einer Kooperationsstudie der Universitäten Greifswald und Innsbruck war es, die Ausprägung persönlichkeitsstruktureller und bindungsbasierter Variablen unter Einsatz des Adult Attachment Projective Picture System (AAP) zur Erfassung der Bindungsrepräsentation in einem verhaltenstherapeutisch orientierten Setting auf behavioraler und neurobiologischer Ebene zu evaluieren. Die Ergebnisse einer kontrollierten, intervallbasierten stationären und einer ambulanten Folgestudie zur Behandlung von BPS-Patientinnen mittels Dialektisch-Behavioraler Therapie (DBT) werden zusammenfassend berichtet und im Hinblick auf Implikationen für verhaltenstherapeutisch orientierte Interventionen diskutiert.
Changes in borderline personality organization have so far only been systematically assessed in psychodynamic oriented interventions for borderline personality disorder (BPS). Moreover changes in attachment representation (unresolved trauma towards attachment security) have been successfully demonstrated only during the evidence-based treatment Transference Focused Psycotherapy (TFP). The aim of a cooperative study of the universities of Greifswald and Innsbruck was to evaluate the features of personality structure and attachment-based dimensions using the Adult Attachment Projective Picture System (AAP) to assess the patients’ attachment representations in a behavioral and neurobiological oriented setting. The results of a controlled, interval-based inpatient and outpatient follow-up study on the treatment of BPS patients with Dialectical Behavioural Therapy (DBT) are summarized and discussed with regard to clinical implications for behavioural interventions.
Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung im Jugendalter wird sowohl in der Forschung als auch in der Praxis kontrovers diskutiert. Der Wegfall der Altersbeschränkung für Persönlichkeitsstörungen im DSM-5 läutete erste wichtige Änderungen ein. Gleichzeitig setzte das alternative Modell der Persönlichkeitsstörungen im DSM-5 erste wichtige Schritte zu einer neuen, dimensionalen Erfassung der Störung. Das ICD-11 führt diese Entwicklung konsequent weiter und hat den Mut zu einer tatsächlichen Veränderung. Ein auf verschiedenen Dimensionen von Beeinträchtigungen basierendes lineares Schweregradkonzept erleichtert die Beschreibung auch beginnender Störungen. Der Wegfall der althergebrachten Kategorien birgt insbesondere für Jugendliche die Chance einer frühen Identifikation von Persönlichkeitsdefiziten und somit früher initiierter spezifischer Behandlung. Passende Inventare zur Diagnostik sind dazu notwendig, die in dieser Arbeit vorgestellt werden. Die Veränderungen in der ICD-11 zur Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen leiten einen wichtigen und gut fundierten Schritt hin zu einer Entstigmatisierung und Modernisierung dieser Diagnose im Einklang mit den empirischen Ergebnissen ein.
The diagnosis of a personality disorder in adolescence is controversially discussed both in research and in practice. The removal of the age restriction for personality disorders in DSM-5 set the seal on chance. Furthermore, the alternative model of personality disorders in DSM-5 took the first important steps towards a new dimensional assessment of this pathology. ICD-11 continues this development consistently and dares to make a real change. The classification of three levels of severity based on different dimensions of impairments allows an early indication of the disorder. The omission of traditional categories provides the opportunity to identify personality deficits at an early stage of adolescence and to initiate early specific treatments. Appropriate inventories for diagnostics are necessary, they are presented in this paper. The change in the ICD-11 for the diagnosis of personality disorder is an essential and well-founded step towards a destigmatization and modernization of this diagnosis in accordance with empirical results.
Neurobiologische Modelle der Borderline-Persönlichkeit haben spezifische Symptome dieser Störung beschrieben, um ihre komplexe Psychopathologie zu erklären. In funktionellen Neuroimaging-Studien wurde die erhöhte Reaktivität der Amygdala auf emotionale Reize als biologisches Substrat emotionaler Instabilität und Impulsivität untersucht. In diesem ersten Erklärungsmodell entspricht die Amygdala-Aktivität der Rekrutierung von Bottom-up-Enkodierungsprozessen, was im Gegensatz zu einem Top-down-Prozess kognitiver Kontrolle steht. Eine zweite Art von Modellkonzepten nimmt die ausgeprägten Defizite in der sozialen Kognition und Interaktion dieser Erkrankung als Ausgangspunkt, um die Aktivierung kortikaler Bereiche zu untersuchen, welche aktiv an der Enkodierung von Handlungen und Motiven anderer Menschen beteiligt sind. Diese Studien haben erste Hinweise auf eine Dissoziation zwischen zwei relevanten Formen der sozialen Kognition geliefert. Die erste Art ist überwiegend mit automatisch ablaufenden Prozessen wie z. B. der emotionalen Ansteckung verbunden. Die zweite Art beinhaltet Prozesse, die sich mit der Zuordnung von psychischen Zuständen von Interaktionspartnern beschäftigt (mental state attribution). Mit diesem Modell (stärkere Rekrutierung der ersteren Form – emotionale Ansteckung – und verminderte Involvierung der zweiten Form – mental state attribution) können die für die Borderline-Persönlichkeit charakteristischen Symptome erklärt werden. Diese Ergebnisse liefern zunehmend sophistizierte neurobiologische Phänotypen, die bei der empirischen Verifizierung klinischer Modelle dieser Erkrankung und ihrer Therapie hilfreich sein können.
