Autismus-Spektrum-Störungen sind sehr heterogene, neuronale Entwicklungsstörungen mit frühem Störungsbeginn, die durch Defizite in der sozialen Kommunikation und repetitive, restriktive Interessen und Aktivitäten gekennzeichnet sind. In diesem ersten Teil des Reviews sollen grundlegende Implikationen, die sich aus dem Störungskonzept für die Diagnostik und insbesondere für die Therapie der Autismus-Spektrum-Störungen ergeben, erläutert werden. Die erhebliche Heterogenität des Störungsbildes geht mit großen Herausforderungen für die Diagnostik und Behandlung einher. Eine wichtige Aufgabe für die Zukunft ist die Identifizierung von Biomarkern, um eine validere Diagnostik bzw. Differentialdiagnostik und damit eine individuelle Behandlungsempfehlung sowie eine genauere Verlaufsprognose zu erreichen. Die Wirksamkeit von verhaltenstherapeutischen Interventionen konnte in zahlreichen Studien belegt werden, jedoch ist die Effektivität in Bezug auf die Kernsymptomatik moderat. Daher besteht ein dringender Bedarf an neuen, innovativen Ansätzen.
Autism spectrum disorders are heterogeneous neurodevelopmental disorders with early onset, characterized by deficits in social communication and repetitive and restricted interests and activities. In this first part of the review we will explicate essential implications of the conception of the disorder for diagnostic and especially for interventions. The considerable heterogeneity correlates with profound challenges in diagnosis and therapy. An important issue for the future is the identification of biomarkers for enhancing (differential-)diagnostic validity and thereby personalized treatments and prognosis. The effectiveness of behavioural interventions could be demonstrated in several studies. However, the effect is moderate in respect to the key symptoms. Hence, there is an urgent need for new and innovative treatments.
Evidenzbasierte Interventionen zu Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) fußen insbesondere auf behavioralen und pädagogischen Prinzipien. Neurobiologisch basierte Behandlungsformen werden jedoch ebenfalls zunehmend weiter entwickelt und untersucht. Auch wenn sich Untersuchungen zu den neurobiologischen Grundlagen von Therapien für ASS noch am Anfang befinden, gibt es einige vielversprechende Ansätze, die in diesem Review dargestellt werden. Zukünftige Forschungsrichtungen und -optionen bezüglich der Behandlung von ASS werden diskutiert.
Autism spectrum disorders are neurobiological disorders for which especially psychological and educational interventions exists. Current, neurobiological based interventions are developed and investigated. Also research into the neurobiological underpinnings of therapies for ASD is still at its beginning, promising approaches exist which will be illustrated in this review. Directions and options for future research on treatment in ASD are discussed.
Eltern können maßgeblich zum Therapieerfolg einer autismusspezifischen Förderung beitragen, weswegen die Elternarbeit zunehmend an Bedeutung in der Förderung von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) gewinnt. Dabei spielen u. a. das Stressempfinden, die hohen Belastungen und die Erwartungen der Eltern eine entscheidende Rolle. In der vorgestellten Studie wurden die Erwartungen von Eltern an eine autismusspezifische Förderung explorativ untersucht und näher beleuchtet. Es wurden sechs offene Leitfadeninterviews geführt und anhand der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Aussagen wurden drei Hauptkategorien zugeordnet: „Verhaltensauffälligkeiten des Kindes“, „Erwartungen“ und „Zukunftsvorstellungen“ der Eltern. Die Hauptkategorien wurden inhaltlich miteinander verglichen, analysiert und die Ergebnisse, unter Einbezug der bestehenden Literatur, zusammengefasst. Von den Eltern wurden die Verhaltensprobleme ausführlich beschrieben, wohingegen sie ihre Erwartungen und Zukunftsvorstellungen vage formulierten. Für die Verhaltensauffälligkeiten konnten die Eltern zum Zeitpunkt der Erhebung nur selten sicher eine Ursache nennen. Die benannten Verhaltensauffälligkeiten stimmten inhaltlich nicht immer mit den später erfragten Erwartungen überein und schienen diskrepant. Bei der Formulierung der Erwartungen schienen auch die hohen Belastungen der Eltern autistischer Kinder eine Rolle zu spielen. Deswegen sollte der emotionalen Lage der Eltern besonders in der ersten Phase der Elternarbeit genügend Raum gegeben werden. Sokönnen Eltern zunehmend entlastet und der Therapieerfolg gesteigert werden. Außerdem sollten die Erwartungen gemeinsam mit den Eltern vor einem Therapiebeginn von Therapeuten aufgegriffen und besprochen werden.
