In Ihrem Familienroman »Geschwister im Gegenlicht« schildert Sabine Bode Sonjas Misstrauen gegenüber der Familie, von der sie am liebsten gar nichts mehr wissen will. Zu tief haben sich ihre seelischen Verletzungen eingegraben, auch das Verhältnis zu ihrem Bruder Rolf ist nur zu ertragen, wenn sie ihn nicht sieht: „Mein großer Bruder findet mich seltsam und sich selbst normal,“ so lautet der erste Satz.
Schon auf der ersten Seite wird von den Stammbäumen berichtet, mit denen Rolf zwischen den Verwandten unterscheidet, von denen man was weiß und denen, deren Verbleib unbekannt ist. Und Sonja erfährt auch, dass ihre Eltern sich mit nahezu allen Verwandten verkracht hatten. Aber mehr ist aus Rolf nicht herauszubekommen; er spielt das Spiel nicht mit und weicht jeder Frage aus … er würde immer eingeladen werden, es muss wohl an den Eltern gelegen haben. Aber Rolf schweigt darüber. So ist der Rahmen der Handlung auf der ersten Seite gesetzt.
Sonjas Rückzugsort an der Ostsee wird gestört, als plötzlich Rolf am Telefon ist: „Denk doch mal darüber nach, ob Du im grimmigen Norden etwas Gesellschaft brauchen könntest.“ (S. 12) Ihre Ruhe ist dahin, was soll aus dem Besuch werden? Sonja ist sich sicher: „Wir kommen nicht in dieselbe Spur.“ (S. 13) Nichts bindet sie an ihren Bruder: „… zwei Aliens, die von völlig unterschiedlichen Planeten stammen.“ (S. 13)
Und dann ist Rolf im Anmarsch, kommt sogar noch ein bisschen früher. Zeit für Sonja seine E-Mails zu lesen und sie entdeckt Nachrichten von ihrem Bruder, der drei Monate in einer psychosomatischen Klinik war, wo ihm als Therapie das Forschen über die Kindheit, seine Jugend und das Elternaus in Wasserhorst aufgetragen worden war: „Familie, nein danke …“ (S. 29) denkt sich Sonja und macht sich dennoch ans Lesen: „Meine Eltern waren beide Nazis und stolz darauf.“ (S. 29) Damit wird der Rahmen erweitert und Sonja beginnt vieles zu ahnen. Und sie nimmt den Lesenden mit auf die Entdeckungsreise in ihre Vergangenheit, deren Schichten sie nun nach und nach abträgt oder aufdeckt.
Rolf bringt seine Tochter Nina und ein Bild aus dem Sommer 1947 mit, das zur großen Überraschung von Sonja sie als Säugling zeigt. Das Geschenk könnte man auch als vertrauensbildende Maßnahme verstehen, mit der Ralf das Interesse seiner Schwester für die eigene Vergangenheit wecken will. Aber es ist noch zu früh, kaum ist Rolf abgefahren, wird das Bild gegen die Wand gedreht.
Nina hat Schwierigkeiten in ihrer Schule und muss sie verlassen, fängt an zu boxen. Sonja liest weitere Berichte von ihrem Bruder: „Es war nicht zu übersehen, dass ich meine Schwester nicht mochte.“ (S. 82) Mit weiteren Berichten von ihm treten ihr wieder das Toben des Vaters und Mutters Drohungen vor Augen.
Nina kommt für einige Zeit zu Sonja, setzt ihr Boxtraining fort und allmählich versteht Sonja, dass Nina manchmal gewalttätig wird und entdeckt einen möglichen Zusammenhang mit ihrer Herkunft. Es scheint ganz so, dass Nina Gefallen am Boxen findet, um ihre Emotionen unter Kontrolle zu bekommen.
Die Vergangenheit der Eltern, die überall aneckten und das Tagebuch der Anne Frank für eine Fälschung hielten, tritt allmählich wieder hervor. Schließlich kommen sich Sonja und Rolf bei einem Ausflug mit dem Bully an die Orte ihrer Kindheit dann doch endlich etwas näher, sie sprechen sich aus und versuchen ein gemeinsames Verhältnis zu ihrer Vergangenheit und zu den Eltern zu finden. Rolf fängt an, seine Schwester zu verstehen, als sie ihm von den Strafen berichtet, die ihre Mutter ihr zugefügt hatte.
Das Besondere an diesem Familienroman ist das Einfühlungsvermögen der Autorin, die so präzise die beiden Hauptcharaktere Sonja und Rolf mit ihren Eigenarten, ihren Erinnerungen und die Art und Weise, wie beide ihre Vergangenheit interpretieren, schildern kann. Ein zunächst aussichtsloses Zerwürfnis wird durch Rolfs Krankheit etwas gekittet und dazu kommt aber auch trotz aller Widerstände Sonjas Interesse, die Probleme ihrer Kindheit besser zu verstehen. Sie geht schließlich doch auf Rolfs Angebot zu Verständigung ein und zusammen richten sie einen neuen Blick auf ihre Vergangenheit. So wird hier im Rahmen einer Familie die Notwendigkeit einer Erinnerungskultur erklärt, mit deren Erkenntnissen die Gegenwart besser verstanden werden kann.
Heiner Wittmann
Sabine Bode, Jahrgang 1947, begann als Redakteurin beim »Kölner Stadt-Anzeiger«. Seit 1978 arbeitet sie freiberuflich als Journalistin und Buchautorin und...
Sabine Bode, Jahrgang 1947, begann als Redakteurin beim »Kölner Stadt-Anzeiger«. Seit 1978 arbeitet sie freiberuflich als Journalistin und Buchautorin und lebt in Köln.
Sie ist eine renommierte Expertin auf dem Gebiet seelischer Kriegsfolgen.
Ihre Sachbücher »Die vergessene Generation«, »Kriegsenkel«, »Nachkriegskinder« und »Kriegsspuren« sind Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
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