Depression hat viele Gesichter. Zahlreiche Ursachen und Auslöser sind möglich, die von Betroffenen und auch von Fachleuten kaum zu überblicken sind. Hier gibt >>»Depression entschlüsseln« von Simone Alz einen umfassenden Überblick und bietet Unterstützung.
Von psychischen Folgen der Pandemie und der Komplexität von Depressionen: Simone Alz beantwortet aktuelle Fragen zum Thema und macht dabei ihre Intention, Betroffene und ihre Angehörigen mit dem Buch zu ermutigen, deutlich.
1. Liebe Frau Alz, die Anzahl der Personen, die weltweit unter Depressionen leiden, ist tendenziell steigend. Welche Rolle spielen Depressionen in unserer aktuellen Zeit und während einer Pandemie Ihrer Einschätzung nach?
Eine sehr große Rolle. Ja, die Zahlen steigen und das werden sie weiterhin. Auch durch die Pandemie.
Schon vor dieser Krise zeigte sich eine Gesellschaft, in der der Einzelne sich oft allein fühlt. Globalisierung und Digitalisierung bergen die Gefahr, dass die so essenziellen menschlichen Verbindungen blasser werden. Und somit Halt und Zusammenhalt in der Gesellschaft schwächer. Das macht für Depressionen verletzbarer. Die Pandemie verstärkt das noch weiter. Social Distancing und die damit einhergehende Isolierung sowie eine allgemeine Ungewissheit tragen dazu bei, dass Sorgen, Ängste und Depressionen zunehmen. Sind wir physisch und psychisch gesund, war und ist die Pandemie-Situation oft schwer genug. Für Menschen, die unter Depressionen oder einer Vorstufe davon leiden, ist die Gefahr gerade in derart herausfordernden Zeiten besonders groß, dass sich die persönliche Situation verschlechtert. Betroffene nehmen in einer Krise, die das komplette Lebensumfeld betrifft und deren Ende nicht absehbar ist, das Negative deutlich verstärkt wahr. Und selbst wenn das Ende in Sicht ist – die erlebten Strapazen können auch nach der Pandemie noch psychische Folgen aufzeigen. Man hält erst durch und spürt im Nachhinein, wieviel Kraft es eigentlich gekostet hat. Die psychischen Folgen der Pandemie sind noch lange nicht in Gänze sichtbar. Auch das Vertrauen in Autoritäten hat gelitten und damit das Gefühl von Sicherheit und Optimismus in die Zukunft. Das zahlt neben oben Geschildertem ein auf das Negativ-Konto dieser Zeit – die für Menschen so wichtige Hoffnung ist vermindert.
Für die Lösung und Heilung von Depressionen müssen genau diese beiden gefährdeten Faktoren ins Visier genommen werden: Wir müssen Verbindung wieder stärken oder kreieren und (neue) Hoffnung schöpfen.
2. Welchen Beitrag möchten Sie in diesem Zusammenhang mit Ihrem neu erschienenen Klett-Cotta Fachbuch »Depression entschlüsseln« leisten?
In meinem persönlichen und beruflichen Kontext sind mir Depressionen immer wieder begegnet und das Leid der Betroffenen ist groß. Mein Buch ist für mich eine Herzensangelegenheit – der Wunsch, Betroffene auf ihrem Weg zu unterstützen. In dem Buch lege ich den Fokus darauf, die Ursachen für Depressionen zu verstehen und darauf basierend Lösungen zu finden.
Depressionen sind meist komplex. Es ist meine Absicht, diese Komplexität einfach darzustellen, der Kompliziertheit das Beklemmende zu nehmen. Anhand eines Modells, das Depressionen entschlüsselt und an dem man sich orientieren kann.
Menschen, die sich in einer Depression befinden, haben nicht die Energie, sich durch einen Dschungel von Informationen zu kämpfen. Und nicht die Kraft, immer wieder etwas Neues auszuprobieren und Rückschläge zu verarbeiten.
