In der 11. Version der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-11) wird die bisher kategoriale Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen durch ein dimensionales Modell abgelöst. Damit können zukünftig keine spezifischen Persönlichkeitsstörungen wie etwa die vermeidend-selbstunsichere oder narzisstische Persönlichkeitsstörung mehr diagnostiziert werden. Stattdessen erfolgt nach der Prüfung der allgemeinen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung die Bestimmung ihres Schweregrads. Anschließend können Qualifikationsmarker bestimmt werden, welche die Art der Störung näher beschreiben: negative Affektivität, Distanziertheit, Dissozialität, Enthemmung und Anankasmus. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, ein Borderline-Muster zu diagnostizieren. Insbesondere die Bestimmung des Schweregrades der Persönlichkeitsstörung könnte für die Differenzialindikation unterschiedlich intensiver Behandlungen bedeutsam werden. Ob sich das neue Modell in der Praxis bewährt und zu einer Entstigmatisierung beiträgt, bleibt abzuwarten.
In ICD-11, the former approach for the diagnosis of personality disorders which was based on categories has been replaced by a dimensional model. As a result, in future specific categories such as avoidant-non-assertive or narcissistic personality disorder no longer exist. Instead, after assessing the general criteria for a personality disorder the level of severity of a personality disorder will be evaluated. Further qualifiers can be identified to specify the disorder: negative affectivity, detachment, disinhibition, dissociality, and anankastia. Moreover, a borderline pattern can be diagnosed.
In particular, ascertaining the level of severity of the disorder may help to indicate differential treatment intensity. It remains to be seen whether the new model stands the test of clinical practice and helps de-stigmatize patients with personality disorders.
In der ICD-11 ist die Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen grundlegend verändert worden. Durch die Einführung einer Lebensspannen-Perspektive kann die Diagnose nun auch ohne Vorbehalte im Jugendalter vergeben werden. Wegen der konsequenten Umsetzung eines dimensionalen Störungskonzepts wurden alle einzelnen PS-Diagnosen außer der Borderline-PS gestrichen. In diesem Beitrag wird anhand der im Jugendalter eher selten vergebenen Diagnose einer Schizoiden PS aufgezeigt, wie sich dieses Störungsbild in Abgrenzung zur Borderline-PS und zur Ängstlich-vermeidenden PS darstellt und wie die zukünftige Klassifikation nach ICD-11 aussieht. Die Vor- und Nachteile der neuen PS-Klassifikation für kinder- und jugendpsychiatrische Patienten werden diskutiert.
The classification of personality disorders (PD) has been fundamentally changed in ICD-11. With the introduction of a life-span perspective, there are no longer any barriers to applying this diagnosis in adolescence. The consistent use of a dimensional view on disorders means that all specific PD diagnoses have ceased to exist with the exception of Borderline-PD. Using the case example of a girl with schizoid PD, a rare diagnosis in adolescence, the phenomenology of this disorder is presented in distinction to Borderline-PD and anxious-avoidant PD. The future classification of schizoid PD according to ICD-11 is outlined, and the benefits and risks of using it with reference to adolescent patients is discussed.
Die anankastische (oder zwanghafte) Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 oder DSM-5 ist eine häufige psychische Erkrankung, die erhebliche funktionelle Beeinträchtigung und hohes Leid nach sich zieht. In der ICD-11 wird diese Störung als Persönlichkeitsstörung mit Auffälligkeiten in der Anankasmus-Domäne und auch anderen Domänen beschrieben. Die Kriterien in ICD-10 und DSM-5 werden mit der Anankasmus-Domäne verglichen und der diagnostische Prozess nach ICD-11 wird anhand eines klinischen Fallbeispiels auf seine praktische Anwendbarkeit hin untersucht.
The anancastic (or compulsive) personality disorder as described in ICD-10 and DSM-5 is a highly prevalent personality disorder that entails substantial functional impairment and severe suffering. In ICD-11 it is defined as a personality disorder with prominent personality traits in both the anancastic and other domains. In this article we compare the criteria in ICD-10 and DSM-5 to the anancastic domain and explore the clinical utility of the ICD-11 diagnostic procedure on the basis of a clinical case presentation.
