>>»Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise« erschien in 3. vollständig überarbeiteter und erweiterter Auflage bei Klett-Cotta Fachbuch. Die an der Neuauflage beteiligten 30 Autorinnen und Autoren blicken im Buch zurück auf den Lockdown, schildern ihre Erfahrungen und zeigen Perspektiven für den zukünftigen Umgang mit den Folgen der Pandemie auf.
Online-Therapien, CoronaleugnerInnen und Hilfestellungen: Hier beantworten Robert Bering und Christiane Eichenberg aktuelle Fragen rund um die Psychotherapie in diesen besonderen Zeiten.
1. Eine Reaktion auf die Covid-19-Pandemie ist das verstärkte Angebot von Videosprechstunden bzw. Online-Therapien seitens der PsychotherapeutInnen. Beschränkungen für den Einsatz während dieser wurden jüngst aufgehoben. Welche Folgen bringt diese Entwicklung – beispielsweise für das TherapeutInnen-PatientInnen-Verhältnis oder das Berufsbild des Therapeuten – mit sich?
Tatsächlich brachte die Covid-19-Pandemie einen Digitalisierungsschub für die Psychotherapie mit sich. Durch den breiten Einsatz von videobasierten Behandlungen v.a. während Phasen von Lockdowns wurde damit auch ad hoc die Möglichkeit geschaffen, die Video-Therapie intensiv zu beforschen und damit eine fundiertere empirische Basis zu schaffen. Eine Vielzahl von Studien hat sich mit therapeuten- wie patientenseitigen Erwartungen an und Erfahrungen mit der Videomodalität beschäftigt. Gleichermaßen haben sich Studien mit dem Wechsel zwischen dem Online-Setting und dem traditionellen im Therapieraum auseinandergesetzt. Welchen Einfluss haben solche Settingwechsel auf die therapeutische Beziehung? Was sind die Herausforderungen des Video-Settings? Was sind die Vor- und Nachteile für das therapeutische Arbeitsbündnis und mit welchen Effekten auf den therapeutischen Prozess und das Outcome ist zu rechnen? Sowohl für das Einzel- als auch das Paar- und Familien-Setting wurden diesen Fragen intensiv in Studien nachgegangen. Ohne nun auf die einzelnen Ergebnisse einzugehen, können wir festhalten: Nicht wenige TherapeutInnen und PatientInnen hatten anfangs zunächst Bedenken und waren misstrauisch gegenüber dem Online-Setting. Allerdings ging mit zunehmenden Erfahrungen, die überwiegend deutlich positiv waren, eine Einstellungsänderung einher, d. h. diejenigen, die konkret online behandelten und ihre Erfahrungen machten, bewerteten das Setting dann auch positiver. Und so wurde dem Ruf von PsychotherapeutInnen nach mehr Flexibilität Rechnung getragen: Im Januar 2022 vereinbarten die Bundestherapeutenkammer, der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) und die Beihilfe für Beamte, dauerhaft die Möglichkeit zu schaffen, die Videobehandlung nutzen zu können. Nun können TherapeutInnen auch nach der Pandemie ganz flexibel mit ihren PatientInnen entscheiden, in welcher Modalität sie wann im Behandlungsverlauf arbeiten möchten.
Die Folge ist, dass das therapeutische Paar nun einen gemeinsamen Abstimmungsprozess durchführen muss, der das Setting betrifft. Dabei muss der Therapeut natürlich letztlich entscheiden, welches Setting für den einzelnen Patienten den besten Rahmen bietet, um progressive therapeutische Entwicklungen zu machen. Das heißt dieser Abwägungsprozess kommt im Sinne einer weiteren Indikationsstellung hinzu, die sich nun auch auf die Modalität des Settings bezieht. Sicher benötigen TherapeutInnen hierfür auch weitere Leitlinien und Empfehlungen von Seiten der Fachverbände und Kammern. Denn wenn hoffentlich bald wieder der Alltag einkehrt, ist die Entscheidung für oder gegen Videositzungen nicht mehr pandemiebedingt, sondern vor allem aus dem Blickwinkel der Behandlungsplanung heraus: Welcher Patient profitiert wann von welchem Setting am besten?
Letztlich wird sich unser Berufsstand somit mit den digitalen Optionen, die die psychotherapeutische Behandlung bietet, auseinandersetzen müssen, nicht zuletzt, weil PatientInnen hier einen flexibleren Umgang mit dem Setting erwarten werden. In unserem Buch geben wir dazu wichtige Impulse und Hilfestellungen. Zusätzlich empfehlen wir den Besuch von entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen, um die Qualität der therapeutischen Arbeit auch in dem für viele immer noch eher ungewohnten Setting zu sichern.