Parents can meaningfully contribute to the therapeutic success of autism-specific intervention, which is why parental involvement is increasingly gaining importance when intervening with children with Autism Spectrum Disorders (ASD). As a result, stress levels and parents’ expectations play a decisive role. In the presented study, parents’ expectations relating to autism-specific intervention were investigated and discussed in an exploratory manner. Six open guided interviews were conducted and evaluated on the basis of the qualitative content analysis. The statements were divided into three main categories, „child behavioral anomalies“, „expectations“ and „future visions“ of the parents. The main categories were compared with each other, analyzed and then the results were summarized, taking into account existing literature. The parents described the behavioral problems in detail, whereas their expectations and future visions were formulated vaguely. At the time of the survey, the parents were seldom able to reliably state a cause for the behavioral anomalies. In terms of content, the named behavioral anomalies did not always match the named expectations and there appeared to be discrepancies. While formulating expectations, the high burden on parents associated with having autistic children also seemed to play a role. Therefore, the emotional situation which parents are faced with, especially in the first phase of parental training, should be given sufficient space. Thus, parents can be more and more relieved while the success of therapy increases. Moreover, expectations should be discussed between parents and therapists before commencing therapy.
Die Autismus-Spektrum-Störung ist syndromal definiert durch eine eingeschränkte soziale Wahrnehmung und Kompetenz, non-verbale und verbale kommunikative Einschränkungen sowie eingeengte Interessen und Beschäftigungsfelder. Das psychobiologische Muster muss bereits in der ersten Dekade erkennbar sein und zu nachweisbaren Beeinträchtigungen führen, damit die Diagnose gestellt werden kann. Die häufige Konstellation, dass zwar alle Eigenschaftsbereiche qualitativ überzeugend vorhanden, quantitativ aber nicht so stark ausgeprägt sind, dass eine Vergesellschaftung mit sozialem Leid oder Behinderung in sozialen oder beruflichen Kontexten objektivierbar ist, wird in ICD und DSM nicht berücksichtigt. In der Wissenschaft wird dies unter dem Fachbegriff „broader autism phenotype“ behandelt. In diesem Artikel wird herausgearbeitet, dass diese Konstellation der einer Persönlichkeitsstruktur entspricht. Resultieren aus einer solchen persönlichkeitsstrukturellen Besonderheit soziales Leid oder Behinderung, so wäre eine autistische Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren. Genau in diesem Sinne sprach Hans Asperger von „autistischer Psychopathie“, wobei das Gemeinte des damaligen Psychopathiebegriffs dem der heutigen Persönlichkeitsstörung entspricht. Autistische Persönlichkeitsstörungen sind entgegen der allgemeinen Auffassung in der ambulanten und stationären Psychotherapie häufig anzutreffen. Sie werden aber meistens als schizoide, antisoziale, zwanghafte, ängstlich-vermeidende, kombinierte oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen fehlgedeutet oder es werden nur die oft sekundären, dann oft atypischen Depressionen, Angststörungen oder auch psychotischen Dekompensationen gesehen. Das Konzept der autistischen Persönlichkeitsstruktur bzw. -störung muss adäquat erfasst werden, um die Zustände, Strukturen und Probleme einer großen Gruppe von Patienten im psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungssektor authentisch zu verstehen und valide zu behandeln.