Neurobiological models of borderline personality have described specific symptoms of this disorder to explain their complex psychopathology. Functional neuroimaging studies have investigated the increased reactivity of the amygdala to emotional stimuli as a biological substrate of emotional instability and impulsivity. In this first explanatory model, the amygdala activity corresponds to the recruitment of bottom-up encoding processes, in contrast to a top-down process of cognitive control. A second type of model concept takes the distinct deficits in the social cognition and interaction of this disease as a starting point to investigate the activation of cortical regions that are actively involved in the encoding of other people’s actions and motives. These studies have provided initial evidence of dissociation between two relevant forms of social cognition. The first is predominantly associated with automatic processes, such as emotional contagion. The second one contains processes that deal with the assignment of mental states of interaction partners (mental state attribution). With this model (stronger recruitment of the first form – emotional contagion – and reduced involvement of the second form – mental state attribution) the symptoms characteristic for the borderline personality can be explained. These results provide increasingly sophisticated neurobiological phenotypes that may be helpful in the empirical verification of clinical models of this disease and its treatment.
Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (kurz Borderline-Persönlichkeitsstörung; BPS) ist gekennzeichnet durch eine emotionale Dysregulation, Impulsivität, risikoreiches Verhalten, Gefühl der inneren Leere, selbstverletzendes Verhalten und Angst, verlassen zu werden, sowie instabile zwischenmenschliche Beziehungen. Die BPS ist eine in der Allgemeinbevölkerung häufig vorkommende psychische Störung und daher auch gesundheitsökonomisch relevant.
Im Unterschied zu den meisten anderen psychischen Störungen schwächen sich bei der BPS manche Symptome im Laufe der Zeit ab, teilweise sogar ohne Behandlung, obwohl das soziale Funktionsniveau und zwischenmenschliche Schwierigkeiten in engen Beziehungen bestehen bleiben. Dies ist nicht kompatibel mit vorherrschenden neurobiologischen »Defizit«-Modellen der BPS.
Im folgenden Übersichtsartikel wird postuliert, dass viele für die BPS charakteristischen Symptome im Kontext der Life History Theory, einem Teilgebiet der Evolutionstheorie, verstanden werden können. Demnach handelt es sich bei der BPS um ein Syndrom, das aufgrund einer opportunistischen interpersonellen Orientierung, eingeschränkter Impulskontrolle, risikoreichem Sexualverhalten und anderer Kennzeichen, als Ausdruck einer »schnellen« Life History Strategy (LHS) verstanden werden kann. Die unbewusste Entwicklung einer LHS ergibt sich aus Vorhersagen über künftige Ressourcenverfügbarkeit auf dem Boden individueller frühkindlicher Erfahrungen. Die evolutionäre Perspektive ist kompatibel mit psychologischen und medizinischen Konzeptualisierungen der BPS, geht aber über die klassischen »Defizit«-Modelle hinaus und kann daher neue Implikationen für therapeutische Ansätze haben.
»Borderline Personality Disorder« (BPD) is characterized by emotion dysregulation, impulsivity, risk-taking behavior, irritability, feelings of emptiness, self-injury and fear of abandonment, as well as unstable interpersonal relationships. BPD is a prevalent condition in the general community, and thus represents an important public health issue.
In contrast to most psychiatric disorders, some symptoms associated with BPD may improve over time, even without therapy, though impaired social functioning and interpersonal difficulties in close relationships often persist. This is incompatible with prevailing neurobiological »deficit« models of BPD.
In this review it is argued that many features of BPD may be understood in the context of Life History Theory, a branch of evolutionary theory. Accordingly, BPD reflects the extreme of a »fast« life history strategy associated with opportunistic interpersonal orientation, poor impulse control, risky sexual behavior and other features that emerge based on the individual’s unconscious predictions in terms of resource availability, shaped by early developmental experiences. The evolutionary perspective is consistent with standard psychological and medical conceptualizations of BPD, but goes beyond classic »deficit«-oriented models, which may have profound implications for therapeutic approaches.
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