Unsere Redaktion ist sich sicher, dass die Autorin sehr gerne unser Leseexemplar bekommen würde oder zumindest einen Einsicht nehmen würde, um herauszufinden, was wir in Ihrem Buch angestrichen haben, womit sogleich gesagt ist, das jeder Leser etwas anderes aus dem Buch mitnehmen wird. Das ist die persönliche Seite dieses Buches also eigentlich , das der Autorin so wohltuend respektiert und die ihr so gelungen ist. Natürlich findet jeder Lesefrüchte für sich, aber wir meinen, das die Lektüre aufdeckt, wie systematisch sich das Buch so erfolgreich an ganz verschieden Personenkreise wendet: Zum einen an die, die sich hier und da mal unwohl fühlen und ihr Innenleben etwas aufpolieren möchten, dann an diejenigen, die sich unglücklich fühlen und ihr Innenleben viel besser ordnen möchten und schließlich aber auch an depressiv veranlagte Personen, die neu Wege finden möchten und ihr Inneres mal so richtig aufräumen und aufmöbeln möchten. In diesem Sinne sind die einzelnen Kapitel angeordnet, einige ganz lebenspraktische Ratschläge, Gewohnheiten, Fotos, sich überraschen, Vom Schenken, Vom Schlaf Trauer, Mäßigung und Tapferkeit u.a.
In anderen Kapiteln geht es um neue Blickweisen, Neid als Navigator, Rotation der Genüsse, Unglück, Brachliegen, Vorsätze, Humor, Ausgeglichenheit Güte, Weisheit oder Lebenskunst.
Dann aber gibt es auch Abschnitte wie So tun also ab, wie zunächst bescheiden daherkommen, aber dennoch Grundsätzliches enthalten, das nicht überlesen werden darf. Ist der Eindruck, nichts geschafft zu haben mal wieder da, hilft es mal darüber nachzudenken, wie es denn wäre, wenn es geschafft wäre, und dann wird aus diesem Kapitel eine kleine Anleitung nicht zum Selbstbetrug sondern zum Perspektivwechsel, mit dem von Schirach lehrt, wie ein Kopfdrehung und eine Neugewichtung von Absichten, eine Zielrevision, funktioniert: Die Autorin sagt das so schön in einem Satz: „Ich lenke meine Aufmerksamkeit weg zu dem, was ist, hin zu dem, was sein soll.“ (S. 19) In manchen Unternehmen sagt man, seien sie zielorientiert, ohne darüber nachzudenken, was für ein Druck damit aufgebaut wird, anstatt, dass man sich über die Einschätzung und die Qualität der Ziel im klaren ist, welcher Veränderungsprozess im positiven Sinne damit verbunden sein könnte.
Grundsätze sind gut, aber man kann sie auch hinterfragen, und dazu braucht man Mut. Kein infrage stellen, aber ein Ansatz über eigene Gewohnheiten nachzudenken. Die Schaffung neuer Wege und neue Gewohnheiten öffnet neue Perspektiven. Merken Sie sich den Satz: „Unsere Gewohnheiten sind wie ein biegsamer Panzer, der uns ebenso schützen wie einsperren kann.“ (S. 39).
„Glück und Selbstbild sind eng miteinander verknüpft,“ (S. 56 f.) mag wie eine Binsenwahrheit klingen, jedoch ist das Selbstbildnis besonders von depressiven Personen so derartig weit unten, dass es ihnen wirklich schwerfällt, den eigenen Maßstab zu dem der Dinge zu machen. Aber auch hier hilft ein Perspektivwechsel, ein schrittweises Lösen von der vermeintlichen Meinung der anderen über einen selbst, also eine Neubefragung der eigenen Seele. Kränkungen, Abwertungen, blöde Bemerkungen über einen selbst, die man mal aufgeschnappt hat und vielleicht sogar falsch verstanden und falsch bewertet hat, nagen am Ego, weil man „bewusste Selbstbejahungen“ (S. 57) verlernt hat. „Freiheit kann Angst machen,“ erklärt Jean-Paul Sartre in Das Sein und das Nichts. Die eigene Seele zu befragen verlangt tatsächlich Mut, weil man danach anderen fundiert widersprechen kann; da darf man nicht auf die innere Stimme hören, die könnte ja vielleicht Recht haben, nein, man muss es eben mit dem Autodidakten in „Der Ekel“ (1938) halten, der auf die Frage, welchen Sinn das Leben hat, dem verdutzten Roquentin erklärt, das Leben hat den Sinn, den Sie bereit sind ihm geben. Nein, es ist überhaupt nicht einfach, wieder auf seine eigene Meinung zu zählen, ungläubig fragen manche geht das? Ja, es geht, Ariadne von Schirach macht es ihnen vor.
Selbstbeoachtung kann man lernen. Fangen wir schon mal mit zwei Listen an, was mögen Sie und was nicht? Hat man sie schon mal gekränkt? Und dann haben sie darüber nachgedacht, wie man die Einstellung des anderen wohl ändern könne? (vgl. S.93) Vielleicht ist das hoffnungslos, aber es gibt einen anderen Weg, nämlich die eigenen Erwartungen zu überprüfen und anzupassen, dazu braucht man die abfällige Meinung der andren nicht. Noch mehr Glücksgefühl: „Alles Gute, was wir ohne Absicht, ohne Vorteil und ohne Publikum tun, trägt seinen Lohn in sich.“ (S. 95) Vielleicht kann auch diese Unabhängigkeit, nutzt man sie, zunächst Angst machen. Aber von Schirach macht ihnen Mut zum Ausprobieren.
Und noch eine Bemerkung. Mach einer denkt an die Grenzen, an die er stößt: vgl. S. 127. Aufgepasst, denken Sie darüber nach, wer die Grenzen setzt: „Viele Grenzen liegen in uns, nicht außerhalb. Sie zu überwinden, gibt dem Leben das zurück, was wir ihm allzu oft unbewusst entziehen…“ Ich hätte das Wort unbewusst hier sogar weggelassen. Stichwort Selbstvertrauen. Die Autorin rät zur Erinnerung an „…das immer wie neu einzulösende Versprechen, unser eigenes Vertrauen verdient zu haben.“ (S. 153) ja, da ist echt Arbeit an der eigenen Seele. Lassen sie nicht von der inneren Stimme irritieren, die uns trotz aller Vorhaltungen immer eine Wahl lässt… und wer aus ihr den Mut gewinnt, dem eigenen Urteil zu trauen, ist auf der glücklichen Seite.
Heiner Wittmann