Das deutlich überarbeitete Persönlichkeitsstörungskonzept der ICD-11 eröffnet neue Perspektiven für die forensische Psychiatrie im Hinblick auf die Schuldfähigkeitsbegutachtung sowie die Therapieplanung und -prognose. Dabei übernehmen die allgemeinen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung eine bedeutsamere Rolle in der Diagnostik. Außerdem erlaubt die Schweregradeinteilung im neuen dimensionalen Ansatz und die Bestimmung verschiedener, für die Funktionsbeeinträchtigungen besonders relevanter Persönlichkeitsdomänen eine nuancierte Beschreibung einer Persönlichkeitsstörung. Die differenzierte Diagnostik ermöglicht bei der Schuldfähigkeitsbegutachtung eine individuellere Abbildung von Defiziten, die einer exakteren Darstellung von Zusammenhängen zwischen psychosozialen Funktionsbeeinträchtigungen und Delikt zuträglich sein kann. Für die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen gemäß der ICD-11-Aktualisierung werden Vorschläge aus der Psychotherapieforschung am Beispiel forensischer Adaptationen empirisch gestützter Therapieverfahren illustriert. Mithilfe eines Fallbeispiels werden die Konsequenzen des neuen Diagnosesystems im vorliegenden Artikel veranschaulicht.
The substantive revision of the concept of personality disorder as published in ICD-11 creates new perspectives for forensic psychiatry as regards assessing criminal responsibility, as well as planning treatment and providing a legal prognosis thereon. The general criteria of a personality disorder take on a more important role in the diagnostic process. In addition, the measure of severity in the new dimensional approach allows a more nuanced description of personality disorders as does the specification of different personality domains with relevance to functional impairments. The more differentiated diagnosis facilitates a more individual mapping of deficits and resources when assessing criminal responsibility which can promote a more precise identification of linkages between impaired psychosocial functioning and a criminal offence. For the treatment of personality disorders as per the updated ICD-11, we outline preliminary proposals from psychotherapy research using the example of forensic adaptations of empirically supported therapy methods. The consequences of the new diagnostic system are illustrated on the basis of a clinical case.
Die Einführung der neuen ICD-11-Klassifikation für Persönlichkeitsstörungen stellt eine signifikante Veränderung des Diagnostischen Ansatzes dar. Mit der Einführung des neuen Systems ist die Hoffnung, eine Reihe von Limitationen der bisherigen kategorialen Systeme zu überwinden sowie die klinische Nützlichkeit in Bezug auf Indikationsstellung und Behandlungsplanung für Kliniker:innen und Patient:innen zu verbessern, verbunden. Dieser Artikel gibt einen Überblick über aktuell deutschsprachig verfügbare und psychometrisch geprüfte Instrumente zur Einschätzung des Schweregrades der Persönlichkeitsfunktionen und -merkmale basierend auf der ICD-11 sowie dem alternativen DSM-5-Modell und diskutiert Limitationen und notwendige Weiterentwicklungen v.a. in Bezug auf die klinische Anwendbarkeit.
The introduction of the new ICD-11 diagnostic system for personality disorders represents a significant shift from the traditional diagnostic approach. This new system is expected not only to overcome the well-known limitations of the existing categorial approach, but also to improve its clinical utility, especially with regards to indication and treatment planning. This article aims to provide an overview of the currently available German measures, which assess impairments in personality functioning as well as personality traits, based both on ICD-11 and the alternative DSM-5 model. Finally, limitations and needs for further developments with regard to clinical applicability will be discussed.
Seit Längerem wird die Idee eines allgemeinen Funktionsniveaus der Persönlichkeit diskutiert. Insbesondere in der psychoanalytisch begründeten Tradition finden sich mehrere Konzepte, die als Vorläufer der aktuellen Neukonzeption von Persönlichkeitspathologie in ICD und DSM angesehen werden können. In diesem Artikel stellen wir eine vergleichende Untersuchung der neu eingeführten und der bestehenden Konzepte an. Wir zeigen zunächst, dass über verschiedene Denkrichtungen hinweg relativ viel Einigkeit darüber besteht, dass Persönlichkeitspathologie zu einem eindimensionalen, quantitativen Konstrukt zusammengefasst werden kann. Obschon sich durchaus auch Unterschiede in den spezifischen Messskalen benennen lassen, argumentieren wir im zweiten Teil dieser Arbeit, dass die klinisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den verschiedenen Konzepten erst in ihrer theoretischen Einbettung sichtbar werden. Anhand von zwei ungeklärten Fragen, jener nach der möglichen Funktionalität der Dysfunktion und jener nach dem Zusammenhang von Funktionsniveau mit dem Persönlichkeitsstil einer Patientin, wird deutlich, dass in der klinischen Fallkonzeption und der daraus ableitbaren Behandlungslogik bedeutsame Unterschiede zwischen den verschiedenen Modellen zum Funktionsniveau der Persönlichkeit bestehen.
