Um es kurz zusammenzufassen – in einem Teil der klinischen Literatur (Brenneis 1996) wird folgendes postuliert: • Dissoziation ist das sine qua non des Traumas. • Zustandsabhängiges Lernen liefert ein angemessenes Modell für das Fehlen willkürlich abrufbarer Erinnerungen (Amnesien) und für ihr plötzliches Wiederauftauchen im Umfeld des rechtlichen traumatischen Zustandes. • Es gibt eine ziemlich genaue Übereinstimmung zwischen den impliziten Erinnerungsfragmenten und den traumatischen Ereignissen. An diesen Schlußfolgerungsarten hatten sich die oben erwähnten Intervisoren orientiert. Im Fallbeispiel von Frau A. könnte man die beiden Erinnerungsfragmente als kaum korrigierbare Flash-backs sehen, die visuell-optische Szenen festgehalten haben, die sowohl in Träumen, über die ich nicht berichtet habe, als auch in den Bildern relativ unverschlüsselt aufgenommen wurden. Die szenischen Anteile findet man im Weglaufen vor dem eigenen Haß, der, wenn in situ mobilisiert, zu einem Zustand führen würde, der der traumatischen Situation zu ähnlich wäre. Nur wenn man an diesen Zustand herankommt, ist allerdings auch ein affektives episodisches Erinnern möglich. Kommt man in den Stunden an den Zustand heran und die Patientin kann nicht fliehen, verfällt sie wieder in dissoziative Zustände. Sie versteht meine Rede nicht mehr oder sitzt mental vor dem Fenster und schaut uns beiden zu. Ansonsten ist das episodische Gedächtnis im Umfeld des Traumas zusammengebrochen. Gleichwohl werden die Episoden in den Beziehungen wiederholt. Weil all diese Momente bei Frau Z. fehlen, wird in der Intervision die Amnesie wie auch die Sicherheit, der Vater hätte etwas mit ihr gehabt, als Niederschlag einer unbewußten Phantasie gesehen. Tatsächlich hatte sie sich intensiv gewünscht, vom Vater als Frau anerkannt und umworben zu werden, was nie geschehen war. Der Vater konnte eigentlich nur mit Männern etwas anfangen. Die Patientin hatte bis zum Alter von 11 Jahren auch innerlich an dieser männlichen Identität festgehalten und klammheimlich mit viel Aufwand (Spiegeluntersuchungen des eigenen Genitales) den Wechsel ins Weibliche teilweise geschafft. Die vollzogene Initiation mußte sie vor sich, der Mutter und vor allem dem inneren Vater – dem sie tief verbunden war – verheimlichen. Die Patientin phantasierte sich ein schreckliches Geheimnis, das immer noch besser war als das Zugeständnis, daß da gar kein Interesse war. Diese Konstellation hatte sich in der Übertragung zum Zeitpunkt des Auftauchens der Phantasie wiederholt. In der Analyse geschah ja auch »nichts«. Diese komplizierte Mixtur aus Wut, Selbstverachtung und klammheimlichem Wunsch wurde am Vater abgehandelt, um sie in der Übertragung zu vermeiden (ähnliche Berichte findet man bei Raphling 1994). Es gibt eine Fülle von Fallbeispielen, die in der Argumentation ähnlich aufgebaut sind (Person u. Klar 1994). Sie sind nur teilweise überzeugend, und man muß außerordentlich vorsichtig mit dieser Vorgehensweise arbeiten. Der Generalvorbehalt, daß wir retrospektiv nicht wissen können, was geschehen ist, besteht immer und bleibt unauflösbar. Der empirische experimentelle Bestätigungsgrad für die Postulate von der Bedeutung der Dissoziation, des zustandsabhängigen Lernens sowie der Annahme, nach der implizite fragmentierte Erinnerungsfetzen Teile der traumatischen Szene darstellen, ist noch nicht sehr entwickelt. Was die Dissoziation betrifft, sind dissoziative Zustände – wie oben schon beschrieben – auch unter nichttraumatischen Bedingungen sehr häufig und als Eigenschaft mit vielerlei künstlerischen Begabungen korreliert. In diesem Umfeld haben wir keine Zusammenhänge mit Psychopathologie und Traumata. Solche Personen sind allerdings für Suggestionen bemerkenswert empfänglich. Wir wissen also noch nicht so recht, was Dissoziation eigentlich sein soll. Sie ist möglicherweise etwas Adaptives, nur unter bestimmten Randbedingungen Abwehr. Unter welchen? Eine solche könnte sein, daß die in der Übertragung unbewußt gehaltenen Phantasmen in die disso ziative Produktion von Erinnerungsphantasien mit Realitätsgehalt eingehen, wie dies im Fall Z. fast geschehen wäre. Das zustandsabhängige Lernen und Abrufen ist empirisch betrachtet ein weiches Konzept. Der Hauptprotagonist dieses Konzepts (Bower 1981) hat ihm mittlerweile unter dem Eindruck seiner eigenen Ergebnisse abgeschworen. Er hatte mit hypnotisch induzierten Gefühlen gearbeitet. Gott sei Dank ist es im Labor nie gelungen, auch nur ansatzweise ähnliche Zustände wie in traumatischen Situationen zu erzeugen, so daß die Theorie durchaus richtig sein kann. Aber vorläufig ist die Evidenz vorwiegend klinisch. Durch neuere PETUntersuchungen haben wir jedoch inzwischen eine Reihe von Befunden, die zeigen, daß bei traumatischer Informationsverarbeitung tatsächlich andere neuronale Netzwerke benutzt, ja sogar aufgebaut werden, als bei nichttraumatischen affektiven Situationen (Fischer et al. 1996). Die schwächste Stelle liegt in der Argumentation der Passung zwischen den impliziten Erinnerungsfetzen und dem faktischen Trauma. Das wird auch an unserem Fallbeispiel deutlich. Frau Z. hatte auch Zeichnungen verfertigt, eine sogar mit ihrem eigenen Blut koloriert. Es hätte wenig Mühe gekostet, in ihnen szenisches Material einer traumatischen Episode zu finden. Viele Träume sind voll von traumatischen Szenen. Ob diese Ausflüsse unbewußter Phantasien oder impliziter Erinnerungen sind, ist schwer zu entscheiden. Es könnte sehr wohl sein, daß wir uns bei Frau Z. geirrt haben. Good (1996) versucht aufzuzeigen, daß in dem von Person und Klar (1994) vorgestellten Fallbeispiel die Rekonstruktion auf eine Gegenübertragungskonstellation zurückgeführt werden konnte. Auf jeden Fall sind Gleichsetzungen von Erinnerungsfragmenten und Inszenierungen mit Szenen aus einem Realtrauma sehr problematisch. Nicht jeder Globus hystericus ist ein somatisiertes Erinnerungsfragment an eine aufgezwungene Fellatio. Wenn man solche Schlußfolgerungen macht und sie behandlungstechnisch einsetzt, sollten das Übertragungs- und Gegenübertragungsfeld mit großer Radikalität und Sorgfalt geklärt sein. Ist dies nicht der Fall, kann die Produktion der vermeintlichen »Erinnerungen» der Abwehr beziehungsweise dem Agieren von Übertragungs- beziehungsweise Gegenübertragungsgefühlen dienen.
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