Scham gehört zu einer Familie von komplexen Emotionen, die infolge von Fehlverhalten oder Bloßstellung vor anderen Personen und deren möglicher negativer Bewertung auftreten und in der Regel eine Selbstabwertung nach sich ziehen. Eingangs werden Theorielinien der Schamforschung erläutert sowie Unterschiede und Entwicklungsvoraussetzungen von Mitgliedern der Scham-Familie der Emotionen. Von einem möglichen Schamerleben ist spätestens im Alter von fünf Jahren auszugehen. Es scheint jedoch sinnvoller, nach der Form zu verschiedenen Entwicklungszeitpunkten zu fragen als nach dem frühesten Zeitpunkt. Veränderungen der Emotion stehen in Verbindung mit Wandlungen des Selbst. Abschließend werden Forschungsergebnisse zum Feld der Körperscham berichtet.
Shame belongs to a family of complex emotions which occur as a consequence of wrongdoing or exposure in the presence of other people and which is possibly followed by a negative evaluation by them and as a rule by the actor’s self-devaluation. In the beginning, the main theoretical approaches in shame research are explained as are differences between the developmental prerequisites for the various types of shame-based emotions. The earliest experiences of shame seem to be possible at the age of five. However, it makes more sense to explore how shame functions at different points of development, than address when is the earliest time it can arise. Developmental changes in the emotion are connected to transformations of self. In conclusion, research findings as regards bodily shame or modesty are outlined.
Der negative Affekt der Scham kann zu größeren Anstrengungen oder zu Rückzug und Vermeidung motivieren. Da Scham ansteckend ist, kämpfen sowohl Therapeut als auch Patient mit Umgangsstrategien gegenüber Scham. Darüber hinaus neigen Therapeuten dazu, ihre eigene Scham mit der dem Patienten unterstellten zu verwechseln. Einige technische Hinweise werden gegeben.
The negative emotion of shame may either encourage better efforts or lead to withdrawal and avoidance. Since shame is contagious, both patient and therapist struggle with coping strategies towards shame. Moreover, therapists tend to confuse their own shame with the supposed shame of the patient. Some technical advice is given.
Obwohl Scham und Schuld zu jeder Psychotherapie dazugehören und zur Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen beitragen, werden sie häufig vermieden oder nicht bearbeitet. In dieser Arbeit wird deshalb ein emotionsbezogener, multidimensionaler Ansatz zur Therapie von Scham und Schuld vorgestellt, um den Umgang mit den schmerzhaften Emotionen sowohl für Patient*innen als auch für Psychotherapeut*innen zu erleichtern.
Although shame and guilt are part of all psychotherapy and contribute to the development and maintenance of mental disorders, they are often avoided as a subject or not treated. This paper therefore presents an emotion-focused, multidimensional approach to the therapy of shame and guilt in order to support both patients and psychotherapists coping with the painful emotions.
Der Artikel befasst sich mit der gegenwärtigen Kultivierung von Formen der (Selbst)beschuldigung für kollektive Identitäten. Sie wird als Spätfolge der Praxis der politischen Schuld- und Reuebekenntnisse gedeutet, die sich nach 1945 in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und anderen politischen Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt hat. Daran schloss sich die Auseinandersetzung einer Reihe von Emanzipationsbewegungen mit strukturellen Ungerechtigkeiten an, die untrennbar mit der Vorstellung der Überlegenheit einer Gruppe über eine andere aufgrund von Geschlecht, Zivilisation, Rasse, Religion, Kultur oder anderer Faktoren verbunden waren. Während Schuldbekenntnisse hier ursprünglich eine versöhnende und emanzipatorische Funktion übernommen haben, treten mittlerweile auch selbstbezogene und selbstdestruktive Formen auf. Mit Blick auf die Wahrnehmung von Schuld ist hier zwischen einer fremdbezogenen Haltung, die vom Entsetzen oder der Traurigkeit über die Verletzung, Schädigung oder Benachteiligung anderer Personen aufgrund eigenen Tuns oder Lassens herrührt, und einer selbstbezogenen Haltung zu unterscheiden, die aus dem Entsetzen und der Traurigkeit über eine moralische Befleckung herrührt, die mit der eigenen Identität verbunden ist. Letztere führt nicht zu mehr Mitgefühl, sondern eher zu demonstrativer Tugendhaftigkeit.
The article deals with the current nurturing of forms of (self-)blame for collective identities. This phenomenon is interpreted as a late effect of the practice of political confessions of guilt and remorse that developed after 1945 in the debate on the Holocaust and other political crimes of the 20th century. This was followed by the emancipation movements that confronted the structural injustices which were inseparably linked to the idea of the superiority of one group over another on the basis of gender, civilization, race, religion, culture or other factors. The professions of guilt originally had a reconciliatory and emancipatory function, since then self-referential and self-destructive forms are to be seen. With regard to the perception of guilt, a distinction must be made today between an extraneous attitude, which stems from horror or sadness given the injury, damage or disadvantage to other persons, and a self-referential attitude, which stems from the horror and sadness when faced with a moral tarnishing associated with one’s own collective identity. The latter does not necessarily lead to more compassion, but more to demonstrative virtuousness.
Schuld und Scham – diese Begriffe in ihrer je subjektiv-psychischen wie objektiv-gesellschaftlichen Dimension zu beleuchten, unternimmt dieser Beitrag. Dabei geht es besonders darum, nicht nur bei den im Außen leicht zu identifizierenden Phänomenen stehenzubleiben, sondern diese auch im eigenen Inneren zu erkennen und aus ihnen Konsequenzen abzuleiten. Nur auf solcher Basis wird Macht als mögliches Mittel der Leugnung von Schuld und der Vermeidung von Scham erkennbar, entlarvt und einer notwendigen sozialen (Wahrheits-)Kontrolle unterworfen.