Ich sortiere in meinem Buch das, was ich weiß und stelle es für Leserinnen und Leser, für Fachleute wie für Betroffene, so klar wie möglich dar.
Das Buch soll helfen, den Dschungel zu durchqueren. Und so hoffe ich, dass jeder Schritt für Schritt überlegen kann: Trifft das auf mich zu? Wenn ja, heißt es das jeweilige Thema anzugehen, ins Detail zu gehen, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, Hilfe für das spezifische Thema suchen. Wenn nein, geht es weiter zum nächsten Punkt.
Ich bin mir sicher: Irgendwo in diesem Buch können Betroffene sich wiederfinden.
Nicht zuletzt ist das Buch Mutmacher für alle, die das Licht am Ende des Tunnels gerade nicht sehen. Betroffene und deren Angehörige brauchen – neben dem Wissen um Ursachen – vor allem eines: dass ihnen jemand die Hand reicht. Genau diese Verbindung möchte ich mit diesem Buch unterstützen. Eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Mensch, eine Verbindung zu uns selbst und anderen. Ein Band, das hilft, das Licht am Ende des Tunnels zu finden.
Mein Wunsch ist, dass Menschen wieder Hoffnung schöpfen und sich mit dem Leben neu verbinden.
3. Im Buch gehen Sie auch auf das von Ihnen entwickelte Modell »Depressions-Pyramide« ein. Können Sie kurz nennen, aus welchen Komponenten sich das Modell zusammensetzt und was es verdeutlicht?
Mit dem von mir entwickelten Modell der »Depressions-Pyramide« möchte ich Orientierung geben. Es umfasst die physische, psychische, soziale und spirituelle Ebene und beleuchtet auf diesen jeweils die Ursachen für Depressionen nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Ich bin der Überzeugung, dass menschliche Bedürfnisse auf diesen vier essenziellen Ebenen und deren Befriedigung oder Nichtbefriedigung die Grundlage für das Verstehen von Depressionen sind und so stelle ich für und mit dem Leser die Fragen:
Sind meine Bedürfnisse erfüllt?
Habe ich, was ich brauche?
Gibt es auf einer Ebene Defizite?
Und insgesamt:
Auf welcher Ebene kann ich die (Haupt-)Ursache meines Leids, meiner Depression finden?
Persönlich sehr wichtig ist mir zudem das über alle Ebenen laufende Prinzip von Verbindung und Hoffnung.
Auf der physischen Ebene geht es um die Verbindung IN MIR. Diese kann sich mannigfaltig gestalten. Zum Beispiel die Reizweiterleitung als verbindendes Element in mir, die Hormonbalance als Verbindung in mir, der Energiehaushalt als Verbindung in mir.
Auf dem psychischen Level geht es um die Verbindung ZU MIR. Wie bewerte ich mich? Wie stehe ich zu mir? Wie habe ich bisherige Erlebnisse verarbeitet? Wie erzähle ich meine Geschichte?
Auf der sozialen Ebene geht es um die Verbindung ZU ANDEREN: zu meiner Familie, zu meinen Freunden, zu Kollegen, zu meiner Umwelt, zu den Menschen im Allgemeinen. Dazu gehört auch, welche Erfahrungen ich mit diesen Menschen gemacht habe. Sind es gute Erfahrungen? Oder eher schlechte? Bin ich enttäuscht worden? Bin ich verletzt worden? Wie groß ist mein (Ur-)Vertrauen?
Und letztlich auf der spirituellen Ebene und der Frage nach dem Sinn – hier geht es um die Verbindung ZUM GROßEN GANZEN. Wie erschließt sich für mich der Sinn des Lebens und welcher Glaube spielt dabei eine Rolle? Glaube ich überhaupt?
Ich glaube fest daran, dass Depressionen mit verlorenen Verbindungen und dem Fehlen von Hoffnung zu tun haben. Umgekehrt braucht es für die Lösung und Heilung von Depressionen genau diese beiden Faktoren.
Und die wichtige Botschaft ist: Es gibt immer Hoffnung. Niemand ist allein.