Raphaela Edelbauer hat mit »Die Inkommensurablen« einen spannenden Wien-Roman verfasst, in dem sie den Leser an den aufregenden Stunden vor dem Ende des deutschen Ultimatums am 31. Juli 1914 teilhaben lässt.
Vier Hauptpersonen, der Pferdeknecht Hans, der Adlige, die Mathematikerin Klara und die Psychoanalytikerin Helene müssen miterleben, wie das Zusammenbrechen ihrer gewohnten Umgebung sich immer deutlicher abzeichnet.
Ganz so, als ob sie in einen Strudel gezogen, wobei jeder Versuch, sich dagegenzustemmen, aussichtslos wäre. Vielleicht haben Sie die bevorstehende Katastrophe auch nicht gar nicht realisiert. In diesem Sinne erinnert ihr Buch an die Roman-Trilogie von Hermann Broch, »Die Schlafwandler« (1930 ff.) oder an Christopher Clark, »Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg« zog, London: Penguin Books 2012, dt. München: dva 2013. Jean-Noël Jeanneney sagte mir im März 2014, auf die Frage nach der Verantwortung für den Ersten Weltkrieg: „Das ist eine geteilte Verantwortung.“
Hans Raftler verlässt sein Tal, was er seit sieben Jahren nicht getan hat, und reist in die Hauptstadt. Geschickt wird seine Lebensgeschichte von ihm mit einer Unterhaltung in der Wiener Tram dem Leser erzählt. sSein Ziel ist eine Konsultation bei der Helene, der Psychoanalytikerin. Als er sie wieder verlässt, begegnet er Klara und gerät in ihren Freundeskreis. Klara steht vor kurz vor ihrem Rigorosum, bei dem es um Irrationalzahlen geht, die man Inkommensurablen nennt.
Das zweite Kapitel erzählt einen Orchesterprobe und beweist das Faible der Autorin für die Musik: Dieses so grandios verfasste Kapitel ist auch ein Zeichen für das Beharrungsvermögen der Wiener Kultur, in das die Proben der jungen Leute eingebettet sind, so als wenn es gar keine Bedrohung von außen gäbe. Bei einer Buchvorstellung würde ich einige Seiten aus diesem Kapitel lesen und dann auf Seite 112 im folgenden Kapitel die Seite, wie Hans in den untergehenden Strudel der Stadt hineingesaugt wird: „Unablässig prallten Gruppen von Menschen lautstark auf andere und riefen sich Dinge zu. Hans war es, als würden sie sich an ihn wenden, ehe sie sich in einem nie endenden Nieseln von Worten wieder auflösten: So recht weiß er auch nicht, was er will: Ja ja, ich rücke ein“, sagte Hans. (S. 118). Und im vierten Kapitel erscheint ein Hinweis auf die bevorstehenden Veränderungen: „Nichts war mehr individuell an irgendjemandem. Die letzte Nacht der Menschheit war ein Kollektivgeschehen, und je mehr jeder sich als ein Einzelner glaubt, desto mehr geriet er zum Arm des Absoluten.“ (S. 149) Und bei der Buchvorstellung würde ich auch gerne noch die Seiten mit dem Erscheinen des Vikars lesen, eine Novelle in diesem Roman S. 201-212. Bestens geeignet zum Vorlesen, weil sie den Stil die Grundidee dieses Buches so wunderbar wiedergibt. Jeglicher kultureller Ansatz muss vor dem sich abzeichnenden Großereignis kapitulieren.
Adam wie die anderen Drei versucht, dem Trubel zu verstehen: „Alles hat miteinander zu tun. Die Realität des Übernatürlichen zu leugnen und sie an anderen Stellen zu affirmieren, ist nicht widersprüchlich? Das ganze Leben analytisch zu deduzieren und dort, wo die Methode versagt, etwas Unerklärliches zu akzeptieren, ist nicht inkonsequent?“ (S. 219) Und sie kennen noch einen anderen Grund für das Desaster: „Ja, genau. Die Monarchie muss aus ihrem Dauerschlaf gerissen werden.“ (S. 237=
Heiner Wittmann
Raphaela Edelbauer, geboren in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« wurde sie mit de...
Raphaela Edelbauer, geboren in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« wurde sie mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage ausgezeichnet. Außerdem wurde ihr der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb, der Theodor-Körner-Preis und der Förderpreis der Doppelfeld-Stiftung zuerkannt. Ihr Debütroman »Das flüssige Land« stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, für ihren zweiten Roman »DAVE« erhielt sie den Österreichi...
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