Willkommen in Bellemontagne – einem märchenhaften Königreich, dessen Schloss bereits bessere Tage gesehen hat, dessen Bewohner nur mit Müh und Not ausreichend Essen auf den Tisch bekommen, aber dennoch ihre gute Laune nicht verlieren und in dem Drachen klein wie Ungeziefer sind – und auch als solches angesehen werden. In diesem Königreich kreuzen sich die Schicksale eines Drachenbekämpfers, der keine Drachen töten will, einer Prinzessin, die ihr adeliges Leben langweilt und eines Prinzen, der kein Held werden möchte.

Mit »Ich fürchte, Ihr habt Drachen« legt der amerikanische Fantasy-Autor Peter S. Beagle einen Wohlfühl-Roman vor für Leserinnen und Leser, die Bücher wie Neil Gaimans »Sternwanderer« oder Diana Wynne Jones »Das wandelnde Schloss« verschlungen haben. Und natürlich Beagles eigenes Frühwerk, »Das letzte Einhorn«, das völlig zurecht als Meilenstein der Fantasy gilt und bis heute nichts von seinem Zauber eingebüßt hat.
»Ich fürchte, Ihr habt Drachen« hat Einiges mit Beagles Meisterwerk gemein, es gibt aber auch Unterschiede: Hier wie dort besticht Beagle mit seiner poetischen Sprache, seinem feinen Humor und seinem Talent, aus stereotypen Figuren vielschichtige Charaktere zu formen, die man schnell ins Herz schließt. Sein neuer Roman liest sich allerdings auch etwas satirischer und deutlich weniger melancholisch, auch wenn er, gerade in der zweiten Hälfte, durchaus seine finsteren Momente hat.
Zunächst beginnt die Geschichte jedoch recht niedlich: Wir lernen den jungen Robert kennen, der das Erbe seines Vaters angenommen hat. Ihn ruft man, einem Schädlingsbekämpfer gleich, wenn Heim und Hof von einer Drachenplage befallen sind. Robert hasst diese Aufgabe. Er liebt die kleinen, bunten Biester und will sie nicht töten, aber seine vielköpfige Familie braucht eben das Geld und er hat ja sonst nichts gelernt – denn Schulbildung ist in Bellemontagne gänzlich den Mädchen vorbehalten. Immerhin gelingt es Robert immer wieder, ein paar der Drachlinge, die er fängt, heimlich mit nach Hause zu nehmen, wo sie wie Haustiere mit in der Familie leben.

Weil der attraktive Prinz Reginald aus einem benachbarten Königreich sein Kommen angekündigt hat, lässt Prinzessin Cerise Robert eines Abends völlig überstürzt für eine Grundreinigung aufs Schloss rufen – denn im halb verfallenen Gemäuer wimmelt es nur so vor Drachen. Die letzte Säuberung ist viel zu lang her. Durch den lukrativen Auftrag wendet sich Roberts Schicksal. Denn Prinz Reginald beschließt, vor seiner Ehe mit Cerise einen Drachen zu erlegen, um der Welt im Allgemeinen (und seinem Vater im Besonderen) zu beweisen, dass er ein Held sein kann. Dieser Drache soll natürlich kein kleines Exemplar sein, sondern ein großes, feuerspeiendes Ungeheuer. Um ein solches zu finden, braucht der Prinz Robert. Und als sich die beiden für die Reise rüsten, schließt sich Prinzessin Cerise ihnen sofort an. Es ist der Beginn einer Expedition, die immer schneller außer Kontrolle gerät und die sie nicht nur zu Drachen und einem dunklen Zauberer führt, sondern auch zu sich selbst. Denn das ist die eigentliche große Aufgabe, der sich Robert, Reginald und Cerise stellen müssen – sich aus dem Schatten ihrer übermächtigen Eltern zu befreien und den Weg zu sich selbst zu finden.

Mit »Das letzte Einhorn« ist es Peter S. Beagle gelungen, unsere Vorstellung von Einhörnern zu prägen. Mit seinem neuen Roman gelingt es ihm, unseren Blick auf Drachen nachhaltig zu verändern. »Ich fürchte, Ihr habt Drachen« ist ein herzerwärmendes Buch, das einen von Anfang an bezaubert, das immer wieder überrascht und zum Schmunzeln einlädt und das man mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen schließt. Ich fürchte, wir brauchen noch mehr Drachen!

Von Christian Handel