Autism spectrum disorder is defined by the presence of compromised social cognition, deficits in non-verbal and verbal communication and circumscribed interests and behaviours. The behavioural pattern must be present in childhood and must cause relevant social suffering for a diagnosis to be made. The common clinical constellation in which the psychosocial pattern is present since childhood but with minor severity which does not cause objective suffering or social disintegration is not recognised in ICD or DSM. In the scientific literature this psychobiological pattern is referred to as ‘broader autism phenotype’. In this paper I point out that this kind of broader autism phenotype follows the nosologic concept of a personality structure. In case this personality structure causes personal, social or vocational suffering it can be regarded as autistic personality disorder. The term ‘psychopathy’ in Hans Aspergers concept of ‘autistic psychopathy’, later labelled as Asperger’s syndrome, meant exactly the same as the modern term of personality disorder. Autistic personality disorders are common in psychotherapeutic in- and out-patient settings. However, they are frequently misdiagnosed as schizoid, antisocial, compulsory, avoidant or Borderline personality disorder. In many other cases only secondary and often atypical forms of depression, anxiety disorders or psychotic decompensations are being recognised. However, for many patients in the psychotherapeutic setting the recognition of the autistic personality structure is vital in order to develop an authentic understanding of the essence and the psychodynamics of interpersonal problems and conflicts as well as for a valid therapy planning.
In den letzten Jahren gibt es vereinzelt Hinweise auf eine klinisch relevante Komorbidität zwischen Borderlinestörungen (BPS) und Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). In der Literatur finden sich Hinweise, dass 10–15 % der BPS-Betroffenen an einer ASS leiden. BPS und ASS weisen Gemeinsamkeiten und symptomatische Überlappungen ebenso wie Unterschiede auf, die die Differentialdiagnose nicht immer einfach machen, insbesondere bei Frauen. Darüber hinaus weist ein hoher Prozentsatz von Patientinnen mit BPS autistische Züge auf.
In dieser Untersuchung zeigen wir anhand der Diagnosedaten unserer Spezialstation für die Behandlung von BPS, dass ein relevanter Anteil von 2,7 bis 5,7 % der BPS-Patientinnen eine ASS-Diagnose erhält und im Hinblick auf weitere Komorbiditäten schwerer krank und beeinträchtigt erscheint. Implikationen für Forschung, Behandlung und klinische Erfahrungen im Umgang mit Patientinnen mit Doppeldiagnosen werden diskutiert.
In recent years some authors report clinically relevant comorbidity rates of autism spectrum disorders (ASD) in patients with borderline personality disorder (BPD). According to the published literature 10–15 % of BPD patients do also have a diagnosis of ASD. BPD and ASD share similarities, common features, symptomatic overlap, but there are also differences, which complicate differential diagnostic considerations, especially in women. Moreover a high percentage of BPS patients show sub-syndromal autistic traits.
In this paper we evaluate diagnostic data from our specialized ward for the treatment of BPD. A relevant percentage of 2,7–5,7 % of BPD patients also received a diagnosis of ASD. These patients seem to be more severely affected when comorbidities are taken into account. This is an observation, which is in line with the clinical impression of the authors. Important implications for future scientific work, treatment and clinical experience with these patients with a double diagnosis of BPD and ASD are discussed.
In der Ambulanz und Tagklinik für Störungen der sozialen Interaktion des Max-Planck-Instituts in München werden eine störungsspezifische Diagnostik und Therapie für Erwachsene mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) angeboten. Patienten mit einer ASS können eine verhaltenstherapeutisch orientierte Gruppentherapie wahrnehmen („MATE-Gruppe“ – „Münchener Autismus-Therapiegruppe für Erwachsene“). Wissenschaftlich werden beide klinischen Einheiten durch die unabhängige Max-Planck-Forschungsgruppe „Soziale Neurowissenschaft“ unterstützt, welche sich mit den neurobiologischen Prozessen zwischenmenschlicher Interaktion beschäftigt.
