Die NSDAP hatte am 24. Februar 1920 ein Parteiprogramm verkündet, jedoch machte sie öffentlichkeitswirksam den 9. November 1923 zu einem „zweiten, nämlich mythisch aufgeladenen Gründungsakt“ (S. 11) und gab zu verstehen, dass alle, die daran teilgenommen hatten, „das Schicksal der deutschen Nation“ hatten wenden wollen.
Eine der Thesen Kellerhoffs lautet, dass der Anführer der NSDAP, der doch alle Vollmachten besaß, bei weitem nicht die „einzig treibenden Kraft“ (S. 14) seiner Partei gewesen sei. Für seine These spricht, dass die junge Republik zu schwach war, um sich ihrer Feinde erwehren zu können. Bayern scherte aus, als es um die Durchsetzung des Republikschutzgesetzes vom 23. Juli 1923 ging. In Deutschland wurde der antisemitische Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DvSTB) verboten, nicht aber in Bayern, was die NSDAP für sich zu nutzen verstand. Fünf Jahre nach ihrer Gründung, stand die Weimarer Republik nicht nur von links sondern offenkundig auch von rechts unter einem erheblichen Druck ihrer Feinde: Joseph Wirth (Zentrum) erklärte im Reichstag am 25. Juni 1922, nachdem am Vortag der Außenminister Walter Rathenau ermordet worden war: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden des deutschen Volkes träufelt. Da steht der Feind, und darüber gibt es keinen Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“
Rudolf Heß gehörte mit seinem Artikel im Völkischen Beobachter zu den Wegbereitern eines künftigen Führerkults, der sich auch an den Erfolgen von Mussolini orientierte und Hitler in seiner Absicht bestärkte, die Führung des völkischen Flügels (S. 61) übernehmen zu wollen.
Mit Akribie untersucht Kellerhoff, wie die Republik sich gegen die NSDAP wehrte, deren Ortsgruppen am 15. November 1922 vom preußischen Innenminister Carl Severing aufgrund des Republikschutzgesetzes aufgelöst wurden. Carl Roßbach, der ehemalige Freikorpsführer, konterte das Verbot in Berlin mit dem Hinweis darauf, es gebe dort keine Ortsgruppe und gründete mit allen 194 Anwesenden sogleich die „Großdeutsche Arbeiterpartei“. Das war nur eine der ersten Reaktionen der Nationalsozialisten, denen es gelingen sollte, die Republik zu unterminieren.
Hitlers Putsch war nicht der einzige Versuch dieser Art. Major a. D. Bruno Buchrucker versuchte in Küstrin an der Oder mit rund 400 Männern auch einen Aufstand – einer von vielen anderen –, der durch das Eingreifen eines Offiziers scheiterte. Von rechts und links wurde die Republik angegriffen. Es kam im Oktober 1923 zu einem Aufstand der Proletarischen Hundertschaften in Hamburg, bei dem es rund 100 Tote gab.
Kellerhoffs Blick in die Archive (Bibliographie S. 308-325) vermittelt einen überzeugenden Einblick in die Szene der gewaltbereiten Gegner und Feinde der Republik, die sich schon so früh in Stellung brachten, zu denen auch Otto von Lossow im Wehrkreiskommando München zählte, der schon im Oktober 1923 die Umrisse einer „Rechtsdiktatur“ erläuterte. Ein anderer Anhänger Hitlers, der versuchte, sich in seiner Bewegung einen Namen zu machen, war z.B. der Major Hermann Starke, der als Taktiklehrer an der Infanterieschule in München lehrte und der sich an der Popularität Hitlers bei seinen Reden im Zirkus Krone berauschte und sich vorstellte, dass seine Fähnriche Deutschland von München aus befreien werden. Starke ist auch nur einer unter vielen, die sich als Feinde der Republik entpuppen und Kellerhoff zeigt an vielen Beispielen, wie diese Gegner zum Teil auch gegeneinander in Konkurrenz stehen, sich also gegenseitig aufwiegeln, immer wieder nach dem Vorbild Mussolinis von einem Marsch auf Berlin träumen.
In dieser Situation reift der Entschluss Hitlers, den Aufstand durchzuführen, dessen Ablauf Kellerhoff minutiös schildert. Er scheiterte und das folgende Gezänk um das Gerichtsverfahren und die Zuständigkeiten offenbaren wieder die Schwäche der Republik. Nach einer genauen Untersuchung der Vorgänge begann der Prozess wegen Hochverrats Ende Februar 1924 in der bereits genannten Infanterieschule an der Blutenburgstraße. Hitler versuchte den Prozess zu dominieren, ihn als Bühne für sein Programm, Deutschland retten zu wollen, zu missbrauchen. Der Vorsitzende Richter Georg Neithardt, unterstützte den Angeklagten … das milde Urteil: Fünf Jahre Festungshaft und 200 Goldmark. Das Gericht verzichtete auf die Abschiebung … Hitlers Scheitern im November 1923 wurde als Posse verstanden, bei näherem Hinsehen und aufgrund der Analyse Kellerhoffs ergibt sich aber ein anderes Bild, das Hitler keineswegs nur als Einzeltäter beschreibt, sondern ihn als Teil und bald auch als bestimmender Faktor des Widerstands gegen die Weimarer Demokratie zeigt, deren Gegner mit dem 30. Januar 1933 an ihrem Ziel sein werden.
Heiner Wittmann