For some time now, there has been a discussion of the notion of general personality functioning. Especially in the psychoanalytic tradition there are several concepts which can be regarded as precursors to the current rethinking of personality pathology in the ICD and the DSM. In this article, we compare the new models of personality functioning to existing ones. First, we show that there is considerable agreement across different schools of thought that personality pathology can indeed be summarized into a one-dimensional, quantitative construct. Although there are important differences between the respective measurement scales themselves, we argue in the second part of the article that the most clinically meaningful differences between the various concepts of personality functioning only become visible with regard to how the theoretical basis of the respective concepts. We refer to two hitherto unresolved issues to support this claim: 1) Is the patient’s very lack of personality functioning itself a functionality? 2) How is the patient’s personality functioning related to their personality style? We illustrate how clinically important differences in case formulation and the resulting treatment approach follow from the theoretical underpinnings of different concepts of personality functioning.
Otto F. Kernberg, 1928 in Wien geboren, ist Professor Emeritus für Psychiatrie an der Cornell University und Direktor des Personality Disorders Ins...
Otto F. Kernberg, 1928 in Wien geboren, ist Professor Emeritus für Psychiatrie an der Cornell University und Direktor des Personality Disorders Institute am New York-Presbyterian Hospital. Er war lange Vorsitzender der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Kernberg ist einer der führenden Denker in der Psychoanalyse und gilt als »kompetentester Spezialist für schwere Persönlichkeitsstörungen« (Eva Jaeggi in Psychologie heute).
2012 erschien der Film »Einführung in die...
Götz Berberich, Dr. med., Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Windach, Lehrkrankenhaus der LMU München, Leiter der Privatambulanz. Lehrauftrag an...
Götz Berberich, Dr. med., Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Windach, Lehrkrankenhaus der LMU München, Leiter der Privatambulanz. Lehrauftrag an der LMU, Verhaltenstherapeut und Psychoanalytiker.
Prof. Dr. med. Peer Briken, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie, Sexualmedizin (DGfS, FECSM); Professor für Sexual...
Prof. Dr. med. Peer Briken, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie, Sexualmedizin (DGfS, FECSM); Professor für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie uns Direktor des gleichnamigen Instituts am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung und Vicepresident der International Association for the Treatment of Sexual Offenders.
Anna Buchheim, Prof. Dipl.-Psych. Dr. biol. hum., Psychoanalytikerin, Professorin für Klinische Psychologie/Klinische Emotionsforschung an der Univ...
Anna Buchheim, Prof. Dipl.-Psych. Dr. biol. hum., Psychoanalytikerin, Professorin für Klinische Psychologie/Klinische Emotionsforschung an der Universität Innsbruck
Stephan Doering, Univ.-Prof. Dr. med., Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psych...
Stephan Doering, Univ.-Prof. Dr. med., Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalytiker (Wiener Psychoanalytische Vereinigung, Internationale Psychoanalytische Vereinigung). Lehrtherapeut für Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP). Leiter der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien, dort Lehrstuhl für Psychoanalyse und Psychotherapie. Past President der European Society for the Stud...
Birger Dulz, Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie; Chefarzt der II. Fach...
Birger Dulz, Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie; Chefarzt der II. Fachabteilung (Persönlichkeitsstörungen/Trauma) der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll, Hamburg; Arbeits- und Forschungsschwerpunkt: stationäre Psychotherapie von Borderline-Störungen 2009 Preis der Dr. Margrit Egnér-Stiftung
Susanne Hörz, Dr. phil. Dipl-Psych., wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klinische Psychologie im Department Psychologie, Fakultät für...
Susanne Hörz, Dr. phil. Dipl-Psych., wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klinische Psychologie im Department Psychologie, Fakultät für Psychologie und Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München, Projektmitarbeiterin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München, Vorstandsmitglied im TFP-Institut München e. V.
Prof. Dr. med. Martin Sack ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und stellv. Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapi...
Prof. Dr. med. Martin Sack ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und stellv. Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar der TU München. Er ist seit vielen Jahren auf die Behandlung von PatientInnen mit Traumafolgestörungen spezialisiert und als Supervisor und Ausbilder tätig.
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