In einer wissenschaftlichen Analyse von 68 autistischen Patienten wurden biographische sowie testpsychologische Daten ausgewertet und interpretiert. Daraus ergaben sich AQ- und EQ-Werte über den jeweilis etablierten Cut-Off-Werten für ASS. Depressionen bildeten die Hauptgruppe psychiatrischer Komorbiditäten (27,9 %), gefolgt von Angsterkrankungen (19,1 %). Eine klinisch bedeutsame Persönlichkeitsstörung wurde bei keinem Patienten diagnostiziert. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Autismus als eine getrennte, von Persönlichkeitsstörungen nicht nur klinisch, sondern auch testpsychologisch unterscheidbare Störung zu betrachten ist.
For adults suffering from Autism Spectrum Disorders (ASD) and without cognitive impairment, the Outpatient Clinic and Day Clinic for Disorders of Social Interaction offer specialized diagnostic procedures and treatment options. Patients with ASD receive a disorder-specific behavioral psychotherapy in group settings which respects the needs of people suffering from ASD while at the same time offering coping strategies (MATE group). Both clinical departments are scientifically supported by the Independent Max Planck Research Group for Social Neuroscience, whose research focuses on the neurobiological processes of social interaction.
Here we present key findings of our recent study in which biographical and psychometric data of 68 autistic patients were analyzed. Mean AQ and EQ results were above the established cut-off scores for ASD, respectively. Depression was the most common comorbid disorder (27,9 %), followed by anxiety disorders (19,1 %). A clinically relevant personality disorder was not diagnosed in any of our patients. These results are consistent with the idea that ASD constitute disorders with
different clinical and psychometric patterns compared to those of personality disorders.
Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion und Kommunikation charakterisieren Autismus-Spektrum-Störungen. Traditionelle Autismusforschung konzentrierte sich auf die Untersuchung der Ursachen und zugrunde liegenden Mechanismen dieser Veränderungen in gut kontrollierbaren Labor-Settings. Bisher gibt es jedoch nur wenig systematisches Wissen, wie veränderte soziale Interaktion und Kommunikation das Alltagsleben von Menschen mit Autismus beeinflussen. Auch gab es bisher wenig Möglichkeiten für Menschen mit Autismus, Forschungsprogramme aktiv mitzugestalten. Dieser Überblicksartikel fasst den aktuellen Forschungsstand zu kognitiven Grundlagen sozialer Interaktion und Kommunikation bei Autismus mit einem Fokus auf methodische Schwierigkeiten zusammen. Anschließend werden neue Forschungswege, die sich diesen Herausforderungen stellen, vorgestellt. Kollaboration, der Aufbau von Datenbanken und die Untersuchung autistischer Persönlichkeitseigenschaften in der Gesamtbevölkerung ermöglichen Forschung an großen Stichproben. Methodische Neuerungen, wie Smartphone-basierte Datenerhebung, erlauben es, soziale Interaktion und Kommunikation im Alltag präzise zu messen. Partizipation von Menschen mit Autismus und deren Familien fördert Forschung, die theoretisch bedeutsam und praktisch relevant für ein Alltagsleben mit Autismus ist.
Impaired social interaction and communication are core characteristics of autism spectrum condition. Traditional autism research focused on the investigation of the etiological basis of this alteration in well-controllable lab settings. To date, we know little about the impact of impaired social interaction and communication on the everyday life of people with autism. Further, people with autism had so far only few opportunities to actively shape research programs. This article provides an overview of the current state of knowledge and methodological difficulties in research on the cognitive basis of social interaction and communication in autism. Subsequently, research advances that face these challenges are presented. Collaboration, the construction of data bases, and the investigation of autistic traits in the general population allowing for research with large sample sizes. Methodological innovations, such as smartphone-based data sampling, make it possible to measure social interaction and communication in everyday life. The participation of people with autism and their families supports research that is both theoretically significant and practically relevant for everyday life with autism.
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