Guilt and shame – this article sets out to illuminate these concepts in terms of their subjective-psychological as well as objective-social dimensions. It is particularly important not to stop at the phenomena that are easy to identify on the outside, but also to recognize them inside own’s self and to derive consequences from them. Only on this basis can power as a possible means of denying guilt and avoiding shame be recognized, debunked and subjected to the necessary social (truth) control.
Das moderne Wissen zur phylogenetischen Prägung des Menschen befruchtet das psychogenetische Verständnis seines interpersonalen Verhaltens. Das ist bei der Untersuchung zentraler sozioregulativer Affekte wie Scham und Verachtung von hohem Nutzen. Anthropologisch konsensfähig ist heute das Wissen um die interaktionelle Doppelnatur des Menschen, seine sowohl dyadische wie oligosoziale Ausrichtung. Für diesen zwischenmenschlichen Raum stellen Emotionen / Affekte die wichtigsten Modulatoren dar. Dabei ist der Scham-Affekt mit seiner ikonografischen Spezifität der nicht gesichts-, sondern panto-mimischen Signalübermittlung besonders geeignet für den gruppalen Binnenraum. Seine finale Bedeutung hat er in der Stigmatisierung und Exklusion markanter Regelverstöße gegenüber der gruppalen Reproduktionsfähigkeit (wie Infantozid oder Inzest). Für diese Phänomene gibt es schon lange ein gesichertes Therapiewissen, das gerade die visuell-mittelbare Ahndungsqualität (»böser Blick«) markiert. Der eigentliche Beschämungsakt bedarf aufgrund seiner existenziellen Sanktionsmacht einer hochaffektiven Initiierung durch einen Verachtungsimpuls. Letzterer wirkt in Traumadynamiken psychohygienisch, da er durch gruppenöffentliche Indizierung des Täters die soziale Integrität des Opfers bewahrt. In der individuellen Pathogenese können zu frühe und überstarke Aktivierungen der Scham-Anlagen (»Proto-Scham«) eine erhöhte Reagibilität und Verletzlichkeit bis hin zur späteren Schamkrankheit und traumatischen Scham bedingen.
Our modern knowledge of the influence of phylogenesis on people stimulates the psychogenic understanding of their interpersonal behavior. This is of great benefit when examining central socio-regulatory affects such as shame and contempt. The view of the dual nature of human interactions, their dyadic as well as oligo-social orientation, is the anthropological consensus today. Emotions / affects are the most important modulators for this interpersonal space. The affect of shame, with its iconographic specificity of conveying signals not facially, but pantomimically, is particularly suitable for the group’s inner space. Its definitive purpose is to stigmatize and exclude serious rule violators of the group’s reproductive ability (such as infanticide or incest). For a long time there has been well-founded therapeutic knowledge of these phenomena, which highlights precisely its visual-indirect punitive quality (»evil eye«). Due to its existential power to sanction, the actual act of shaming requires highly affective initiation through a contempt impulse. The latter has a psycho-hygienic effect in trauma dynamics, since it maintains the victim’s social integrity through group-wide pinpointing of the perpetrator. In the individual pathogenesis, activation of the shame predisposition (»proto-shame«) at too early a point or to an excessive extent can result in increased reactivity and vulnerability, or go as far as triggering later shame disorders and traumatic shame.
Wesentliche Kernaspekte der seit etwa 200 Jahren im Zusammenhang mit der nationalstaatlichen Militarisierung und Industrialisierung formatierten Männerrolle wie z. B. die schweigsame homophobe Härte gegen sich und andere, ein lösungsfixierter Aktivismus, reflexhafte Abwehr von Schwäche, Abhängigkeit, Passivität, Emotionalität oder Hilfe zugunsten von aggressiver Impulsivität, Suchtverhalten oder emotionaler Einsamkeit definieren bis heute den krankmachenden männlichen Rollenkäfig. Konträr zu diesen auswirkungsreichen Entwicklungen in Richtung Maschinenmodell der Männerrolle stehen die dahinter abgewehrte fundamentale Fragilität, elementare Unsicherheit, Unfertigkeit und strukturelle Bedrohtheit männlicher Identitätsentwürfe. Dabei kommt der Abwehr von Schamgefühlen eine besondere Bedeutung zu. Der Beitrag beleuchtet drei entwicklungspsychologische Aspekte als wichtige Ursachen der strukturell instabilen männlichen Identität aus psychoanalytischer Sicht: die primäre Differenz von mütterlicher Bezugsperson und männlichem Säugling, die durch wiederholte Brüche in den Beziehungen zu Mutter und Vater komplizierte und deshalb vulnerable psychosexuelle Identitätsentwicklung des Jungen und die männliche Kastrationsangst.
Essential core aspects of the male role, which has assumed its form for about 200 years in the context of national militarization and industrialization, such as silent homophobic harshness towards oneself and others, an activism fixated on solutions, a reflexive defence against weakness, dependence, passivity, emotionality or help in favour of aggressive impulsiveness, addictive behaviour or emotional loneliness still define the disease-causing male role cage today. The fundamental fragility, elementary insecurity, incompleteness and structural threat to male identity concepts all runs contrary to these developments towards a machine model for the male role that have such an impact. The defence against feelings of shame is of particular importance. This article examines three developmental psychological aspects as important causes of the structurally unstable male identity from a psychoanalytical point of view: the primary difference between the maternal caregiver and the male infant, the boy’s complicated and therefore vulnerable psychosexual identity development due to repeated breaks in the relationship with mother and father, and the male fear of castration.
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