Die Erkenntnis, daß das psychosoziale Geschlecht (gender) nicht mit dem biologischen Geschlecht (sex) übereinstimmt, geht auf Freud zurück. Person und Ovesey diskutieren drei psychoanalytische Ansätze: Für Freud ist Femininität verhinderte Maskulinität; Horney und Jones gehen von einer angeborenen heterosexuellen Geschlechtsidentität aus; Stoller, der die zentrale Bedeutung der Genitalien nicht teilt, geht von einer für beide Geschlechter gültigen Protofemininität aus, die allein dem Knaben, nicht dem Mädchen, aufgrund seiner notwendigen Entidentifizierung die Herausbildung einer männlichen Geschlechtsidentität erschwert. Person und Ovesey setzen bei Stoller an und entwickeln am Beispiel intergeschlechtlicher Phänomene (Transsexualität, Transvestismus und Homosexualität) einen alternativen Ansatz, demzufolge die Entwicklung einer stabilen Kern-Geschlechtsidentität ein während der Loslösungs- und Individuationsphase für beide Geschlechter gleichermaßen konflikthafter Prozeß ist. Die Autoren zeigen auf, daß das Geschlecht (gender) der Sexualität in der Entwicklung vorgelagert ist und diese organisiert, und nicht umgekehrt.
Neuere psychoanalytische Untersuchungen zeigen, daß das psychosoziale Geschlecht (gender) nicht erst, wie Freud meinte, in der phallischen Phase, sondern lange vorher festgelegt wird. Obwohl mit diesem Ansatz der Penisneid des Mädchens in den Hintergrund rückt, werden nach wie vor die genitalen Ängste des Mädchens als »Kastrations«-Angst beschrieben. Dagegen wendet sich die Autorin und stellt stattdessen genitale Ängste des Mädchens in den Vordergrund, die von ihrem eigenen Genitale herrühren und sich während des Aufbaus des Körperich in der Loslösungs- und Individuationsphase manifestieren. Das Weibliche – im Gegensatz zum geschlossenen männlichen System ein offenes System – verursache drei genitale Ängste: Angst vor mangelnder Beherrschung des Zugangs, Angst vor Penetration und Angst vor Diffusion. Die Folge dieser Ängste – eine Tendenz zu diffusem Denken bei Mädchen und Frauen sowie ein zerfließendes Körperbild – werden an verschiedenen Fallbeispielen dokumentiert.
Im Gegensatz zur Philosophie, deren Anfänge in der zentralen (und tendenziell homosexuellen) Beziehung von Rhetorik und Dialog zwischen Lehrer und Schüler liegen, stellt der psychoanalytische Dialog das (heterosexuelle) Mann-Frau-Verhältnis in den Mittelpunkt, wofür die Konfrontation des Psychoanalytikers mit der »komplexen Bürde der weiblichen Liebe« prototypisch sei. Die Faszination der Philosophie liege in der Ähnlichkeit; die der Psychoanalyse in der Differenz. Trotzdem sei die Geschlechterfrage, vor allem das Geschlecht des Analytikers, im Übertragungs–Gegenübertragungsparadigma bisher zu wenig berücksichtigt. In ihrer Auseinandersetzung mit den Konzepten der Neutralität (Freud), der Bisexualität (Freud, Jung) sowie unter Hinzuziehung literarischer Quellen zur Androgynie (V. Woolf, Balzac, Le Guin) unternimmt Molfino den Versuch, die »gender«-Diskussion in der psychoanalytischen Theorie und Praxis voranzutreiben.
Neutrality, Bisexuality and Androgyny of the Psychoanalyst
Proceeding from the fact that Western thought is based on Greek philosophy, the autor pinpoints a feature specific to psychoanalysis. Unlike other sciences, which are grounded in the central (and latently homosexual) relation of rhetoric and dialogue between teacher and pupil, psychoanalytic dialogue centers around a heterosexual (male / female) relationship. Prototypic for this is the confrontation of the psychoanalyst with the »complex burden of female love«. The fascination of philosophy lies in similarity, that of psychoanalysis in difference. The gender question, and more specifically the sex of the analyst, has been given little attention in connection with the transference/countertransference paradigm. With a discussion of the concepts of neutrality (Freud), bisexuality (Freud, Jung) and with reference to literary sources on androgyny (V. Woolf, Balzac, Le Guin) Molfino undertakes the attempt to take the gender discussion in psychoanalytic theory and practice a stage further.
Vor dem Hintergrund des Strukturalismus und der Theorie Lacans vom »Mord an der Sache« entwickelt die Autorin eine Symbolisierungsebene für den verschwindenden bzw. immer schon verlorenen mütterlichen Körper, den sie – als Parallele zur kulturstiftenden Bedeutung des toten Vaters – als Metonymie für das jenseits der Geschlechterfrage angesiedelte, geschlechtslose Reale des Todes sieht. In einer Interpretation des in Jenseits des Lustprinzips beschriebenen Garnrollenspiels von Freuds Enkel Ernst, Sohn seiner kurz nach dieser Beobachtung verstorbenen Tochter Sophie, enttarnt Bronfen dieses »nicht gelesene« Paradigma des abwesenden Körpers der Mutter, indem sie ein unheimlich anmutendes Wechselspiel von Anwesenheit und Abwesenheit des mütterlichen Körpers entfaltet: seine symbolischen Wiederholungen durch das Kind, Substitution durch Errichtung von Selbstrepräsentanzen, Überlagerung durch den toten ödipalen Vater und schließlich Wiederkehr der Mutter in der Fußnote über Sophies Tod.
Bestell-Informationen
Service / Kontakt
Kontakt