2. Wie wird seitens der PsychotherapeutInnen/der Psychotherapie mit CoronaleugnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen umgegangen? Wie gestaltet sich die Arbeit mit Angehörigen dieser Personengruppe?
Wir verstehen Polarisierung und Radikalisierung in der Gesellschaft als einen Abwehrmechanismus. Aus psychotherapeutischer Sicht ist wenig gewonnen, wenn wir diese Tendenz in der Gesellschaft verurteilen. Wir glauben, dass durch eine offene Diskussion Vertrauen in der Gesellschaft wächst. Wir sollten ernst nehmen, dass Widersprüchlichkeiten im Umgang mit der Corona-Pandemie gegeben sind, die Radikalisierungstendenzen fördern. Wir müssen uns mit Widersprüchlichkeiten auseinandersetzen, z. B. dass Impfungen als Monostrategien auf Unverständnis stoßen, wenn wir gleichzeitig einräumen müssen, dass ein hundertprozentiger Schutz hierdurch nicht gegeben ist. Aus diesem Grunde haben wir auch Fragen der Gesundheitsförderung in unserem Buch »Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise« behandelt.
Letztlich gilt für die Arbeit mit Angehörigen dieser Personengruppe dasselbe, nämlich ihnen psychoedukativ zu vermitteln, welche Funktion die Verleugnung einnimmt, wie z. B. die der Angstabwehr. In Familien, Paarbeziehungen, Freundschaften und im Arbeitsumfeld erleben wir jetzt eine Situation, in der besonders deutlich wird, wie unterschiedlich das Coping in Krisensituationen sein kann. Das Aufeinanderprallen verschiedener Coping-Stile kann dann zu einem »Clash of Coping« führen. Dieser kann nur bewältigt werden, indem zumindest versucht wird, Verständnis für verschiedene Verarbeitungsweisen zu entwickeln. Für uns PsychotherapeutInnen versteht sich dies von selbst, für die breite Bevölkerung ist es eine Herausforderung.
3. In Ihrem Buch »Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise« setzen Sie sich gemeinsam mit den Beiträgerinnen und Beiträgern mit den psychosozialen Folgen und Hilfestellungen zur Überwindung der Pandemie auseinander. Es erschien in 3. vollständig überarbeiteter und erweiterter Auflage bei Klett-Cotta Fachbuch. Welche Fragen, die Sie in diesem Buch thematisiert haben, empfinden Sie aktuell als besonders dringlich und inwiefern konnten Sie diese darin beantworten?
Mit der 1. Auflage des Buches »Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise« haben wir für ein bio-psycho-soziales Modell plädiert. In unserem Fakt-19-Modell haben wir deutlich gemacht, dass 1. Risikofaktoren, 2. Quellen der pandemischen Stressbelastung und 3. spezifische Kontextfaktoren der Pandemie zu berücksichtigen sind. Dabei spielen vier Quellen der pandemischen Stressbelastung eine Rolle: letale Bedrohung, wirtschaftliche Existenznot, Isolation und Befürchtungsdynamik.
Bei der letalen Bedrohung sehen wir solche Menschen, die direkt oder indirekt durch die Pandemie vom Tod bedroht sind. In der zweiten Gruppe sind Menschen, die von wirtschaftlicher Existenznot betroffen sind. Das können gerade Menschen sein, die vor der Pandemie keine wirtschaftlichen Sorgen hatten, z. B. Menschen im Hotel- oder Restaurantgewerbe. Dann haben wir Gruppierungen, die von der Isolation in den Lockdowns oder durch Schulschließungen stark betroffen sind, z. B. Familien mit Kindern. Bei der Befürchtungsdynamik denken wir an Menschen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit mit besonderen Befürchtungen auf drohende Infektionen, Impfungen, Einschränkungen oder Verluste reagieren.
Mit der zunehmenden Komplexität der Auswirkungen der Pandemie stehen wir vor der Aufgabe, die Auswirkungen bio-psycho-sozial zu verstehen. Wir sind der Überzeugung, dass die biomedizinische Perspektive um die psychosozialen Wechselwirkungen ergänzt werden muss, um ein Gleichgewicht zwischen biomedizinischen Strategien, gesundheitsfördernden Maßnahmen und der Bewältigung der psychosozialen Folgen zu finden. Das Zusammenspiel von Modellbildung und empirischer Fundierung durch die Beiträge der AutorInnen macht den Fortschritt der 3. Auflage des Buches aus. Wir glauben, dass ein bio-psycho-sozialer Perspektivenpluralismus in der Pandemie einen Beitrag leisten kann, um die notwendigen Diskussionen offen zu führen und als Gesellschaft trotzdem geeint zu bleiben.