»Dieses Buch gibt den Verlauf einer psychotherapeutischen Behandlung eines kleinen Mädchens wieder, das an Schlafstörungen litt. Sie konnte nicht einschlafen, rief bis spät in die Nacht ihre Eltern und wurde von Phantasien und Alpträumen über eine ?schwarze Mami und einen schwarzen Papi? geplagt. Zu Beginn der Behandlung war Gabrielle (der Kosename ist Piggle, ein in England gebräuchliches Wort für kleine Kinder) zwei Jahre und vier Monate, zu ihrem Ende fünf Jahre alt. Winnicott traf sie in diesen Jahren insgesamt vierzehn Mal, jeweils nach Bedarf. Er sah es für seine therapeutische Aufgabe als unabdingbar an, daß diese Treffen auf die Bitte des Kindes hin stattfanden.
Die jeweiligen klinischen Stadien des Kindes sind durch die Briefe, die die Eltern zwischen den Behandlungsstunden schrieben, hinreichend dokumentiert. Denn aus diesen Beschreibungen ist zu ersehen, daß nach den ersten Sitzungen Gabrielles Krankheit immer stärker in den Vordergrund trat und sich immer deutlicher als klares Krankheitsmuster organisierte. Dann löste sich die Krankheit allmählich bis zu einem gewissen Grade auf und machte Platz für eine Reihe von Reifungsstadien, die zwar befriedigend durchlebt worden waren, doch nun noch einmal durchgearbeitet werden mußten.
Ein spannendes Buch, das in seiner emotionalen Intensität berührt und in seiner therapeutischen Treffsicherheit besticht.«
H. Langschmidt (der kinderarzt, 01.09.1982)
»Spielend geheilt
Es war einmal ein kleines englisches Mädchen, das eigentlich Gabrielle hieß, aber von seinen Eltern zärtlich Piggle genannt wurde. Piggle war ein kluges, lebhaftes, meist fröhlich spielendes Kind. Es entwickelte schon sehr früh eine ?geradezu leidenschaftliche? Beziehung zum Vater, während es mit seiner Mutter ?etwas von oben herab? umging. Als Piggle einundzwanzig Monate alt war, wurde diese heile Welt anhaltend gestört. Eine Schwester Susan wurde nämlich geboren. In Piggles Seele schoben sich jetzt düstere Bilder zusammen: Sie spielt nicht mehr so frei wie früher, entwickelt Ängste, schläft schlecht und träumt furchtbare Dinge von einer ?schwarzen Mami mit großen Brüsten und einem Babywagen?. Auch zerkratzt sie sich nachts schlimm das Gesicht. Den Vater mag sie nicht mehr wie früher, und gegen die Mutter zeigt sie offen Haß.
Was die kleine Piggle für die Eltern so auffällig verstört, ist - wie sich aus der Analyse schließlich ergibt - nicht nur die narzißtisch kränkende Erfahrung, die Liebe der Eltern fortan mit einer Schwester teilen zu müssen, sondern sicher auch die unbewußte sexuelle Vorahnung, daß sie von Beziehungen zwischen den Eltern ausgeschlossen ist, die so schwerwiegende Folgen wie die Geburt einer Schwester haben. Sehr spät erst im Verlauf der Analyse gesteht die Mutter in einem ihrer Briefe an den Analytiker (die übrigens für ihr Verständnis des eigenen Kindes sehr förderlich waren), sie habe in der Zeit um die Geburt des zweiten Kindes vermutlich auch eigene Ängste auf Piggle übertragen. Sie hat nämlich einen ?ungeliebten Bruder?, der geboren wurde, als sie genauso alt war wie Piggle bei der Geburt Susans.
Die wegen des gestörten Verhaltens ihrer Tochter tief besorgten Eltern setzten sich darum seinerzeit mit dem berühmten Kinderanalytiker Donald W. Winnicott (1971 gestorben) in Verbindung. Nach einem kürzeren Briefwechsel und einigen Telefongesprächen wird eine Behandlung vereinbart, nachdem Piggle ihre Zustimmung gegeben hat. Die Sitzungen wurden allerdings nicht in regelmäßigen Abständen durchgeführt, sondern es wurde immer nur eine neue Stunde angesetzt, wenn Piggle ganz nachdrücklich den Wunsch äußerte und Winnicott ihn zeitlich erfüllen konnte.
