107 Seiten, die richtig wachrütteln. Eine Lektüre für Jugendliche, als Ansporn für politisches Engagement, aber auch für Erwachsene, die dieses Buch zum Anlass nehmen könnten, darüber nachzudenken, welche Chancen sie als Jugendliche verpasst haben und wie sie dass durch eine Art Wiedergutmachung als neue Chancen an die heutige Jugend zurückgeben könnten: Mareike Nieberding »Verwende deine Jugend. Ein politischer Aufruf«.
Das richtige Format. In einem Zug, wir meinen ohne aufzuhören, durchlesen und hinterher voller Tatendrang sein, das kann Nieberding ihren Lesern wunderbar vermitteln. Kein bisschen aufgeregt, sie zeigt Möglichkeiten auf und übersieht dabei nicht, was die Erwachsenen heute falsch machen, wenn sie an die Jugend denken. Mit Recht plädiert Nieberding für mehr politische Teilhabe seitens der Jugendlichen, oder anders gesagt, sie fordert ihre Alterskollegen und Jüngere auf, ihre Potentiale viel besser zu nutzen.
Alles fing damit an, als sie im November 2016 auf Facebook einen Aufruf zur Gründung einer Jugendbewegung lancierte. Daraus wurde > DEMO – Bewegung für Demokratie e.V. Und sie bekam Unterstützung von Freunden, die ihrerseits wieder Freunde und neue Mitstreiter mitbrachten: „Die Jugend ist völlig zu Unrecht in Verruf.“ (S. 27) Und sie fügt fügt hinzu, sie sei nicht politikverdrossen, aber es die Politik die „jugendverdrossen“ sei. Der Vorwurf ist richtig und sitzt.
Ihr Bericht von einem Workshop in einer Schulklasse in einer Fachoberschule in München (S. 27-32) illustriert das durch den Schulunterricht versteckte Interesse der Schüler an der Politik. Sie haben sehr wohl ihre Vorstellungen und viel zu sagen. Man muss ihnen nur die Gelegenheit dazu geben.
„Jugendverdrossen“ sind die Parteien und „parteiverdrossen“ sind die Jugendlichen. Um die Füllung dieses Grabens geht es Nieberding und ihrer DEMO. Sie Erinnert an Greta Thunberg mit ihrer #fridaysforfuture-Bewegung, die es geschafft hat, die Jugend in Europa und die Erwachsenen medienwirksam aufzurütteln. Und Nieberding nennt Gründe für den abgerissenen Dialog zwischen der Jugend und den Parteien. Zahlenmäßig relativ gering, als Wähler keine große Bedeutung, deshalb interessieren sich die Parteien nicht für die Jugend. Nieberding rät ihnen ganz geschickt, dass die Parteien doch das politische Kollaborationspotential der Jugend für sich entdecken sollten: „Mit ihnen müssen sie ins Gespräch kommen, streiten, Banden bilden“. (S. 45) Paul Ziemiak, der neue junge Generalsekretär der CDU (S. 49) hat Nieberding enttäuscht, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert ist auf ihrer Seite und plädiert für mehr Verantwortung zugunsten der Jugend (S. 53-58)
Niederding bedauert zu Recht, dass in der Bildungspolitik der Länder die Vermittlung von Politik durch Bildung keine besondere Rolle spielt. Unser Online-Redakteur erinnert sich nur zu gut daran, Was er als Chefredakteur der Schülerzeitung alles gelernt hat und die Einstellungsbehörden für den Schuldienst, die bei seinen Bewerbungen mit Französisch, Geschichte und Politik kein Interesse am dritten Fach Politik hatten. Instruction civique? Welcher Schüler kann heute auf Anhieb erklären, wieviel verschiedene Wahlen es in Deutschland gibt? Wer den Bundeskanzler wählt? Wer den Bundespräsidenten wählt? Wie der Bundestag gewählt wird? Ach, fragen wir lieber nicht weiter, man könnte den Eindruck gewinnen, je weniger die Bürger über das Funktionieren des Staates wissen, umso leichter können sie regiert werden. Und die Senioren finden es anstrengend, wenn die Jugend Schule schwänzt und auf der Straße laut die Politiker an Versäumnisse erinnert. Die Parteien könnten ein großes Wunder erleben, wenn sie die Jugend ernster nehmen würden. Es gibt da ein Unterstützungspotential, das überhaupt noch nicht gehoben ist.
Die Höchstgrenze für die Jugend in den Jugendorganisationen mit 35 Jahren ist zu hoch. Aber auch wenn Jugendliche mit 14 schon strafmündig sind, ist die Herabsetzung des Wahlalters auf 14 (S. 69) auf kommunaler und Landesebene keine gute Idee. Ganz anders die Idee, die Parteien sollten sich um ihren Nachwuchs kümmern: In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die Bundeskanzlerin nicht twittert. Natürlich kann man mit Twitter nicht regieren, auch wenn Präsident Trump dies mit seinen bisherigen 43.000 Tweets fast stündlich versucht, aber Nieberding rät zu Recht den Politiker den Kontakt mit den Jugendlichen dort zu suchen, wo sie sind, und dann sollte die Bundeskanzlerin eben dort auch präsent sein: „Soziale Medien können Katalysatoren des Wandels und Foren der körperlosen Verbindlichkeit sein:“ (S. 71) „Katalysatoren“ ist gut, denn was auf Twitter oder in den sozialen Medien benannt wird, kann in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten, wenn es geschickt gemacht wird.
Was bedeutet Macht? Sie bewirkt nur etwas, wenn man was aus ihr macht. Und bei Jugendlichen kommt es darauf an, dass sie etwas zusammen machen: „Identify your privilege“. Auf den letzten 15, 20 Seiten wird das Gefühl des Aufbruchs nochmal verstärkt. Nieberding will sich kurz fassen und dokumentiert dabei, dass die Jugend viel mehr zu sagen hat, als man von ihr glaubt.
Mareike Nieberding, Jg.1987, hat Literaturwissenschaft und Publizistik in Berlin und Paris studiert. Nach dem Besuch der Deutschen Journalistenschule, bevor sie als Redakteurin für das Magazin der Süddeutschen Zeitung in München arbeite. Kaum war Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten im November 2016 zum Präsidenten gewählt, gründete Nieberding die überparteiliche Jugendbewegung > DEMO – Bewegung für Demokratie e.V.. Ihr erstes Buch, »Ach Papa – Wie mein Vater und ich wieder zueinanderfanden« erschien 2018 im Suhrkamp Verlag.
Heiner Wittmann
Mareike Nieberding, geboren 1987, hat Literaturwissenschaft und Publizistik in Berlin und Paris studiert und besuchte anschließend die Deutsche Journalist...
Mareike Nieberding, geboren 1987, hat Literaturwissenschaft und Publizistik in Berlin und Paris studiert und besuchte anschließend die Deutsche Journalistenschule. Sie arbeitet als Redakteurin für das Magazin der Süddeutschen Zeitung in München. Im November 2016, zwei Tage nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten, gründete Nieberding die überparteiliche Jugendbewegung DEMO.
2018 erschien ihr erstes Buch, »Ach Papa – Wie mein Vater und ich wieder zueinanderfanden« im Suhrkamp Verlag.
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