Von dieser Behandlung, in der es innerhalb von ungefähr drei Jahren zu sechzehn Sitzungen kam, berichtet Winnicott in diesem aus dem Nachlaß herausgegebenen protokollartigen Notizen, aus denen sich der Leser gut ein Bild von einer großartigen, weil so zurückhaltenden spieltherapeutischen Behandlung machen kann.
Eigentlich scheint das Kind nur mit den in der Praxis reichlich vorhandenen Spielsachen zu spielen, während der Therapeut so ein bißchen dazu fragt, was Piggle da gerade macht, manchmal möchte er natürlich auch etwas deutlicher wissen, was das Spiel wohl mit Vater, Mutter und Schwester - und Sexualität - zu tun hat. Piggle behält die Behandlung so in der Erinnerung, als ob Winnicott damals an seinen Lebenserinnerungen schriebe, in denen sie, wie sie sich wünschte, auch erwähnt würde. Es kann dem Leser überlassen bleiben, aber bestens empfohlen werden, sich in die anscheinend so leichthin ablaufenden Spielszenarien, die vom Therapeuten als Arbeit beschrieben werden, zu versetzen, um schließlich ihren still mitgeführten therapeutischen Sinn zu verstehen. - Ich hätte fast geschrieben: mitzuvollziehen, denn es kann leicht sein, daß der Leser eingedenk der eigenen Kindheit mindestens tagtraumartig dem Wunschgedanken nachsinnt, welche vermutlich wunderbare Chance an menschlicher Entfaltung wohl auf der Basis eines solchen Vertrauens für ihn gereift wäre.
Piggle wird allmählich wieder von ihren seelischen Leiden frei und entwickelt sich, wie wir aus dem Nachwort erfahren, zu einem unbefangenen Mädchen, das von seinen Klassenkameraden sehr geschätzt wird und erfolgreich lernt. Sie will später Biologielehrerin werden. Winnicott beschließt sein letztes Protokoll mit dem Satz: ?Sie wirkte völlig natürlich, als sie auf Wiedersehen sagte, und sie hinterließ bei mir den Eindruck eines ganz natürlichen, vom Standpunkt des Psychiaters aus normalen fünfjährigen Mädchens.?
Was dieses Buch so erfreulich von den in den. letzten Jahren sonst so zahlreich publizierten endlosen Tonbandabschriften unterscheidet, ist mancherlei: An erster Stelle ist selbstverständlich der Inhalt zu nennen, aus dem der Leser bald die große Kunst des erfahrenen Kinderanalytikers aus der Melanie-Klein-Schule erkennt. Der Leser wird dabei vom Autor selbst auf das für Analyse und Therapie Wichtige in zusammenfassenden ?Bemerkungen und Deutungen? gelenkt. Außerdem erhält er in Randnotizen noch zusätzliche angaben diagnostischer Art. In Fußnoten werden ferner Verständigungshilfen zum Inhalt der Gespräche gegeben und gelegentlich Literaturhinweise angeschlossen - oder sprachliche Besonderheiten durch den nicht immer glücklichen Übersetzer herausgestellt. Zusätzlich werden Teile der Telefongespräche und Briefe zwischen die Sitzungsprotokolle eingeschoben. Aus ihnen vor allem lassen sich die Nachwirkungen der einzelnen Stunden, aber auch die jeweiligen Reifungsschritte ablesen.
Dieser ganze Hauptteil wiederum wird abgerundet durch eine Skizze der Praxisräume, zwei Vorworte, eine Einleitung und ein Nachwort. Schon in der Druckgestaltung wird so ein weiträumiges Informationsgefüge deutlich. Doch der Aufwand lohnt sich. Nach der Teilhabe an diesem den Leser so sympathisch mitführenden Buch war ich fast traurig, als ich es ?durchhatte?. Ich konnte gut verstehen, warum die Eltern auch später immer wieder den Eindruck von Piggle haben, ?daß der Gärstoff der Erfahrung, auf einer tiefen, unbewußten Ebene verstanden worden zu sein?, immer noch in ihr ?fortwirkt?.«
Rolf Denker (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.01.1981)